Gesundheit ist ein hohes Gut. Vielleicht ist sie auch ein Kredit, den wir abbezahlen mit dem, was wir auf unser Gesundheitskonto einzahlen. Bei vielen Menschen ist der Kontostand nicht ausgeglichen: Bei der jüngsten „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA)-Studie des Robert Koch-Institutes (2022) gaben 17 Prozent der Erwachsenen an, an Arthrose zu leiden. Bei den über 80-Jährigen waren es sogar 41 Prozent. Die sogenannten muskuloskelettalen Erkrankungen führen zu chronischen Schmerzen und Funktionseinschränkungen und beeinträchtigen die Lebensqualität. Von den hohen volkswirtschaftlichen Kosten in Anbetracht der demografischen Entwicklung einmal ganz zu schweigen: 30 Prozent der Frühberentungen lassen sich mittelbar auf eine Arthroseerkrankung zurückführen. Also her mit den neuen Gelenken?
„Auf keinen Fall. Fast der Hälfte meiner Patienten, die mit Arthrosebeschwerden zu mir kommen, empfehle ich, sich noch nicht operieren zu lassen und zunächst alle konservativen Therapien auszureizen“, betont Prof. Dr. Christoph Schnurr, Chefarzt der Klinik für Orthopädie im St. Vinzenz-Krankenhaus Düsseldorf. Nicht immer sind die Botschaften des Hauptoperateurs im EndoprothetikZentrum das, was Patientinnen und Patienten gerne hören wollen. Denn sind diese z. B. stark übergewichtig, versucht der Orthopäde, sie zu motivieren, erst einmal abzunehmen. Das hat gute medizinische Gründe, denn bei Übergewicht ist das Entzündungsrisiko nach der Operation bei Hüfte, Knie und Fuß größer und auch das Schmerzempfinden, weil die Belastung für das Gelenk sehr hoch ist. Neben der mechanischen Überlastung gibt es noch einen weiteren medizinischen Grund abzunehmen: Im weißen Fettgewebe befinden sich die so genannten Zytokine, die für Knorpelreduktionen mit verantwortlich sein können.
Ist Sport (Gelenk)-Mord?
Nicht jeder Mensch treibt gerne Sport. Manche lehnen sich gerne mit dem Hinweis im Sessel zurück, dass gerade Sportler sich einer erhöhten Verletzungsgefahr ihrer Bänder und Sehnen aussetzen und so ihr Arthroserisiko steigern. Richtig ist, dass intensive Stoß- und Rotationsbelastungen mit einem erhöhten Arthroserisiko verbunden sind. Dennoch wird zunehmend sportliche Betätigung sowohl in der Prävention als auch bei der Therapie von Arthrose eingesetzt. Wie wichtig Bewegung für die Gelenke ist, weiß auch Prof. Schnurr. Aber er kennt den Teufelskreislauf seiner Patientinnen und Patienten nur zu gut, die mit massiven Beschwerden und verminderter Lebensqualität zu ihm kommen: „Wenn es weh tut, versucht der Mensch, den Schmerreiz zu verhindern, bewegt sich also weniger. Ein Gelenk, das nicht bewegt wird, entwickelt jedoch sehr schnell einen Verschleiß, weil keine Gelenkflüssigkeit mehr produziert wird, die den Knorpel versorgt.“
Ist der Gelenkverschleiß so weit fortgeschritten, dass Knochen ohne Knorpelschicht auf Knochen reibt, lösen Mediatoren im Knie Nervenreize aus, die dem Gehirn Schmerz signalisieren. „Die Knochen selber haben keine Nerven, können also nicht schmerzen. Das Schmerzempfinden ist sehr unterschiedlich, ganz unabhängig von Alter oder Geschlecht“, klärt der Mediziner auf. Er kennt Patienten mit fortgeschrittener Arthrose, die kaum Beschwerden haben.
Ein Allheilmittel gegen den fortschreitenden Knorpelverschleiß hat der Mediziner nicht in der Schublade. „Selbst zu Stop-and-Go-Sportarten wie Basketball, Tennis oder Fußball gibt es keine belastbaren Studien, dass sie zu Arthrose führen.“ Problematisch wird Sport nur dann, wenn wie bei Leistungssportlern über die Schmerzgrenze gegangen wird. Auch Ernährungstipps kann Schnurr nicht geben. „Eigenbluttherapien, Spritzkuren mit Hyaluron sind mögliche Therapien, die in der Regel nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. Bei einem Teil der Patienten können diese Behandlungen Schmerzen reduzieren, die Arthrose können sie aber nicht stoppen“. Aber genauso wenig gebe es Nachweise, dass Alkohol den Knorpel schädige. Trotzdem befürwortet der Mediziner eine ausgewogene Ernährung mit Milchprodukten und Eiweiß, weil Kalzium in die Knochen eingebaut wird und so der Osteoporose vorbeugt.
Fotos: VKKD
Prof. Dr. Christoph Schnurr, Chefarzt der Klinik für Orthopädie im St. Vinzenz-Krankenhaus Düsseldorf
„Der Leidensdruck bei Arthrose ist sehr hoch und manche versuchen mit Methoden Geld zu verdienen, die erwiesenermaßen nicht helfen.“
Roboterarm fräst präziser als der Mensch
Sollte eine OP am Ende doch unvermeidbar sein, weil Knochen auf Knochen reibt, der Patient unter permanenten Schmerzen und einer deutlich eingeschränkten Lebensqualität leidet, kommt im St. Vinzenz-Krankenhaus seit 2020 die MAKO-Robotik bei jeder Knie- Endoprothetik zum Einsatz. „Wir sind das einzige Krankenhaus in Düsseldorf, bei dem das so ist. Leider können Patienten das dem medial so gehypten Klinik-Atlas nicht entnehmen. Stand heute listet dieser nur die Anzahl wie auch Qualitätsdaten der Operationen und Pflegekräfte auf“, bedauert Prof. Schnurr. Der Vorteil des Roboterarmes liegt in einer höheren Präzision und Sicherheit für die Patienten. „Freehand“ kommt es hingegen in Studien bei 25 Prozent der Patienten zu einer Ungenauigkeit über drei Grad.
Eine Langzeitstudie zu roboter-assistierten Kniegelenk-OPs gibt es noch nicht, aber ein Endoprothesenregister, in dem bundesweit alle Operationen erfasst werden. Entscheidend für den Erfolg sind die Nachoperationsraten. Die liegen nach sieben Jahren bundesweit bei fünf Prozent, im St. Vinzenz bei 1,6 Prozent. „Hinzu kommt, dass die Patienten weniger Schmerzen haben und noch am Nachmittag nach der OP mit dem Therapeuten ihre ersten Schritte gehen und in der Regel schon nach drei Tagen entlassen werden können.“ Eine interne Patientenbefragung unter 1000 Patienten stellt der Operationsmethode ebenfalls ein sehr gutes Zeugnis aus. „94 Prozent würden die Operation wieder durchführen und die Klinik weiterempfehlen. Gemessen an den 10 bis 20 Prozent, die weltweit unzufrieden mit ihrem neuen Kniegelenk sind, ist das ein sehr gutes Ergebnis.“ Nicht immer ist eine Endoprothetik eine Frage des Alters: Die ehemalige Ski-Rennläuferin Lindsey Vonn wurde Ende 30 mit Hilfe des MAKO-Roboters operiert, allerdings nicht im St. Vinzenz.
Gelenkerhaltung first
Zu Dr. Marc Fischbacher, Chefarzt der Klinik für Sportorthopädie im St. Vinzenz-Krankenhaus, kommen Patienten mit akuten Sportverletzungen oder nach einem Unfall. Er sieht sich alle Bänder-, Meniskusrisse und Knorpelverletzungen an und operiert diese arthroskopisch oder setzt ein Stück Knorpel ein. „Knorpeltherapie ist ein sehr komplexes Thema. Da machen wir auch alles, was es so gibt, auch wenn wir pro Eingriff 1.000 Euro Verlust machen“, rechnet Fischbacher vor. Voraussetzung für eine solche Therapie ist jedoch, dass die Knorpelschäden „umschrieben“ sind, also eine Grenze haben. Das ist der Fall bei einer Verletzung oder wenn ein Knorpelstück abgestorben ist. Weitere Kriterien müssen ebenfalls erfüllt sein: das Knie muss bandstabil sein, darf nicht wackeln, die Achse muss gerade sein, der Meniskus noch vorhanden und es darf kein Schaden auf dem gegenüberliegenden Knochen vorliegen. „Diese Konstellation gibt es meist nur bei jüngeren Patienten.“ Auch bei ihm ist eine Operation immer die ultima ratio. In der Indikationssprechstunde klärt er mit den Patienten ab, ob wirklich alle konservativen Behandlungen sowie Physiotherapie und eigene Übungen durchgeführt wurden. Gelenkerhaltend sind übrigens auch die so genannten Umstellung- oder
Korrektursosteotomien, bei denen bei X- oder O-Beinen die Achse korrigiert wird. „Auch wenn wir den Knochen durchsägen und mit einer kleinen Titanplatte fixieren, ist es immer noch das eigene Gelenk“, erklärt der Mediziner. Auch wenn es im Hüftgelenk klemmt, der Patient also an einem Hüft-Impingement leidet, repariert Fischbacher lediglich die Gelenkstrukturen durch gezieltes Abfräsen.
Dr. Marc Fischbacher, Chefarzt der Klinik für Sportorthopädie im St. Vinzenz-Krankenhaus Düsseldorf
„Unser Behandlungsziel ist es immer, dass die Lebensqualität wieder ansteigt und gleichzeitig Gelenke mit schonenden Operationen erhalten werden.“
X-Beine
Warum X-Beine nicht nur optisch auffallen, sondern zu massiven Kniebeschwerden führen können? „Mit X-Beinen joggt es sich nicht gut und die Menschen haben ein höheres Risiko für Kreuzbandverletzungen. Das ist selbst bei Footballspielern so, haben Studien gezeigt, ist also keine Frage von Muskeln oder Fitness“, so Fischbacher. Spezialisiert ist der Mediziner auf Schultern, hier operiert er alles von Schultereckgelenk-Sprengungen bis zum künstlichen Schultergelenk. „In der Schulterendoprothetik holen wir mächtig auf.“ Aber auch hier gilt: Vor der OP alles versuchen, dazu gehören z. B. Ruder- und Klimmzugbewegungen, die Außenrotatoren mit einem Theraband zu stärken und vor allem an der eigenen Haltung zu arbeiten. „Das stärkt die obere Rückenmuskulatur und zieht den Schultergürtel auseinander.“ Denn auch wenn nach einer Operation die Schmerzen reduziert sind und für viele ältere Menschen sich die Lebensqualität deutlich verbessert: Schulter- und Knieprothesen sind nicht so funktionsfähig wie die eigenen Gelenke.
1.) Für die Beuger: Auf eine Matte in Rückenlage legen, Füße aufstellen und Knie anwinkeln, dann Po und Oberschenkel heben, sodass Rumpf und Oberschenkel eine Linie ergeben und die Knie bei circa 90 Grad gebeugt sind
2.) Für den Strecker: Kniebeugen – mit ca. 90 Grad Beugung in den Knien / Setzen und Aufstehen von einem Stuhl ohne Zuhilfenahme der Arme. Dabei sollten die Knie nicht nach vorne geschoben werden, sondern hinter den Fußspitzen bleiben.