Was das Blut erzählt – und wie moderne Medizin zuhört

Rund 13.700 Menschen erkranken in Deutschland jährlich an Leukämie. Hinzu kommen tausende Fälle von Lymphomen und Erkrankungen des Knochenmarks. Bluterkrankungen gehören zu den gefährlichsten Erkrankungen, gleichzeitig gehören die Therapiemaßnahmen zu den fortschrittlichsten der Inneren Medizin. Dazu zählen: innovative Formen der Krebsimmuntherapie wie die CAR-T-Zelltherapie, bei der die körpereigenen Immunzellen genetisch so verändert werden, dass sie Krebszellen gezielt erkennen und bekämpfen, Therapien mit „bewaffneten“ Antikörpern, die Wirkstoffe gezielt zu Krebszielen transportieren und eine Präzisionsonkologie, die molekulare Veränderungen behandelt. Dabei ist die Hämatologie ein leises, aber zentrales Fach: hochtechnisch, eng am Menschen – und für viele noch ein weißer Fleck im Medizinbild der Öffentlichkeit.

Mikroskopisches Bild eines Knochenmarkausstrichs. Darstellung einer akuten Leukämie. Fotos: VKKD

Vielschichtige Diagnosen – komplexe Therapien

Hämatologische Erkrankungen fordern differenziertes Wissen: Blutwerte, Zellbilder, genetische Marker – jede Diagnose gleicht einem Puzzle. „Wir können heute anhand molekularer Veränderungen Therapien passgenau auswählen“, erklärt Dr. Maika Klaiber-Hakimi, Oberärztin der Klinik für Onkologie am Marien Hospital Düsseldorf. Manche Medikamente richten sich gezielt gegen Mutationen, andere lenken das Immunsystem neu. Besonders innovativ sind CAR-T-Zelltherapien, bei denen patienteneigene Zellen genetisch verändert zurückgegeben werden. Sehr häufig geht es dabei nicht nur um Lebensverlängerung, sondern um Heilung – auch weil die Künstliche Intelligenz dabei hilft, die Diagnose und die Therapie ständig zu verbessern.

Im Marien Hospital Düsseldorf ist die Hämatologie mehr als eine Fachabteilung – sie ist zentraler Bestandteil eines regionalen Versorgungsnetzes. Das Haus trägt den größten Versorgungsauftrag für Blutkrebserkrankungen in der gesamten Region. „Wir betreuen hier jeden Patienten vom ersten Verdacht bis zur Nachsorge“, sagt Klaiber-Hakimi. Die Klinik verfügt über 22 Betten auf der hämatologischen Station, kooperiert eng mit der Uniklinik, wenn es um eine Stammzellentransplantation geht, und bietet wohnortnah modernste Behandlungen an. Kurze Wege und enge Abstimmung machen den Unterschied.

Wenn alles auf einmal kommt

Plötzlich auftretende blaue Flecken, Nasenbluten, Schwäche, Infekte – so beginnt es oft.
Viele Patienten mit akuter Leukämie kommen in die Notaufnahme, weil etwas „nicht stimmt“. Blutbild, Ausstrich, Mikroskopie: Innerhalb einer Stunde lässt sich häufig eine Verdachtsdiagnose stellen. Danach geht alles schnell. „Meist können die Menschen nicht einmal mehr nach Hause, um einen Koffer zu packen“, sagt Klaiber-Hakimi. Die Therapie beginnt stationär, dauert Wochen, umfasst Chemo, gezielte Wirkstoffe, manchmal Stammzelltransplantation. Doch bei aller Dramatik: Das Ziel ist Heilung, was in der Mehrzahl der Fälle gelingt.

 Ob Onkologen, Radiologen, Mikrobiologen oder Palliativmediziner – in der Behandlung komplexer Blutkrebserkrankungen kommt es auf viele Perspektiven an. Am Marien Hospital treffen sich Fachleute regelmäßig zu interdisziplinären Tumorboards, um Therapien gemeinsam abzustimmen. „Gerade in der Hämatologie hängt viel davon ab, dass wir schnell und gut kommunizieren“, so Klaiber-Hakimi. Auch das Pflegeteam sei besonders engagiert: „Die Nähe zu den Patienten ist bei uns keine Floskel. Viele bleiben wochenlang – das prägt die Atmosphäre.“ Neben Pflegekräften gibt es eine Kunsttherapeutin und psychoonkologische Betreuung.

 Dass sie sich für Medizin entschied, hatte bei Maika Klaiber-Hakimi eine ganz persönliche Ursache: „Meine Mutter wurde krank. Da kam dieses Gefühl: Ich muss etwas tun, helfen können.“ Ihr Weg ins Fach war dann überraschend strategisch – Abiturnote auf den NC kalkuliert, zielgerichtet ins Studium. Zunächst faszinierte sie die Neurologie. Doch im praktischen Jahr wurde sie per Los in die Onkologie gesteckt. Was sie dort erlebte, prägte sie: „Diese Nähe zu den Menschen, die Langzeitbeziehungen, die Dankbarkeit – das war eine ganz andere Welt. Ich habe schnell gemerkt: Das ist mein Platz.“

Foto: VKKD

„Ich wünsche mir eine Medizin, die sich an den Menschen orientiert – nicht an der Bürokratie.“ Dr. Maika Klaiber-Hakimi, Oberärztin der Klinik für Onkologie, Hämatologie und Palliativmedizin und Leiterin der hämatologischen Station am Marien Hospital Düsseldorf 

Nachwuchs fördern, Netzwerke stärken

Heute engagiert sich Klaiber-Hakimi nicht nur als Oberärztin, sondern auch als Netzwerkerin. Sie hat einen regionalen Arbeitskreis für Hämatologinnen gegründet, um Austausch und Fortbildung gezielt für Frauen zu fördern. „Ich war oft die einzige Frau in Vorträgen oder Beraterkreisen – das kann nicht sein.“ Inzwischen gehören etwa 30 Kolleginnen dazu – von jungen Ärztinnen in Weiterbildung bis zu etablierten Oberärztinnen. Themen sind neben Fachvorträgen auch Karriere-Coaching, Resilienz und Führung. Denn wer in der Hämatologie weiterkommen will, braucht nicht nur Fachwissen – sondern oft auch Rückhalt.

Dass ihr Fach auch emotional fordert, ist Dr. Klaiber-Hakimi bewusst. „Natürlich gibt es Fälle, die einen begleiten“, sagt sie. Dennoch habe sie mit der Zeit gelernt, Grenzen zu setzen. Zu Hause bleibt das Klinikhandy aus, der Urlaub ist tabu. „Man braucht diese Inseln, um gesund zu bleiben.“ Ihr gelingt das auch dank ihres Mannes, der sich überwiegend um die Betreuung ihres gemeinsamen Kindes kümmert. So kann sie weiter in Vollzeit arbeiten – eine Ausnahme im Klinikalltag. Denn trotz vieler hochqualifizierter Frauen bleiben Führungspositionen oft männerdominiert.

 Strukturreform am grünen Tisch

Die Krankenhausstrukturreform hat auch in der Hämatologie Spuren hinterlassen. Stammzellentransplantationen dürfen etwa nur an Universitätskliniken durchgeführt werden – auch wenn dort oft die Betten fehlen. „Solche Entscheidungen sind fachlich nicht immer nachvollziehbar“, kritisiert Klaiber-Hakimi. Das Marien Hospital sieht sie dennoch gut aufgestellt. Sorgen macht ihr vor allem der medizinische Nachwuchs: „Viele kennen die Hämatologie im Studium kaum. Dabei ist es ein Fach voller Fortschritt und Sinn.“ Frühzeitige Praktika, gute Betreuung und moderne Arbeitsmodelle könnten helfen, das zu ändern.

Die Oberärztin am Marien Hospital steht dabei exemplarisch für eine neue Generation von Ärzten, die Medizin nicht nur praktizieren, sondern gestalten. Ihr Wunsch für die Zukunft: „Mehr Frauen in Führungsrollen. Und eine Medizin, die sich an den Menschen orientiert – nicht an der Bürokratie.“

5

Warnzeichen früh erkennen

Bluterkrankungen wie Leukämien oder Lymphome entwickeln sich oft schleichend. Wer eines oder mehrere dieser Symptome bei sich feststellt, sollte sie unbedingt ärztlich abklären lassen:

  • Unerklärlicher Gewichtsverlust
  • Häufige oder langanhaltende Infekte
  • Blaue Flecken oder Blutungen ohne erkennbare Ursache
  • Dauerhafte Müdigkeit oder Leistungsknick
  • Schwellungen an Hals, Achseln oder Leiste
  • Nachtschweiß oder Fieber ohne erkennbare Ursache

Pin It on Pinterest