Wir trafen Pirlos Erfinder, den Anwalt und Strafverteidiger Ingo Bott, in seiner Kanzlei in Pempelfort. Bott hat schulterlanges schwarzes Haar und einen Vollbart und sieht damit Pirlo auf dem Buchcover verdammt ähnlich. Beim Italiener um die Ecke interviewen wir den Strafverteidiger bei seinem Leibgericht Penne mit Thunfisch alla putanesca (wörtlich: nach Hurenart). Plakate seiner Kriminalromane und Ankündigungen zu Lesungen hängen an der Wand. Die Pirlo-Romane stehen wohldrapiert im Regal.

Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine, Theodor Storm, Franz Kafka, Bernhard Schlink, Ferdinand von Schirach und Juli Zeh – nicht wenige Juristen widmeten sich irgendwann mit großem Erfolg der Schriftstellerei. Ingo Bott ist hauptberuflich Strafverteidiger und hat mit dieser Tätigkeit bereits bundesweit für Aufsehen gesorgt: Er verteidigte beim Love-Parade-Prozess den früheren Planungsdezernenten Jürgen Dressler, beim Cum-Ex-Skandal den Londoner Fondsmanager Henry Gabay. Beim Diesel-Skandal gelang es dem Juristen, seinem Mandanten die Anklagebank zu ersparen. 2023 flog Bott nach Paraguay, um im Fall der Essener Kindesentführung zu vermitteln. Bevor Bott 2018 seine eigene Kanzlei Plan A – Kanzlei für Strafrecht in Düsseldorf gründete, war er Partner einer Wirtschaftskanzlei, die im Love-Parade-Prozess die Verteidigung übernommen hatte. „Unser Mandant Dressler war doppelt so alt wie ich. Trotzdem sagte er kurz vor Prozessbeginn, dass  er es mit dem Langhaarigen alleine machen wolle.“ Also musste eine eigene Kanzlei her.

Und dann ist man auf einmal ganz nah dran an den Mandanten, die das wahre Leben einholt und die sich fragen, was eigentlich gerade mit ihnen passiert und was die anderen Leute nun von ihnen denken mögen. Diesen Weg mit den Mandanten gemeinsam zu gehen und sich dabei auch gegenseitig auszuhalten, darin sieht Bott die eigentliche Herausforderung, aber er spürt offensichtlich auch viel Druck im Kessel. „Schließlich bin ich verantwortlich für das Leben von Menschen.“

Eigene Kriminalgeschichten zu erfinden, das ist sein Ventil, vielleicht sogar seine Art der Katharsis, der Seelenreinigung. Botts erster Roman „Das Recht zu Strafen“ erschien im Jahr 2017. Bott ging mit seinem Erstlingsbuch auf die Frankfurter Buchmesse. Dort nahm ihn  Fischer Scherz unter Vertrag. 2021 erschien der erste Pirlo-Roman „Gegen alle Regeln“. Für Pirlo stand die italienische Fußballlegende Andrea Pirlo Pate.  Geschrieben hat Bott während des Lockdowns und er geizte nicht mit Düsseldorfer Locations. Dies und die szenische Sprache lockten Regisseure, doch die Pandemie machte dem Dreh einen Strich durch die Rechnung. Die Filmrechte sind jedoch verkauft und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die erste Pirlo-Krimiserie  gedreht wird – am Medienhafen, in der Casa Palmieri auf der Inselstraße, im Primitivo auf der Mauerstraße, auf dem Carlsplatz, im Café Frida in Unterbilk oder im KIT am Rheinufer.

„Wenn du in meinem Beruf so aussiehst wie ich, kannst du es entweder gar nicht oder richtig. Gar nicht ist quasi ausgeschlossen, wenn einer mit Prof. Dr. Dr. ankommt. So denken die Leute. Dann wird bestimmt auch was dran sein.“  Ingo Bott

Ist Pirlo Botts alter Ego?

Wieviel vom Autor im Romanhelden steckt, ist eine Frage, die Schriftstellern oft gestellt und von ihnen meist ausweichend beantwortet wird. Bei Ingo Bott liegt die Sache anders. Er legt überall Spuren aus, legt es geradezu darauf an, dass man sich selbst detektivisch auf die Suche begibt. In seiner Kanzlei hängt ein Poster der britischen Rockband Oasis, daneben eines von Muhammad Ali – wie auch in Pirlos Wohnzimmerkanzlei in der Düsseldorfer Carlstadt. Und da ist natürlich noch das Äußerliche. Gut ist, dass Ingo Bott sich nicht so oft an den Bart fasst oder sich mit seinen Haaren beschäftigt und Locken dreht wie Pirlo. Außerdem spricht er klar und gewählt, brummt und schreit nicht wie Pirlo – zumindest nicht beim Interview – und strafft auch nicht dauernd den Rücken, wie seine Romanfiguren in jedem Band.

 Warum schafft man sich als Strafverteidiger ein alter Ego, dem man eine Biographie zuschreibt, die der eigenen in vielen Punkten so sehr ähnelt? Beide haben ein Abitur von 1,0 hingelegt. Beide sind promovierte Juristen – nur ihr Elternhaus unterscheidet sich und das gewaltig. Bott stammt aus einer gutbürgerlichen Familie, Mutter Grundschullehrerin, Vater Ingenieur. Anton Pirlo hingegen hieß vor seinem Jurastudium Ramzes Khatib und war der Sohn des „Arabers“. Der hatte sich darauf spezialisiert, anderen gegen Provision mit falschen Anmeldungen, Sozialversicherungstricks und anderen bürokratischen Manipulationen unter die Arme zu greifen. Während seine Brüder Mahmed und Ahmid sich im Clan-Milieu pudelwohl fühlen und immer auf das ganz große Ding hoffen, versucht Pirlo krampfhaft seine Herkunft zu vertuschen und Karriere zu machen.

Ab da laufen die CVs wieder parallel bei Pirlo und Bott. Beide promovieren bei Koryphäen im Strafrecht, führen eine Kanzlei, wobei die von Bott gut läuft, während Pirlo entweder pleite ist oder mit einem Bein im Knast steht, zumindest bei seinem neuesten Fall. Dafür hat Pirlo die schöne Sophie Mahler aus bestem Anwaltsstall, die der zehn Jahre ältere Pirlo von seinem ehemaligen Professor übernimmt und die an seiner Seite (wenn er denn mal da ist) nicht nur enorm viel lernt, sondern ihn auch bewundert und insgeheim schon liebt. Das ist der triviale Teil der Kriminalromane, die sich als Unterhaltungskrimis gut lesen und auch ihre witzigen Momente haben. Zum Beispiel als Bott den Trainer von Eintracht Düsseldorf beschreibt, der übrigens später knapp mit dem Leben davonkommt: „Pirlo folgt Dallmanns Blick zu dem in der Coaching-Zone auf und ab tigernden jungen Mann mit der hohen Stirn und dem markanten Dreitagebart. Er trägt weiße Sneaker, einen engen Pullover und eine über den Knöcheln abschließende Röhrenhose. Jedenfalls optisch ist er damit schon mal bundesligatauglich.“ (S. 214)

„Düsseldorf ist eine gute Stadt für Glücksritter.“ Ingo Bott

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Ingo Bott

Bott beschreibt sich als umtriebigen Typen. Nach dem Abitur wollte er durch die Welt reisen und Schriftsteller werden. Dann entschied er sich doch für etwas Vernünftiges, bei dem Notenschnitt also Medizin oder Jura. Weil Bott gerne mit Sprache umgeht, schrieb er sich in Freiburg für Jura ein, studierte in Sevilla und Montevideo. Seitdem er 21 Jahre ist, gondelt er durch die Welt und hält Vorträge über das deutsche Strafrecht. „Das ist ein echter Exportschlager.“ Promoviert hat er über den sogenannten Lebensnotstand bei Katastrophen wie bei einem Flugzeugabsturz. „Zur Triage bin ich deshalb während der Corona-Pandemie auch befragt worden. Gebraucht hat man sie Gott sein Dank nicht.“  Seit 2021 ist der Jurist Honorarprofessor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Compliance an der Universidad Tecnológica in Lima, der größten Privatuniversität in Peru.

Ob seine Kriminalromane potenzielle Mandanten abschrecken und damit seinem ersten Standbein in die Quere kommen? Diese Erfahrung hat Ingo Bott noch nicht gemacht: „Meine Mandanten denken wohl eher: Der Typ springt auf der halben Welt herum, schreibt Bücher und ist ein bekannter Anwalt. Wer so viel schafft, für den ist auch mein Fall kein Problem.“

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Pirlo - Doppeltes Spiel

Strafverteidiger Anton Pirlo erwacht im Marienhospital Düsseldorf – übel zugerichtet, mit gebrochener Nase und finanziell am Ende. Sein Bruder Ahmid besucht ihn und bringt ihn nach Clan-Manier dazu, mit in seine Geschäftsidee einzusteigen, Manager von Fußballern zu werden. Und Ahmid hat auch schon einen Spieler im Visier: das junge Fußballtalent Serdar Tuncay. Serdar spielt in der Jugend von Eintracht Düsseldorf, die sich für die erste Runde des DFB-Pokals qualifiziert hatte. In dem Spiel gegen Fortuna Düsseldorf wurde Serdar kurz vor Schluss eingewechselt und erzielte das entscheidende Tor.

Serdars Vater unterschreibt den Beratervertrag. Doch bei einem Besuch im Clubhaus stoßen Serdars Berater auf wenig Begeisterung. Kurz danach wird der Sportmanager Joachim Merkert tot aufgefunden: mit durchgeschnittener Kehle und ausgestochenen Augen. Pirlo steht unter Mordverdacht und wird verhaftet. Seine Kollegin Sophie Mahler bewirkt, dass Pirlo aus Mangel an Beweisen entlassen wird. Kurz darauf wird Roland Schmitz, der Präsident von Eintracht Düsseldorf, auf dieselbe Weise ermordet.

Pirlo muss nun herausfinden, wer die Fäden zieht – während ein heikles Video aus einer Umkleidekabine ans Licht kommt, das Serdar und seinen Fußballfreund Moritz zeigt. Die Hinweise auf Erpressung, Machtspiele und tiefere Abgründe im Fußballgeschäft verdichten sich. Doch nicht jeder spielt mit offenen Karten – und als Pirlo die Wahrheit erkennt, steht nicht nur seine Mandantschaft, sondern sein eigenes Leben auf dem Spiel.

Neben einem kleinen Jura-ABC zu den Grundzügen des Strafrechts befindet sich am Ende des Romans noch in einem „Mein Brief an Dich“ – die Erklärung dafür, was hinter dem Plot steckt. Mit seiner Kanzlei berät Ingo Bott Vereine, Verbände und Spieler. Er entwickelt beispielsweise präventive Compliance-Strategien, um Kinder und Jugendliche vor Übergriffen zu schützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, derartige Vorfälle zu melden und aufzuklären. Für Serdar und Moritz kommt diese anwaltliche Hilfe definitiv zu spät.

Das Buch ist erschienen im S. Fischer Verlag, weitere Infos

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