Auf dem ersten deutsch-chinesischen Wirtschaftsforum im Crowne-Plaza-Hotel Düsseldorf -Neuss im Mai stand nicht etwa ein Chinese im Mittelpunkt – sondern ein japanischer Unternehmer und Zen-Priester: Kazuo Inamori. Seine Managementphilosophie, die Ethik und Wirtschaft vereint, war der rote Faden eines interkulturellen Austauschs, der neue Perspektiven für Führung und Verantwortung eröffnete.

Rund 80 Gäste waren gekommen, einige aus dem Bildungs- und Unternehmerumfeld sowie 34 Unternehmerinnen und Unternehmer, die extra aus China angereist waren. Es war das erste Wirtschaftsforum in Deutschland, das von chinesischer Seite initiiert wurde. Veranstaltet wurde es vom Verein „Deutsch-Chinesische Bildung und Fortbildung“ mit Sitz in Braunschweig und der Kazuo Inamori (Beijing) Management Consulting Co., Ltd. Das Ziel: Brücken bauen – zwischen Ost und West, Ökonomie und Ethik, Wirtschaft und Menschlichkeit.

Ein Unternehmer als Vorbild: Kazuo Inamori

Im Zentrum des Treffens stand das Wirken des japanischen Unternehmers Kazuo Inamori (1932–2022), Gründer von Kyocera und KDDI. Kyocera ist ein international tätiger Technologiekonzern mit Sitz in Japan, der für hochwertige Keramikbauteile, Elektronik und industrielle Präzision steht. KDDI zählt zu den führenden Telekommunikationsunternehmen Japans und bietet innovative Lösungen in den Bereichen Mobilfunk, Festnetz und IT-Dienstleistungen.

In Japan gilt er als Legende – nicht nur, weil er zwei Global-500-Unternehmen aus dem Nichts aufgebaut hat. Mit 78 Jahren übernahm er freiwillig und ohne Gehalt die Leitung der damals insolventen Fluglinie Japan Airlines – und führte sie mit einer radikalen Neuausrichtung zurück zum Erfolg. Seine Methode: ein ethisch fundiertes Führungsverständnis, geprägt von Verantwortung, Sinnsuche und Menschlichkeit.

Inamoris Formel: Das Ergebnis des Lebens und der Arbeit = Denkweise × Einsatz × Fähigkeit. Dabei ist die Denkweise der stärkste Hebel – und kann, wenn sie negativ ist, auch bei hoher Intelligenz und Anstrengung ins Negative kippen. Selbst Hitler sei, so Inamori, ein Beispiel dafür: enorme Fähigkeit und Einsatz – aber destruktive Denkweise.

Cao Xiuyun, Vorsitzender der Inamori Management Consulting in Peking und langjähriger Vertrauter des Japaners. Fotos: (c) Jochen Rolfes

Ethik als Unternehmensstrategie

Eingeführt in das komplexe Gedankengebäude Inamoris wurde das Publikum von Cao Xiuyun, Vorsitzender der Inamori Management Consulting in Peking und langjähriger Vertrauter des Japaners. Cao kennt nicht nur die Biografie und Bücher Inamoris – er hat sie ins Chinesische übersetzt, mit einer Gesamtauflage von über 20 Millionen Exemplaren. Er hat das sogenannte Seiwajuku-Netzwerk, eine ethisch-philosophische Managementschule, in China aufgebaut, in demüber 35.000 Unternehmerinnen und Unternehmer geschult wurden. Während die meisten Schulen nach dem Tod Inamoris verschwanden, lebt das chinesische Seiwajuku-Netzwerk bis heute fort – und setzt damit ein Zeichen für Beständigkeit und kulturelle Übersetzung.

Inamori ist auch der Erfinder des sogenannten „Amöben-Managements“ – ein dezentrales Führungsmodell, bei dem Unternehmen in kleine, autonome Einheiten gegliedert sind. Diese „Mini-Start-ups“ innerhalb der Organisation agieren eigenverantwortlich, erfassen selbstständig Einnahmen, Ausgaben und Wertschöpfung – und fördern damit Unternehmertum auf allen Ebenen. Bei Kyocera gibt es über 3.000 dieser Einheiten.

Werte als Maßstab für Entscheidungen

Cao Xiuyun schilderte in seinem Vortrag auch, wie Inamori seine Entscheidungen traf – nicht anhand von Nutzen, Gewinn oder Datenlage, sondern immer mit der Fragestellung: Was ist als Mensch richtig? Diese Denkweise zog sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Leben – von der Arbeit im Keramiklabor über das Krisenmanagement bei Japan Airlines bis zur Schulgründung in China. Inamori glaubte an eine Wirtschaft mit moralischem Kompass.

Auch deshalb beeindruckte der Vortrag viele Gäste: Die Managementphilosophie ist nicht nur eine betriebswirtschaftliche Lehre, sondern ein ethisches Plädoyer für eine andere Art des Wirtschaftens – jenseits kurzfristiger Shareholder-Logik.

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Verein für deutsch-chinesischen Bildungsaustausch

Der in Braunschweig ansässige Verein „Deutsch-Chinesische Bildung und Fortbildung“ engagiert sich seit Jahren für internationale Verständigung. Ziel ist der kulturelle und wirtschaftliche Brückenschlag, u. a. durch Kooperationen mit Hochschulen, Firmen und Bildungseinrichtungen. Die Vorsitzende Xiaoyan Huang sieht in Formaten wie dem Wirtschaftsforum einen wichtigen Schritt zu gegenseitigem Respekt und einer hoffnungsvollen Zukunft.

Cao Xiuyun im Interview

 „Wirtschaft ohne Moral ist Kriminalität!“

Cao Xiuyun kennt das Denken Kazuo Inamoris wie kaum ein anderer. Als langjähriger Weggefährte und Vorsitzender der Inamori Management Consulting in Peking brachte er die ethische Führungsphilosophie des japanischen Unternehmers nach China – und nun auch nach Deutschland.

Herr Cao, in einer Zeit, in der Shareholder Value und Wirtschaftswachstum um jeden Preis im Fokus stehen – wie können Unternehmen ethisch operieren?
Unternehmen müssen sich fragen: Was ist richtig als Mensch? Wenn das die Entscheidungsgrundlage ist, dann folgen gute Prozesse und daraus gute Ergebnisse. Es geht nicht allein um den betriebswirtschaftlichen Nutzen, sondern um das, was moralisch richtig ist – auch wenn es kurzfristig erst einmal keinen Profit bringt.

China wird international oft mit Produktpiraterie oder Industriespionage assoziiert. Was sagen Sie dazu?
Das war früher ein großes Problem. Aber die chinesische Regierung hat viel unternommen, um den Schutz geistigen Eigentums zu verbessern. Mittlerweile werden in China die meisten Patente weltweit angemeldet. Heute achten viele chinesische Unternehmen sehr genau auf Qualität und Ethik – auch, weil sie in internationalen Märkten bestehen wollen. Aber es gibt noch viel zu tun. Das Image Chinas kann sich nur durch langfristiges Vertrauen verändern.

Was bedeutet für Sie persönlich die Philosophie Inamoris?
Sie hat mein Denken verändert. Früher hatte ich viele Zweifel. Heute entscheide ich mit mehr Zuversicht. Wenn mein Startpunkt richtig ist und mein Handeln aufrichtig, dann kann das Ergebnis nicht falsch sein.

Welchen Prinzipien verpflichten sich Unternehmen, die sich der Inamori-Schule anschließen?
Sie verpflichten sich, ehrlich zu sein, transparent und verantwortlich – gegenüber Kunden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der Gesellschaft. Und sie müssen sich einer ständigen Selbstreflexion stellen. Es gibt kein Zertifikat – aber gute Produkte entstehen aus einem guten Herzen.

Und welchen Beitrag kann Deutschland leisten – als Brückenbauer zwischen China und der westlichen Welt?
Indem es zuhört und gleichzeitig eigene Werte lebt. Wenn beide Seiten langfristig an gemeinsamen Lösungen interessiert sind, statt nur an kurzfristigem Gewinn, entsteht Vertrauen. Inamoris Philosophie ist universell. Sie überwindet Grenzen, Ideologien und sogar Systeme.

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