Aufgewachsen ist Karin Grassl in Südtirol mit Feuersalamandern, Fischen und Fröschen. Wenn eines dieser Tiere krank war, hieß es immer: Da kann man nichts machen. Kann man eben doch, dachte sie und studierte Veterinärmedizin. Ihr Herz schlägt für Fische, Amphibien und Reptilien. Wir begleiten sie durch den Aquazoo, lernen Pearl, den Oktopus kennen, haben Körperkontakt mit einem Königspython und erfahren, wie man Muränen behandelt.
Eine der drei Mittelmeermuränen wollte plötzlich nicht mehr fressen. Das bemerkte Karin Grassl bei ihrer morgendlichen Visite durch den Aquazoo, die sie statt mit einem Ärzteteam in Weiß mit Stift und Notizbuch antritt. 5.000 Fische, Amphibien und Reptilien schaut sie sich an und bekommt Infos von den Tierpflegerinnen und Tierpflegern. Die Muräne litt also an Appetitlosigkeit und hatte zu viel Auftrieb. Da sie über messerscharfe, nadelspitze Zähne verfügt, kam eine Untersuchung ohne Narkose nicht in Frage. Doch wie narkotisiert man eine Muräne? Die Medizinerin recherchierte in der Fachliteratur, baute zwei Wasserbecken auf, eines mit dem Narkosemittel, eines als Aufwachbecken. Die Muräne verlor nach Plan ihr Bewusstsein, wurde geröntgt, ultrageschallt und Karin Grassl entnahm ihr Blut an der Unterseite der Schwanzflosse.
Fotos: (c) Klaus Richter
Stauchungen einiger Wirbel lautete ihre Diagnose. „Das kann passieren, weil Muränen sich gerne zwischen Steine klemmen. Da sie aber auch zu viel Auftrieb hatte, musste ich ausschließen, dass etwas mit ihrer Schwimm- blase nicht stimmt.“ Die Patientin erhielt Antibiotika, Schmerzmittel und Vitamine. Auch das ist im Muränenfall eine Herausforderung, da Muränen als einzige Tierarten neben dem Kiefer im Maul einen zusätzlichen Pharyngealkiefer im Schlund haben. Damit verhindert der aalartige Fisch, dass seine Beute ihm aus dem Mund entwischt. „Um ihr die Medikamente zu verabreichen, musste ich mit einem kleinen Schlauch durch den zweiten Kiefer, der während der Narkose geschlossen ist.“ Nun frisst die Gute wieder, befindet sich aber noch zur Beobachtung in einem eigenen Aquarium „auf Station“.
Vorsorgeuntersuchungen
In benachbarten Aquarien im Backstage-Bereich des Aquazoo schwimmen Meeresfische, die sich in Quarantäne befinden, weil sie Neuzugänge sind. Getestet werden auch alle neuen Amphibien per Abstrich auf den Salamander- und den Froschpilz, der weltweit auftritt. Das ist wichtig, weil auch Tiere ohne Symptome andere anstecken können. Gibt es grünes Licht aus dem Labor, kommen die Fische zu ihren Artgenossen. Nicht nur die Neuzugänge werden präventiv untersucht.
Zwei Mal im Jahr werden alle Amphibien im Bestand auf den Salamander- und den Froschpilz getestet, ein Mal im Jahr wird der Kot bei allen Tieren untersucht. Am Tag vor dem Interview gab es einen Todesfall. Ein Drückerfisch, der über 30 Jahre im Aquazoo gelebt hat, war verstorben. „Da hat sich das ganze Team von ihm verabschiedet.“ Sein Nachfolger schwimmt schon in einem Aquarium herum und wird sich nach der Quarantäne den Besuchern präsentieren.
Vor dem „Batman“-Becken
Wir verlassen den verwinkelten und feuchten Backstagebereich und gehen zum großen Becken, in dem Rochen ihre Runden ziehen. Ebenfalls im Becken tummeln sich kleine gelbe und große bunte Doktorfische. „Die heißen so, weil sie an jeder Seite ein kleines Skalpell besitzen, das sie zur Verteidigung ausfahren können“, erklärt die Ärztin. Experten in der Verteidigung ihres Reviers sind die Clownfische, die ihr Territorium verteidigen, wenn die Tierpfleger mit Taucherausrüstung ins Becken steigen, um die Scheiben von innen zu säubern. Wir beobachten eine Rochenfamilie mit Rochenbaby Swiffer. „Wir geben allen Rochen Staubsaugernamen, weil sie im Maulbereich herunterklappbare Kopflappen haben, mit denen sie im Bodengrund Futter aufspüren können“, so die Tierärztin und erzählt: „Die weiblichen Rochen mit ihrem Nachwuchs leben hier wie im Ozean in einem Familienverband. Wir würden gerne noch mehr Rochen züchten, aber dafür bräuchten wir mehr Platz.“ Überhaupt habe sich viel geändert, seit der Aquazoo 1987 wiedereröffnet wurde, weil heute mehr wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. „Hier im Rochenbecken waren früher mehrere größere Haie, das würde man heute anders machen.“
„Muränen haben zwei Kiefer mit sehr spitzen und scharfen Zähnen. Das ist das Schwierige, wenn man oral Medikamente reingeben will, weil der Schlundkiefer während der Narkose geschlossen ist.“
Dr. Karin Grassl, Veterinärmedizinerin Aquazoo Löbbecke Museum
„Angreifen würde eine Mittelmeermuräne einen Menschen nur, wenn er sie reizt. Sie sind abends aktiv und leben tief im Meer.“
Nachts im Museum
Eine medizinische 24-Stunden-Rundum-Betreuung brauchen die Tiere nicht. Aber es gibt einen Nachtwächter, der notfalls Alarm schlägt. Ansonsten verbringt er seine Nächte in einer tropischen Geräuschkulisse. Beson- ders laut geht es zu, wenn Krokodil Bruce mit tiefen Lauten in der Paarungszeit um seine Angebetete wirbt. „Sie ist ein beschlagnahmtes Tier und ein bisschen zickig, Bruce hingegen ist sehr gutmütig“, beschreibt Karin Grassl die Beziehung der Landwirbeltiere.
Lernort für Kinder
Der Aquazoo ist mit über 500.000 Besuchern im Jahr nicht nur die beliebteste Kultureinrichtung der Landeshauptstadt, sondern auch der größte pädagogische Lernort für Schulklassen. Wir besuchen in der pädagogischen Abteilung eine Bartagame. Karin Grassl hebt sie vorsichtig aus dem Terrarium und erklärt, dass Bartagamen sich an heißen Tagen sogar gut geschützt vor Katzen und großen Vögeln im Garten wohl fühlen, weil sie Sonnenanbeter sind. Reptilien besitzen am Hinterkopf das sogenannte „dritte Auge“ oder Scheitelauge. Es dient der Wahrnehmung von Lichtunterschieden im jahreszeitlichen Verlauf. Das Fotoshooting schlägt dem Schuppenkriechtier jedoch auf die Darmperistaltik. Die Tierärztin fängt alles souverän mit Papiertüchern auf und wäscht sich danach die Hände, was man übrigens auch machen sollte, nachdem man eine Schlange angefasst hat wie den Königspython, den sie uns anvertraut. Denn Reptilien können Salmonellen ausscheiden, die bei ihnen zur physiologischen Darmflora gehören können. Als sie mir den Königspython auf die Arme legt, stockt mir der Atem, ihm nicht. Er fühlt sich trocken und lauwarm an, aber auch durchaus kraftvoll, Gottlob falle ich nicht in sein Beuteschema.
Dr. Karin Grassl, Veterinärmedizinerin Aquazoo Löbbecke Museum
„Fische, die nicht im Schwarm unterwegs sind, unterschätzt man. Die wissen genau, wer sie füttert.“
Über Dr. Karin Grassl
// Als Kind pflegte sie Rotwangenschmuckschildkröten. „Da wusste noch keiner, dass diese als invasive Art eingestuft werden würden, weil sie die heimische Fauna negativ beeinflussen können.“
// Sie studierte und promovierte in Wien, und hielt während des Studiums Bartagamen. Sie hospitierte in verschiedenen auf Reptilien, Amphibien, Vögel und Fische spezialisierten Einrichtungen, u. a. in der Reptilienauffangstation in München, in einer Zierfischpraxis in Berlin und im Tierspital der Universität Zürich.
// Nach der Approbation arbeitete sie in einer Klinik für Ziervögel, Reptilien und Zierfische in Hamburg, wechselte zu einer Tierärztlichen Praxis für Vögel und Reptilien in Düsseldorf, dann zu einer Facharztpraxis für Geflügel und Ziervögel.
// 2017 kam sie zum Aquazoo und machte einen Tauchschein. Ihr Partner ist Architekt und sie lebt mit zwei Jungen, Schneckenbuntbarschen und einem Aquarium mit südamerikanischen Fischarten in Golzheim. Am liebsten sind ihr Urlaube, die genügend Zeit für Tierbeobachtungen und Besuche in Zoos lassen und liebt es, beim Schneeschuhwandern Adlern oder Schneehasen zu begegnen.
In der Praxis
Nach einer Besichtigung der Futterküche, in der Kräuter und Salate für alle Terrarientiere zubereitet und geschnitten werden, geht es wieder zurück in die Katakomben und in die Tierarztpraxis. Hier steht ein Röntgengerät mit einer digitalen Röntgenplatte. In wenigen Sekunden nach dem Röntgen kann auf dem Laptop das Röntgenbild beurteilt werden. Erkrankte Landtiere kann die Tierärztin mit einem speziellen Inhalationsgerät in Narkose legen. Sie kann sie intubieren und beatmen und mit einem Laser minimalinvasiv operieren. „Vor zwei Wochen haben wir einen Waran minimalinvasiv operiert, das funktionierte wunderbar und der Eingriff verlief ohne Komplikationen.“ Das Ultraschallgerät ist ebenfalls mobil und hilft der Tierärztin bei der Diagnosestellung. Es ist ein bisschen eng in dem Büro, das die beiden Veterinärmedizinerinnen sich mit Anne Hoffmann teilen, die Tierpflegerinnen und Tierpfleger ausbildet. Eine Erweiterung des Aquazoo Löbbecke Museum sei zwar schon angedacht, aber wäre auf jeden Fall ein Langzeitprojekt. „Aber gibt es eine bessere Investition als in die Qualität der Lebensbedingungen der Tiere und Kinder in Kontakt mit der Natur zu bringen?“
Tierschutz-Projekte
Mit dem Artenschutz-Euro kann jeder Besucher seinen Ticketpreis erhöhen. 184.000 Euro kamen als Spende für Tierschutzprojekte 2023 zusammen. Hoch im Kurs bei den Düsseldorfern stehen auch Tierpatenschaften ab 75 Euro Jahresbeitrag.
Mehr Infos unter: www.duesseldorf.de/aquazoo/patenschaften-spenden/patenschaften
Den Oktopus Pearl hat der Aquazoo ganz klein bekommen. Sie kann ordentlich Wasser spritzen. Ihr Becken muss sorgfältig abgeschlossen werden, sonst würde sie neugierig herauskrabbeln. Pearl schlürft gerne Garnelen aus und spritzt Tinte nur in Extremsituationen.