Die zwei Seiten der Yulia Vershinina: Stadträtin und Domina
Schwarzes Gothic-Outfit, hautenge Lederleggings, stahlblaue Fingernägel, ein großes Silberkreuz um den Hals – wie eine biedere Lokal-Politikerin sieht Yulia Vershinina nun wirklich nicht aus. Doch die Kunsthistorikerin sitzt seit 2020 für „Die Partei“ im Stadtrat von Neuss. Nebenbei arbeitet sie hobbymäßig als Domina. Ihr politischer Einsatz in der Kommunalpolitik und ihre Leidenschaft dafür Menschen zu quälen sind für sie kein Gegensatz. „Auch das ist eine Art von Kunst für mich.“ Im persönlichen Interview verriet sie uns mehr.
Fotos: (c) Jochen Rolfes
Wann startete Ihr politisches Engagement?
Im Januar 2015 trat mein Mann in „Die Partei“ ein, die von dem Satiriker Martin Sonneborn gegründet worden war. Er fragte, ob ich auch mitmachen wollte. Ich probiere gern etwas Neues aus und fand die Idee interessant, die etablierten Parteien etwas aufzumischen.
Und wie wurden Sie zur Stadträtin?
Später wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mich als Kandidatin in der Kommunalpolitik aufstellen zu lassen. Zu Anfang ging es vor allem um die Provokation, aber auch einer Satirepartei wird kein Sitz im Stadtrat geschenkt. Ich bin von Tür zu Tür gezogen, habe mit Bürgerinnen und Bürgern geredet und Unterschriften gesammelt. Offenbar konnte ich die Menschen überzeugen. Im Jahr 2020 zog ich in den Stadtrat ein.
Für welche Themen engagieren Sie sich?
Besonders wichtig ist mir das Neusser Clemens Sels Museum. Ich setze mich dafür ein, dass das Museum bzw. die Sammlung ein neues Zuhause bekommt, weil das Gebäude baulich und klimatisch nicht mehr dem aktuellen Standard entspricht. Kunstwerke von höchstem Rang gammeln dort einfach vor sich hin. Das ist fahrlässig und unverantwortlich.
Was treiben Sie sonst noch in der Kommunalpolitik voran?
Gerade passiert noch eine weitere Katastrophe in Neuss. Die Stadt Neuss hat das Kaufhofgebäude gekauft und möchte es tatsächlich als Shoppingcenter betreiben. Man sieht in anderen Städten, z. B. in München, dass das nicht funktioniert. Ich bin dafür, dass es abgerissen wird und stattdessen eine Grünfläche dort entsteht oder moderne Wohnkomplexe mit einem kleinen Park Square.
Wollen Sie weiter in der Politik bleiben?
Nun, erstmal müssen mich die Leute auch weiterhin haben wollen. Ich überlege noch mich wieder aufstellen zu lassen. Grundsätzlich ist es aber schon frustrierend. Wir sind von den Mitgliederzahlen her eine kleine Partei. Außerdem haben viele Mitglieder kein Interesse daran, konstruktive politische Arbeit zu leisten. Für sie ist es mehr eine Spaßpartei und damit lässt sich nicht unbedingt etwas erreichen.
Also ist die Politik auch eine Art Qual für Sie?
Die Sitzungen können schon manchmal quälend lang und ineffizient sein.
Yulia Vershinina, Domina und Politikerin
„Es ist schon traurig, dass Prostituierte ein Schimpfwort ist. Viele Politiker und Lobbyisten sind eher Nutten als eine Prostituierte.“
Yulia Vershinina, Domina und Politikerin
„Du Wurm, komm und küss‘ meine Schuhe, ist mir zu langweilig. Aber jemanden einvernehmlich ein bisschen zu foltern, macht schon Spaß.“
Als Domina quälen Sie andere Menschen, wie kamen Sie dazu?
Ich habe schon als Kind gewusst, dass ich irgendwie anders bin. Seit Freud wissen wir, dass Kinder ihre Sexualität ganz früh entdecken, ohne dass sie sie wirklich bewusst benennen und differenzieren können. Aber sie ist da.
Haben Sie andere Kinder gequält?
Ja, wir haben eben solche Spielchen gemacht. Auch Wahrheit oder Pflicht ist ja darauf angelegt. Und als Kind denkt man nicht darüber nach, dass man jemanden mit einem Kaktus nicht unbedingt streicheln sollte.
Worum ging es Ihnen dabei?
Mich hat dieser innere Kampf gereizt. Mein Gegenüber hat eingewilligt, dass ich das tun darf, weil er bei dem Spiel verloren hat, also muss er seine Pflicht erfüllen. Aber eigentlich will er das nicht. Und dieses: Ich muss, aber ich will nicht, aber irgendwie will ich doch ? das macht es so spannend. Aber schon damals war mir die Einvernehmlichkeit der Beteiligten besonders wichtig. Wohl unterbewusst verstand ich das Konzept des Konsenses im Rahmen der Regeln. Ganz im Gegenteil zu Mobbing, bei dem es kein Einverständnis des Opfers vorliegt, was ich am eigenen Leib in der mittleren Stufe in Russland erfahren durfte.
Yulia Vershinina, Domina und Politikerin
„Ich peitsche Menschen aus, gerne bis aufs Blut. Wobei Blut nicht unbedingt ein Indiz dafür ist, wie viel Schmerz das verursacht hat.“
Wie ist es bei Ihren Kunden heute?
Da geht es häufig auch um psychologische Kämpfe. Bei den Kunden ist es ein Zwang. Sie kommen freiwillig zu mir und wollen zu etwas gezwungen werden. Danach erleben sie ein befreiendes Gefühl. Das gab es schon im Mittelalter bei den Flagellanten, der christlichen Laienbewegung des 13. und 14. Jahrhunderts, die sich selbst gegeißelt und so von Sünden gereinigt haben. Das war dann auch befreiend. Vielleicht waren es auch versteckte Masochisten. Man weiß, dass Schmerz Endorphine erzeugt, also einen richtigen Hormon-Cocktail im Körper. Und weil u. a. Adrenalin ausgeschüttet wird, erlebt man eine Art Thrill dabei. Nachher, wenn der Hormoncocktail langsam im Blut abflacht, fühlt man sich sehr entspannt und erleichtert.
Kommen die Menschen mit einer konkreten Vorstellung zu Ihnen, die Sie umsetzen?
So in etwa. Ich sage ihnen natürlich auch, inwieweit ich das realistisch finde. Manche Menschen tendieren dazu, sich zu übernehmen. Sie sagen: Ich möchte das ganz hart, fies und gemein. Und ich sehe direkt, das wird nichts. Manchmal reicht dann schon ein Schlag aus. Spricht man im Vorfeld auch über Limits, Codes oder Stoppwörter? Meistens braucht man keinen Code. Man merkt bereits an körperlichen Reaktionen, dass jetzt das Limit erreicht ist. Manche wollen auch kein Stoppwort, damit sie es bis zum Ende durchleiden müssen bzw. dürfen.
Ganz konkret, was wünschen sich die Kunden?
Es gibt z. B. Rollenspiele. Mir machen abgedrehte und dennoch realistische, historische Rollenspiele sehr viel Spaß. Als Beispiel: Jemand möchte immer ein Römer sein, der von Amazonen gefangen genommen und gefoltert wird, um preiszugeben, wo die römischen Truppen sich befinden, welche Mannstärke sie haben usw. Er möchte nicht unbedingt sichtbare Spuren davontragen, aber man kann sehr schön Klammern setzen z. B. an die Ohren. Die tun ziemlich weh und man sieht danach nichts. Strom ist auch sehr vielfältig, ich verwende z. B. Viehtreiber. Ich peitsche auch Menschen aus, gerne bis aufs Blut. Wobei Blut nicht unbedingt ein Indiz dafür ist, wie viel Schmerz das verursacht hat.
Ziehen Sie daraus auch eine gewisse Befriedigung?
Auf jeden Fall. Ich bin tatsächlich auch ein bisschen masochistisch. Ich hatte gewisse Erlebnisse, in denen mir Schmerzen zugefügt wurden. Deshalb kann ich mich gut hineinversetzen. Schmerz ist auch nicht gleich Schmerz. Es ist ganz unterschiedlich, auf welche Art von Schmerz Leute stehen. Es gibt eher dumpfen Schmerz, wenn man mit einem schweren, großflächigen Gegenstand zuschlägt, wie mit einem Polizei-Schlagstock oder einem großen Kochlöffel. Ein Rohrstock, dünne Riemen oder eine Peitsche erzeugen eher einen spitzen, brennenden Schmerz. Viele Leute wollen auch eine sogenannte Deprivation. Deprivation heißt Sinnesentzug, also dass Sie praktisch nichts hören, nichts sehen und sich am besten auch nicht artikulieren können, dann auf sich selbst zurückfallen in ihr Inneres und nur noch fühlen.
Aus welchen Bereichen kommen Ihre Kunden?
Es sind ganz normale Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft. Viele kommen regelmäßig, einige kenne ich schon seit über zehn Jahren. Andere wollen es einfach nur einmal ausprobieren. Das ist ganz unterschiedlich, auch das Alter. Da reicht das Spektrum von 18 bis 80.
Und was sagt Ihr Mann dazu? Foltern Sie ihn auch?
Er hat einmal gesagt: Das Leben mit mir ist schon Folter genug. Tatsächlich haben wir uns auch in dieser Szene kennengelernt. Wir gehen auch gemeinsam auf solche Partys. Das ist auch eine Art Lifestyle.
Sie gehen ja sehr offen mit Ihrem „Hobby“ um, wie reagieren andere Leute darauf?
Die Frage ist halt, welche Leute? Meine Familie? Nicht gut. Deswegen habe ich ihnen das auch sehr lange verheimlicht. Seitdem meine Familie es weiß, ist es mir auch egal. Und es ist ja auch nicht so, dass ich auf der Straße erkannt werde und auf mich mit dem Finger gezeigt wird.
Über Yulia Vershinina
Yulia Vershinina wurde im russischen Sankt Petersburg geboren und kam im Alter von 15 Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland. Dort lebte sie zunächst in Osnabrück. Mit Anfang 20 begann sie, Kunstgeschichte in Düsseldorf zu studieren, die sie mit einem Master abschloss. Sie interessierte sich vor allem für die Schwarze Romantik und die Klassische Moderne. In der Pubertät verstand sie, dass ihre Faszination für Folter, Demütigung und Rache mehr war als eine Faszination. Später wurde sie Teil der sogenannten Schwarzen Szene sowie der BDSM-Community „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism and Masochism“. Sie ist Anhängerin der Gothic-Bewegung und trägt ausschließlich schwarze Kleidung.