„Rechtsextreme sind keine
Aliens oder Außerirdische fernab
der Gesellschaft. Sie sind
Teil unserer Gesellschaft.“

Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sind typische Merkmale rechtsextremistischer Ideologien. Sie stehen im klaren Widerspruch zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und bedrohen diese. Bundesweit wächst der Zuspruch für die Alternative für Deutschland (AfD). Zuletzt kam die Partei in Wählerumfragen auf Werte zwischen 18 und 22 Prozent. Laut dem Düsseldorfer Rechtsextremismus-Forscher Alexander Häusler hat sich die AfD mittlerweile zu einem Dach für Rechtsextreme in ganz Deutschland entwickelt. Wir trafen den Wissenschaftler, der sich seit über 20 Jahren mit dem Rechtsextremismus beschäftigt, an der Hochschule Düsseldorf und sprachen mit ihm über die rechtsradikale Bewegung in Deutschland, rechtsextreme Bruderschaften in Düsseldorf, die aktuelle Entwicklung der AfD und vor
allem über ihre politischen Inhalte.

„Die AfD ist mittlerweile ein Dach für den Rechtsextremismus in ganz Deutschland geworden.“ 

Wie erforschen Sie den Rechtsextremismus in Deutschland?

Wir verfolgen die aktuellen Entwicklungen. Wir gucken uns genau an, was verändert sich in der Republik und haben auch Nordrhein-Westfalen und Düsseldorf im Blick. Unseren Forschungsschwerpunkt gibt es schon seit 1987. Im Jahr 1994 sind wir vom Wissenschaftsministerium anerkannt worden. Da wir der Hochschule für Angewandte Wissenschaften angehören, ist es unser Anliegen, nicht nur für den wissenschaftlichen Elfenbeinturm zu produzieren, sondern auch möglichst anwendungsorientiert. Das heißt also, die Ergebnisse, was sich da so tut im rechten Feld, versuchen wir auch in die Gesellschaft zu transportieren. Das geschieht in Form von Bündnissen, von Institutionen und Gremien aus dem Wissenschaftsbereich, aber auch in der Politik und der Verwaltung, in Ministerien und auf kommunaler Ebene. Wir schauen auch, dass wir unsere Ergebnisse kommunal verbreiten können, arbeiten in unterschiedlichen Gremien mit. Wir weisen nicht nur auf die aktuellen Entwicklungen am rechten Rand hin, sondern geben auch Hinweise, was man dagegen tun kann.

 Wie kann man sich das konkret vorstellen? 

Wir machen Untersuchungen, z. B. aktuell zu den so genannten Bruderschaften, die sich hier in Deutschland und speziell auch in Nordrhein-Westfalen gegründet haben, in Düsseldorf die „Bruderschaft Deutschland“. Die Ergebnisse haben wir dann verglichen mit einer so genannten Bruderschaft, „Steeler Jungs“, die sich im Raum Steele in Essen gebildet hat und die auch zusammenarbeiten. Dazu haben wir Bürgerbefragungen im Stadtteil gemacht. Wir sind auf die Straße gegangen, haben die Menschen befragt, ob sie das kennen, wie sie das wahrnehmen, dass die Mitglieder der Bruderschaften dort patrouillieren. Wir nennen das wissenschaftlich „Vigilantismus“, also quasi ein Strotzen mit Gefährlichkeit und Gewalt. In der Regel werden weder Parolen skandiert noch Plakate getragen. Zu großen Teilen tragen sie Shirts und Mützen mit Runen-Aufschriften. Was den Eindruck erwecken soll, es ginge um Schutz, dient in Wahrheit der Einschüchterung und soll Angst vor einer angeblichen Gefahr durch Flüchtlinge und andere Einwanderer schüren. Das hat eine stark rassistische Note und ist eine Bedrohung für Menschen, die nicht in das Weltbild hineinpassen. Das haben wir dann vergleichend untersucht und die Ergebnisse nicht nur publiziert, sondern auch in Form von Veranstaltungen im Stadtteil widergespiegelt und den Bündnissen gegen Rechts als Handwerkszeug an die Hand gegeben. Wir verfolgen auch die Entwicklung der AfD seit ihrer Gründung nicht nur bundesweit, sondern auch für Nordrhein-Westfalen und haben dazu Untersuchungen gemacht, z. B. Expertisen für Gewerkschaften. Wir sehen rechte Strömungen nicht als Randphänomen, sondern auch immer im Verhältnis zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Die Rechten sind keine Aliens oder Außerirdischen, die fernab unserer Gesellschaft agieren. So hart das auch ist, die Rechten sind Teil unserer Gesellschaft. Wenn wir wirklich etwas dagegen unternehmen wollen, müssen wir uns auch als Gesamtgesellschaft damit auseinandersetzen. Das tun wir und dazu forschen wir. Wir machen Untersuchungen am ganz rechten Rand, d. h. wir beschäftigen uns mit der gewalttätigen Neonazi-Szene, aber auch mit dem Rechtspopulismus sowie mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen von Rassismus und Antisemitismus.

„Deutschland war jahrzehntelang eine
Art rechtsextremes bzw. rechtspopulistisches  Entwicklungsland.“

Das Bild des Rechtsextremismus in Deutschland hat sich gewandelt. Es beschränkt sich nicht mehr nur auf Skinheads und „Stiefelnazis“.

(c) Marek Peters / www.marek-peters.com

Ich komme nochmal auf die „Bruderschaft Deutschland“ in Düsseldorf zurück. Was findet da statt und wo, in welchem Stadtteil passiert das?

Begonnen hat das im Raum Garath. Das waren anfangs rechtsradikale Reste der Partei „Die Republikaner“, die dort gewaltaffine Leute in ihrem Umfeld eingesammelt haben. Und diese Leute haben dann in den Stadtteilen Garath und Reisholz angefangen, so genannte Patrouillen zu laufen, in denen sie mehr oder weniger informell uniformiert mit ihrem Logo in Runenschrift herumgelaufen sind und eine Drohkulisse als Bürgerwehr an den Tag gelegt haben. Diese Aktionen wurden verbunden mit Auftritten im Internet, die eindeutig rechtsextreme Inhalte hatten. Die Bruderschaft hat sich im Laufe der Zeit immer mehr radikalisiert und versucht, Ableger zu gründen, auch über den Düsseldorfer Raum hinaus. Das hat dann zu Kontakten mit anderen Gruppen geführt. Es gab hier u. a. sehr starke Bezüge zur Hooliganszene aus dem Fortuna-Umfeld. Dort haben sie versucht, Fuß zu fassen und sich als rechte Bruderschaft bzw. als rechte Bürgerwehr zu etablieren. Nachdem jetzt Verfahren gegen den rechten Terrorismus begonnen haben, haben Teile der Gruppierung versucht, sich zu distanzieren. Die Bruderschaft hat sich jetzt dem Namen nach aufgelöst. Aber die Leute sind immer noch agil und in der Folgezeit bei Anti-Corona-Protesten und jetzt auch bei den Protesten, die im Kontext des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vonstattengehen gehen, mit aufgelaufen.

Von wie vielen Mitgliedern sprechen wir da?

Der Staatsschutz spricht von unter 100 Personen, also eher im mittleren zweistelligen Bereich. Allerdings haben dieses gewaltstrotzende Gehabe, diese martialischen Logos in Runenschrift auf T-Shirts und Aufklebern etc. eine große Anziehungskraft auf junge, rechtsaffine Leute, die eben gerne irgendwie mitmachen wollen und so eine Droh- und Gewaltkulisse toll finden und sich dabei aufgewertet fühlen. Deshalb haben sie auch einen großen Anhang rekrutiert.

Spielte sich das eher in den Randbezirken ab, in denen eher einkommensschwächere Schichten leben?

Interessanterweise ist das in Düsseldorf der Fall. Allerdings sind das größtenteils Leute, die schon älter sind. Alte Hooliganstrukturen, alt gewordene Familienväter, die früher als Jungspund als Hooligans bei Fortuna und auf rechtsextremen Aufmärschen aufgefallen sind, und die jetzt einfach etabliert sind, z. B. im Handwerk und in vielen anderen ähnlichen Berufszweigen.

 Aus welchen Schichten stammt denn überwiegend die rechte Szene in Deutschland?

Die rechte Szene ist äußerst heterogen. Sie reicht vom rechtspopulistischen, extrem rechten Parteienspektrum bis hinein in die militante Neonaziszene, also bis hin zu Anknüpfungspunkten an rechten Terror und Terrorismus. Das heißt also sehr breit. Was diese Leute verbindet, ist der Rassismus und ein deutscher Nationalismus. Das ist das Bindeglied zwischen allen. Man kann sich das bildlich so vorstellen: Der ältere Wohlstandsbürger, der sich selbst als nationalkonservativ empfindet und dabei extrem rechtes Gedankengut hat, der würde sich nie mit den „Stiefel-Nazis“ gemein machen aus einer Bruderschaft, die durch die Straßen ziehen. Aber er würde die AfD wählen und „Ausländer-raus“-Petitionen unterschreiben. Also etwas völlig anderes als jemand, der sich Adolf Hitler auf den Arm tätowiert. Dementsprechend gibt es auch keine Patentlösung im Umgang.

Wie hat sich der Rechtsextremismus in Deutschland in letzter Zeit verändert?

Der Rechtsextremismus hat sich in den letzten zehn Jahren grundlegend gewandelt und unsere Handhabungen und auch unsere Aufklärungsbroschüren hinken teils stark hinterher. An Schulen oder in der außerschulischen Bildungsarbeit findet man oft noch Material oder Aufklärungsbroschüren von vorgestern. Da wird Rechtsextremismus noch als Randphänomen skizziert, reduziert auf Skinheads, gewalttätige Aktionen, rechte Rockmusik und dergleichen oder auf Wahlparteien wie die NPD. Das alles spielt heute nur noch eine marginale Rolle. Es hat sich grundsätzlich sowohl soziokulturell als auch wahlsoziologisch massiv geändert. Ein Parameter dafür ist eben anhand der Entwicklung der AfD abzusehen, die sich seit ihrer Gründung massiv verändert und immer radikaler weiter nach rechts entwickelt hat. Die AfD ist mittlerweile ein Dach für den Rechtsextremismus in ganz Deutschland geworden.

Was heißt das genau?

Dass alle unterschiedlichen rechtsextremen Gruppierungen, so spinnefeind sie sich auch untereinander sein mögen, die AfD als ein Zugpferd nutzen und entweder die AfD unterstützen oder mit ihr zusammenarbeiten.

 „Die AfD will das Recht haben, andere zu diskriminieren und verkauft das als Meinungsfreiheit. Und wenn sie in der Öffentlichkeit kritisiert wird, heißt es‚ in Deutschland herrscht keine Meinungsfreiheit.“ 

Wie kam es dazu, dass sich die AfD auch im bürgerlichen Lager derart stark positionieren konnte?

Rückblickend kann man sagen, dass Deutschland jahrzehntelang eine Art rechtsextremes bzw. rechtspopulistisches Entwicklungsland war. Die Prozesse, die sich in unseren Nachbarländern schon vor vielen Jahren vollzogen haben, sind hierzulande mit ein paar Jahren Verspätung eingetreten. Während sich in Holland, Frankreich, Italien und Österreich querbeet schon lange rechtslastige und extrem rechte Gruppierungen in der Mitte der Gesellschaft etabliert haben, war das in Deutschland die längste Zeit nicht der Fall. Das hat sehr viel mit dem Nationalsozialismus und der
Shoah zu tun und der Scheu, dass große Teile des rechten Bürgertums nicht mit einer offenen rechtsextremen Partei in Verbindung gebracht werden wollten. Studien zur politischen Einstellung der Bürger seit Beginn der 1980er Jahre zeigen, dass diese rechte Gesinnung jedoch immer schon vorhanden war. Konkret war und ist in Deutschland sehr wohl immer ein rechtsextremes Potenzial von teilweise 10, 12 bis 20 Prozent oder darüber vorhanden. Aber die Leute haben nicht rechtsextrem gewählt, weil sie damit nicht identifiziert werden wollten. Das hat sich mit der Gründung der AfD fundamental geändert. Die AfD hatte „den Vorteil“, dass sie nicht aus der rechtsextremen Ecke kommt. Im Unterschied zu anderen rechten Parteien lag ihr Ursprung nicht im Rechtsextremismus, sondern im nationalkonservativen Liberalismus. Sie hatte zwar schon immer einen rechtsextremen Flügel in sich, aber der war am Anfang nicht so öffentlich präsent wie heute. So hat sie lange eine Art weichgespültes rechtes Bild abgegeben und die Leute dachten, die kann ich ja wählen, ohne dass ich mich oute.

Auch mit ihrer Namensgebung traf die „Alternative für Deutschland“ voll ins Schwarze.

Bei der Gründung der AfD vor zehn Jahren inmitten der Eurokrise und dem Credo von Angela Merkel: „Die Rettung des Euro ist alternativlos“ hat die AfD gesagt: „Halt, nein, es gibt immer eine Alternative, nämlich uns, eine nationale Alternative, eine deutsche Alternative, die Alternative für Deutschland.“ Damit hat sie eine Lücke im Wahlsystem für rechtsaffine Wähler besetzt. Und die sind voll darauf eingestiegen, was auch dazu geführt hat, dass andere rechtsextreme Parteien ihre Wähler verloren haben. Die NPD ist nicht mehr im Parlament vertreten. Auch andere rechtsextreme Parteien haben keinen großen Einfluss mehr. Die AfD hat alles wie ein Schwamm aufgesogen, auch die Aktivisten aus anderen rechtsextremen Parteien. Die sind alle rübergewandert zur AfD. So ist sie auch zum Sammelbecken für Rechtsextreme aus anderen Gruppierungen geworden. Das erklärt auch, dass die Partei sich im Laufe ihres Werdegangs konstant radikalisiert hat. Das führt wiederum dazu, dass sie eine starke Sogwirkung auf das gesamte rechte Spektrum hat. Alle Leute, die rechts ticken und rechts organisiert sind, sagen sich: „Wo geht was? Oh, das ist ja interessant, die größte Oppositionspartei im Bundestag und wir können da mitmischen und wir können da vielleicht sogar Referentenstellen bekommen, wenn wir da eintreten.“ Für die Wähler wiederum ist es eine Art Normalisierung gewesen. Wenn du im Bekanntenkreis zugegeben hast, du wählst die NPD, dann warst du bei vielen direkt unten durch. Wenn du heute sagst, du wählst AfD, ist das etwas völlig anderes, weil die AfD im öffentlichen Bewusstsein nicht mit der NPD gleichgesetzt wird.

$

Rechtsextremismus/Neonazismus (FORENA)

Der Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus (FORENA) existiert seit 1987 an der Hochschule Düsseldorf. Zunächst unter der Bezeichnung „Arbeitsstelle Neonazismus“ wurde er von der Friedensforscherin Christiane Rajewsky als Reaktion auf das vermehrte Auftreten von Rassismus und extrem rechten Ausdrucksformen bei Jugendlichen ins Leben gerufen. Im Jahr 1994 erkannte das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen die Institution als Forschungsschwerpunkt an. 

Ziel des Forschungsschwerpunktes ist es, auf Basis kritischer wissenschaftlicher Analysen zur extremen Rechten sowie zu rechtsradikalen Erscheinungsformen die Gesellschaft zu stärken. Neben Grundlagen- und anwendungsbezogener Forschung ist daher die Qualifizierung und beratende Unterstützung gesellschaftlicher Akteure ein wichtiges Arbeitsfeld. Dazu werden verschiedene Publikationen, Projekte, Veranstaltungen und Qualifizierungs- bzw. Beratungsangebote zur Sensibilisierung angeboten – häufig in Kooperation mit anderen Akteuren des Landes Nordrhein-Westfalen. Seit seiner Gründung hat der Forschungsschwerpunkt zahlreiche Forschungsprojekte zur Weltanschauung und Praxis der extremen Rechten, zu aktuellen Erscheinungen von Alltagsrassismus und Ausgrenzungsmechanismen, zum Nationalsozialismus und seinen Folgen durchgeführt. Mit dem Umzug der Fachhochschule Düsseldorf an den Standort in Düsseldorf-Derendorf im Jahre 2015 hat der Forschungsschwerpunkt auch die Verantwortung für den dort entstandenen Erinnerungsort Alter Schlachthof übernommen, von dem aus im Nationalsozialismus Juden deportiert wurden.

Weitere Informationen 

Und wie zahlen die rechten Proteste auf die AfD ein?

Man kann das an dem Spruch des rechtsextremistischen Landesführers in Thüringen, Björn Höcke, festmachen, der gesagt hat: „Die AfD ist eine Bewegungspartei. Wir dürfen uns nicht damit aufhalten, immer nur Parlamentspolitik zu machen. Wir müssen raus auf die Straße.“ Man kann das sehr stark an der Flüchtlingsthematik sehen. Wenn eine Flüchtlingswelle ankommt und die Kommunen sie aufnehmen, gibt es immer Proteste dagegen. Die Bürger sagen: „Wir wollen hier keine Ausländer haben.“ Und die AfD ist so eine Art Verstärker, die geht rein in die Proteste und heizt diese noch an. Das ist die zweite Gefährlichkeit dieser Partei, dass sie nicht nur die Wählerstimmen einsammelt, sondern auch, dass sie Mitglieder der rechten Protestbewegung einsammelt.

 Wo fängt überhaupt Rechtsextremismus an und was ist noch nationalkonservativ?

Die Grenze ist bei der AfD nicht so leicht zu ziehen, weil sie eben beides ist, sowohl nationalkonservativ und nationalliberal als auch extrem rechts. Die AfD hat seit ihrer Gründung aus drei Flügeln bestanden, aus Leuten, denen die CDU damals unter Merkel zu soft war. Das waren die sogenannten Nationalkonservativen wie Gauland und Adam. Ehemalige CDU-Mitglieder, die aufgrund des Kurses von Angela Merkel ausgetreten sind. Das waren Nationalkonservative aus dem Großbürgertum und Nationalliberale wie Lucke und dergleichen oder Olaf Henkel, der ehemalige BDI-Präsident. Also Leute, die eine nationalliberale Agenda verbunden haben mit nationalkonservativen und eben auch extrem rechten Ansätzen. Es gab schon damals einen extrem rechts ausgerichteten Flügel bei der AfD, der allerdings in der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen wurde. Der Rechtsextremismus gehört zur DNA der AfD. Im Zuge der Entwicklung ist der rechtsextreme Teil immer stärker geworden. Mittlerweile hat sich die AfD wie ein Chamäleon gewandelt. Anfangs unter Lucke und Henkel war sie eine proatlantische Partei, die also mehr für die NATO gewesen ist. Im Zuge der Wahlerfolge in Ostdeutschland veränderte sich das, auch maßgeblich unter der Ägide von Alexander Gauland, der gesagt hat: „Wir dürfen diesen neoliberalen und prowestlichen Kurs nicht fortsetzen. Wir setzen eher auf Putin.“ Dann hat die AfD sich um 180 Grad gedreht. Jetzt hat sie eine anti-amerikanische Ausrichtung und ist zugleich pro Putin. Das sieht man auch in der Positionierung gegenüber dem russischen Angriffskrieg.

War das bei der Anti-Corona-Bewegung nicht ganz ähnlich?

Die AfD ist auf jeden Zug aufgesprungen, der sich ihr geboten hat. Sie war am Anfang, nach der ersten Bundestagswahl, schon fast wieder am Ende, fast unter fünf Prozent. Dann kam die Flüchtlingsproblematik. Laut O-Ton von Alexander Gauland „ein Segen für die Partei“. Die AfD stieg wieder, indem sie auf die Flüchtlingsproblematik gesetzt hat. Dann hatte sich das ausgereizt. Weil nur gehetzt worden ist gegen Flüchtlinge und das allein nicht mehr gezogen hat. Dann kam Corona und die AfD, die am Anfang die Bundesregierung kritisiert hat, zu wenig Maßnahmen zu entwickeln, hat sich wieder komplett gedreht und ist dann auf den Anti-Corona-Zug aufgesprungen, weil sie dachte, es gibt einen Protest, den sie für sich nutzen kann. Jedoch hat die Coronakrise ihnen nicht so viel genutzt wie ihr Steckenpferd, die Flüchtlingskrise. Und darauf setzt sie jetzt auch. Das Flüchtlingsthema ist das Thema Nummer eins, nicht nur der AfD, sondern jeglicher rechtsextremen Partei.

Und ist das auch das Thema, womit die AfD ihre Wähler fängt?

Jein. Das Maßgebliche, warum sie die Leute einfängt, ist, dass die AfD eine rechtsextreme Partei mit einer rechtspopulistischen Agenda ist. Dabei soll Rechtspopulismus nicht als eine Art weichgespülter Rechtsextremismus verstanden werden, sondern eher als eine Art der politischen Inszenierung. Diese Inszenierung lebt davon, dass die Probleme in der Gesellschaft personalisiert werden. Es gibt nicht nur ein Übel, sondern auch einen Schuldigen, der dafür verantwortlich ist. Wenn dieser „eliminiert“ wird, ist alles wieder gut. Das personalisierte Feindbild wird transportiert durch eine Eskalationsstrategie. Die AfD will das Recht haben, andere zu diskriminieren und verkauft das als Meinungsfreiheit. Und wenn sie in der Öffentlichkeit dafür kritisiert wird, heißt es : „In Deutschland herrscht keine Meinungsfreiheit. Das einfache Volk darf seine Meinung nicht mehr sagen.“ Diese rechtspopulistische Eskalationsschraube wird immer höher gedreht. Das ist auch ein Grund, warum das so fruchtbar ist. Ein weiterer Grund ist mit Sicherheit auch der mediale Umgang damit.

Was machen die Medien falsch?

Häufig wird nicht über die Inhalte berichtet, die die AfD vertritt, sondern eher der moralische Tabubruch kritisiert. „Wie kann man so etwas nur sagen? Wie kann man so etwas nur machen? Die Schlimmen, die Bösen …“ Und das nutzt der AfD, nach dem Motto „Bad news are good news“. Das sieht man jetzt auch am Umfragehoch. Die AfD war wochenlang auf Platz eins in den Nachrichten, auf der ersten Seite, in der Tagesschau, überall, und es wurde immer wieder berichtet: „Oh, wie furchtbar das ist, dass die AfD jetzt so viel Zustimmung kriegt.“ Aber es wird nie auf die Inhalte geguckt. Aktuelle Studien hingegen zeigen, wenn man sich inhaltlich mit der AfD auseinandersetzt, kann man den Menschen verdeutlichen, dass gerade die Wähler der AfD diejenigen sind, die am meisten von Kürzungen und Einschränkungen der AfD-Politik betroffen wären und die massiv in ihren Interessen beschnitten würden. Die Menschen gehen also nur dahin, weil sie nicht verstehen, was die AfD eigentlich will, und auf diese rechtspopulistische Inszenierung hereinfallen. Das ist eine fatale Entwicklung, die durch die eingeschränkte mediale Rezeption verstärkt wird.

Gehen wir doch einmal ganz konkret in die Inhalte. Was will die AfD?

Entgegen ihrer sozialpopulistischen Rhetorik will die AfD ganz klar eine neoliberale Politik. Bezüglich Rente, Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik will sie eine Kürzung von Sozialhilfe und Renten und eine Niedrigstellung von Menschen, die Hartz IV. bekommen. Und sie ist alles andere als arbeitnehmer- und gewerkschaftsfreundlich ausgerichtet. Die AfD will Protektionismus, sie richtet sich gegen die Globalisierung. Es hätte auch wirtschaftlich fatale Folgen, wenn sie an Einfluss gewinnt. Die AfD ist EU-feindlich. Sie strebt trotz ihres letztlich beschlossenen Nicht-Mehr-Erwähnens des Dexits bzw. der Exitstrategie aus der EU, ein Bündnis rechter Parteien im Europaparlament an, das darauf ausgerichtet ist, die EU zu zerstören und zu zerschlagen. Die AfD steigert entgegen ihrer Rhetorik die Kriegsgefahr, indem sie sich für den Aggressor Putin im ukrainisch-russischen Krieg positioniert. Es gibt also eine ganze Latte von Aktivitäten, die entgegen ihrer eigenen Inszenierung einen Nachteil für die Leute darstellen, die sie wählen.

Die AfD wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Jugendorganisation ist als gesichert rechtsextrem eingestuft worden …

Einzelne Landesverbände der AfD werden auch bereits als rechtsextrem eingestuft, wie zum Beispiel der AfD-Landesverband Thüringen unter dem Rechtsextremisten Höcke. Die ganze Debatte um das Verbotsverfahren der AfD dreht sich darum, dass es möglicherweise eine Alternative wäre, den Antrag auf Verbot der Gesamtpartei zu stellen. Aber das müssen die Gerichte entscheiden, weil natürlich der Schutz einer Partei ein sehr schützenswertes demokratisches Gut ist. Auch aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus kann das kein Allheilmittel sein. Es sollte sich auf die Inhalte der Partei konzentriert werden und auch auf die Inhalte der anderen Parteien. Also vor allem auch auf Seiten der demokratischen Parteien zu schauen. Was können wir besser machen? Die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe hat einmal gesagt, dass gerade der fehlende Gegensatz zwischen links und rechts im demokratischen Spektrum dazu führt, dass rechte Parteien eine Leerstelle besetzen können. Im demokratischen Rahmen muss eigentlich wieder mehr gestritten werden als bisher und die Unterschiede zwischen den Parteien müssen wieder sichtbar werden. Es kann nicht sein, dass es nur einen Einheitsbrei gibt und jeder, der sagt „Ich bin Demokrat“, quasi dasselbe vertritt. Das ist auch etwas, was jetzt gerade krankt, bedingt durch die Ampelkoalition. Weil Parteien zusammengekommen sind, die inhaltlich teilweise gar nicht kongruent sind. Das führt dazu, dass man die Unterschiede kaschieren muss, um überhaupt einmal ein Gesetz durchzubekommen. Vielmehr wäre es wichtig, die eigenen parteipolitischen Profile wieder zu schärfen.

Wie gefährlich ist die AfD?

Wir stehen vor einer sehr problematischen Situation. Dieser Aufwind von rechts, nicht nur in Deutschland, sondern querbeet durch Europa und durch die ganze Welt, ist wirklich besorgniserregend und demokratiegefährdend. Die Demokratie als solche steht damit unter Beschuss. Das müssen wir uns vergegenwärtigen. Das bedeutet aber, dass man nicht in Katastrophenszenarien darüber berichtet, sondern vielmehr Schritte und Wege ermöglichen muss, um den Leuten die Wichtigkeit und die Bedeutung und auch den Nutzen und Segen von demokratischen, pluralen Verhältnissen deutlich zu machen. Der Spruch „Die schlimmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber“ macht deutlich, dass die Leute, die dazu tendieren, zu solchen autoritären nationalistischen Lösungen zu kommen, letztendlich gegen ihre eigenen sozialen Interessen verstoßen.

Wir haben jetzt über Deutschland, die EU und die Welt gesprochen – wie sieht es hier in NRW und in Düsseldorf aus?

Nordrhein-Westfalen war noch nie ein gutes Pflaster für extrem rechte Wahlparteien. Das gilt nicht für das rechtsextreme Bewegungsspektrum. Aber das Wahlspektrum von Rechtsaußen hatte es hier immer schwer. Hierzulande haben rechtsextreme Wahlparteien immer schlechter abgeschnitten als in anderen Bundesländern. Das hat auch mit einer vitalen Zivilgesellschaft zu tun. Durch die Industrialisierung durch den Ruhrpott war Einwanderung schon immer ein Teil der eigenen Geschichte und hat das Land geprägt. Das ist auch ein Grund, warum bestimmte rassistische Parolen nicht so gefruchtet haben wie vielleicht in anderen Ländern. Vor diesem Hintergrund können wir feststellen, dass sich das auch auf die AfD ausgewirkt hat. Zwar hat sich mit der AfD schon eine Verbreiterung des Rechtsextremismus ergeben, aber im Verhältnis zu anderen Bundesländern lag das im Vergleich bisher noch eher im unteren Bereich. Das kann sich allerdings ändern, wenn die Zeichen der Zeit nicht erkannt werden. Da muss man nicht nur auf die Umfragewerte schielen, sondern darauf, dass sich nicht nur in Ostdeutschland diese Zustimmungsraten ergeben, sondern auch in westdeutschen Bundesländern. Man kann das daran festmachen, dass die AfD nicht wegen ihrer „tollen“ Organisation gewählt worden ist, sondern trotz ihres chaotischen Gebarens und ihres zweifelhaften Personals. Die AfD in NRW ist alles andere als gut aufgestellt und ein mehr oder weniger zerstrittener Haufen, der in der Fläche gar nicht wahlkampffähig ist, und bisher auch nicht wahlpolitisch aktiv werden konnte. Bei den Wahlen, ob Kommunalwahlen oder Landtagswahlen, war die AfD bislang überhaupt nicht flächendeckend präsent und konnte sich nicht wirklich in den politischen Prozess einspielen. Sie ist mehr oder weniger im Zuge des Gesamtsoges der Partei gewählt worden.

Das kann man auch in Düsseldorf sehen. Die AfD hat auch in der Landeshauptstadt Düsseldorf bisher keine große Präsenz gezeigt. Aber das hatte nur teilweise Auswirkungen auf das Wahlverhalten. Auch in Düsseldorf ist die AfD nicht großartig aktiv gewesen oder durch besondere Realpolitik aufgefallen, sondern eher dadurch, dass Sitzungsgelder kassiert worden sind, ohne dass man überhaupt Präsenz gezeigt hat, oder irgendwelche anderen Skandale. Im Zuge der gesamtdeutschen Etablierung der AfD im Parteienspektrum hat sie sich aber auch in NRW und Düsseldorf tendenziell festgesetzt. Waren die Wähler zu Anfang Bessersituierte, sehen wir jetzt, dass vermehrt in sozialbenachteiligten Stadtteilen die AfD gewählt wird, z. B. in Garath, Düsseldorf Hafen, in bestimmten Bereichen von Lierenfeld, Reisholz und Wersten. Das sind Entwicklungen, die mehr als besorgniserregend sind.

Was kann man dagegen tun?

Wir haben immer schon gewisse rechte Wellen gehabt. Rechtsextreme Inszenierungen in Düsseldorf kennen wir zu Genüge. Aber bisher haben die Zivilgesellschaft und auch die Stadtverwaltung oft adäquat darauf reagiert. Wir hatten schon vor einigen Jahren eine rechtsextreme „Freie Wählergemeinschaft“ um einen Bäckereikettenbesitzer zusammen mit Rechtsextremen und Hooligans, die in den Stadtrat eingezogen sind. Die Düsseldorfer Stadtgesellschaft hat sich zusammengeschlossen und die Zivilgesellschaft positiv motiviert, etwas dagegen zu tun. Jetzt sind wir in einer Situation, in der vielfach gedacht wird, in Düsseldorf kann doch nicht viel passieren, aber bestimmte Entwicklungen, wie z. B. das Thema „Bruderschaft Deutschland“ sind auch verschlafen worden. Der Düsseldorfer Staatsschutz meinte zunächst: „Das ist Rocker- oder Hooligantum und das ordnen wir nicht dem Rechtsextremismus zu.“

Damit diese Entwicklung nicht auch für die AfD verschlafen wird, wäre es sehr stark anzuraten, dass auch präventiv dazu gearbeitet wird. Also nicht erst etwas zu unternehmen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, sondern vor der Etablierung einer neuen Kraft aktiv zu werden. Wir haben ja glücklicherweise jetzt die Situation, dass ein Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus für die Stadt Düsseldorf zum Ende des Jahres entwickelt werden soll. Dabei kann man eben nur hoffen, dass auch die richtigen Instrumente gesucht werden, um wirklich präventiv dagegen vorzugehen.

Was sind denn die richtigen Instrumente?

Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen sehr viele Programme und Angebote gegen Rechts. Dabei kommen vielfältige Initiativen zustande. Allerdings werden häufig die Bekehrten wieder bekehrt. Das heißt also, die Mittel werden eingesetzt, um die Leute zu erreichen, die man am einfachsten erreichen kann. Wir können aus der Wahlforschung sehr wohl auch kleinräumig sehen, wie sich rechtes Wählerpotenzial entwickelt. Und das sollte eben für das Amt und Statistik und Wahlen eine Aufforderung sein kleinräumiger im Sozialraum zu gucken. Wo entwickelt sich denn sowas und wo sind Bildungsangebote? Sind die Bildungsprogramme adäquat oder sind sie von vorgestern? Das ist alles noch nicht gemacht worden und vor allen Dingen ist auch noch keine Bestandsaufnahme zu extrem rechten Entwicklungen gemacht worden

Wer ist denn besonders schwierig zu erreichen?

Na, die Leute, die sich selbst als mehr oder weniger rechts sehen oder Leute, die sich für dieses Thema nicht interessieren. Es erreicht meistens die Interessierten. Die Aufklärungsarbeit sollte aber so entwickelt werden, dass den Nichtinteressierten deutlich gemacht wird, was es für Folgen hätte, wenn sich hier so ein Rechtsruck entwickelt, wie er sich in anderen Ländern wie in Ungarn, in Polen und dergleichen schon real entwickelt hat.

Und welche Folgen hätte das?

Entgegen dem Credo der Meinungsfreiheit ist das erste, was die Rechten ins Visier nehmen, die freie Presse. Das kann man in Ungarn und Polen stark sehen. Kritische Berichterstattung wird in den Blick genommen und denunziert. Es geht weiter im Wissenschaftsbereich: Lehrstühle für Feminismus, für Genderpolitik und dergleichen werden abgewirtschaftet, sie bekommen keine Gelder mehr. Stiftungen, Initiativen, Einrichtungen, die sich gegen Rassismus und gegen Diskriminierung einsetzen, werden beschnitten und die Aktivisten werden persönlich angegangen oder bedroht. Minderheiten werden aktiv diskriminiert. Und das Wählerpotenzial wird viel schlechter gestellt und hat unter den Folgen der Sozialpolitik der Rechten zu leiden. Entgegen den Vorstellungen, dass es ihnen dann besser geht.

Alexandra von Hirschfeld

Foto: Alexander Vejnovic

 „Das Maßgebliche, warum sie die Leute einfängt, ist, dass die AfD eine rechtsextreme Partei mit einer rechts-populistischen Agenda ist.“ 

Pin It on Pinterest