Roboter revolutionieren die Chirurgie

Ein Skalpell, das millimetergenau schneidet, eine Kamera, die kleinste Blutgefäße in 3D sichtbar macht, und Instrumente, die so beweglich wie eine menschliche Hand sind – nur präziser. Das klingt wie Science-Fiction, ist in Operationssälen aber längst Realität.
Als sich der Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf (VKKD) 2018 entschied, im Marien Hospital in Pempelfort ein Zentrum für Interdisziplinäre Robotische Operationen, das so genannte ZIRO, einzurichten, lag es nahe, einen Urologen als Leiter zu berufen. „Bei roboterassistierten Operationen haben die Urologen tatsächlich die größte Expertise, weil sie schon lange laparoskopisch, also minimalinvasiv operieren“, erklärt PD Dr. med. Robert Rabenalt, der Leiter des ZIRO. Rabenalt hat zuvor zehn Jahre als Oberarzt am Universitätsklinikum Düsseldorf gearbeitet und dort die Abteilung für Roboterchirurgie geleitet. Den Roboter da Vinci, ursprünglich in den 1980er Jahren für das US-Militär entwickelt, um Operationen in Einsatzgebieten per Telechirurgie durchzuführen, kennt er seit 2007. Er war einer der ersten Urologen, die sich die Erfindung der US-amerikanischen Firma Intuitive Surgical von seinen Kollegen im Leipziger Herzzentrum auslieh. An dem Zentrum im Marien Hospital reizte ihn der interdisziplinäre Ansatz. Nahezu 2000 Eingriffe gehen mittlerweile auf das Konto von da Vinci. Doch nicht nur die Anzahl der Eingriffe spricht für die Expertise des Klinikums. Es führt als eines der wenigen in der Region auch roboterassistierte Eingriffe im Bauchraum durch.

Fotos: VKKD

„Nach roboterassistierten Operationen sind die Patientinnen und Patienten im Schnitt 18 Prozent schneller wieder arbeitsfähig als nach einem Schlüsselloch-Eingriff.“ PD Dr. med. Robert Rabenalt, Ärztlicher Leiter des Zentrums für Interdisziplinäre Robotische Operationen (ZIRO) und leitender Oberarzt der Klinik für Urologie am Marien Hospital Düsseldorf

Die Hand für alle Fälle
Das da Vinci-System ersetzt nicht den Chirurgen, aber es ermöglicht einen besseren Zugang zu anatomisch schwierigen Bereichen. „Man operiert bei Dickdarm-Tumoren im kleinen Becken. Das ist ein sehr enger Raum“, so Rabenalt. Bei einer Schlüsselloch-Operation werden hierbei 45 Zentimeter lange laparoskopische Instrumente eingesetzt, die nur an der Spitze bewegt werden können.  Bei da Vinci arbeitet der Operateur an einer Konsole und steuert vier robotische Arme millimetergenau im Körperinneren. Die Instrumente sind hier jedoch so beweglich wie ein Handgelenk. „Mit dem Roboter können wir sozusagen um die Ecke operieren. Das ist ein riesiger Vorteil, weil wir damit sensible Strukturen, wie z. B. feine Nerven, schonen und damit die funktionellen Ergebnisse verbessern können“, erklärt der Mediziner. Ein weiterer Vorteil vor allem in der Viszeralchirurgie: Der Roboter verfügt über eine Kamera, mit der ein Licht mit bestimmten Wellenlängen generiert werden kann. „Das leuchtet dann grün-schwarz und wenn Sie einen Farbstoff über die Vene spritzen, können sie zum Beispiel die Durchblutung von Darmsegmenten sehen. Das ist sehr wichtig für die Heilung, weil bei nicht durchbluteten Darmsegmenten das Risiko besteht, dass postoperativ Stuhl in den Bauchraum fließt.“ Auch die Zahl der kontinenzerhaltenden Eingriffe am Enddarm ist seit der Einführung der neuen Technik gestiegen.

Als dritte Fachdisziplin soll im Marien Hospital in Kürze die Gynäkologie ins ZIRO integriert werden. Dafür müsste ein zweites da Vinci-System her. Aktuell verfügt die Klink über den da Vinci X. Als zweites da Vinci-System wäre ein Xi nach Einschätzung des Experten vorteilhaft, gerade bei komplexen darmchirurgischen Eingriffen, um zum Beispiel mithilfe einer durch die KI gestützten Echtzeit-Bildgebung Turmorränder und Risikostrukturen zu markieren. Rabenalt ist überzeugt davon, dass es für den Roboter noch sehr viele Einsatzmöglichkeiten gibt, zum Beispiel an der Bauchspeicheldrüse.

Der Roboter assistiert den Chirurgen, an der Konsole unter einer bis zu 10-fach vergrößerten Darstellung und hochauflösender 3D-Detailansicht durch kleine OP-Zugänge millimetergenau zu operieren.

Die Roboterschule

Roboterassistiert zu operieren will gelernt sein. Erste Erfahrungen sammeln die Chirurginnen und Chirurgen mit einer Trainingssoftware an der Roboterkonsole – das ist vergleichbar mit einem Simulator-Training für Piloten. Die Software ist mittlerweile so gut, dass man mit ihr sogar die Nahttechnik üben kann. Danach folgen Trainings in spezialisierten Zentren zum Beispiel in Berlin oder Belgien, wo die Operationstechniken unter realitätsnahen Bedingungen an Körperspenden geübt werden.

Im letzten Schritt stellt man den Medizinern einen erfahrenen Operateur in der Klinik an die Seite, der ihnen die Hände führt. „Ein schlechter Chirurg wird durch einen Roboter nicht besser“, warnt Rabenalt. Für ihn ist Operieren auch eine Frage des Talentes. Er beobachtet aber auch, dass die jüngeren Generationen besser im dreidimensionalen Denken sind. Sie sind zudem daran gewöhnt, mit Konsolen zu arbeiten, die ähnlich wie ein Joystick funktionieren.

Eine Analyse von 360 robotergestützten Prostataentfernungen zeigt, dass Assistenzärzte bereits nach 20 überwachten Eingriffen eigenständig komplexe nervenerhaltende Techniken durchführen können – ein Kompetenzerwerb, der laparoskopisch oft erst nach 50 bis 70 Operationen erreicht wird.

Schneller zurück ins Leben

Roboterassistierte Operationen sind nicht nur präziser. Sie verkürzen auch die Genesungszeit und erhöhen die Patientensicherheit, weil die Eingriffe mit weniger Blutverlust verlaufen. Auch Komplikationen sind zurückgegangen. Laut einer DFG-geförderten Studie benötigen die Patienten nach der Operation 23 Prozent weniger Schmerzmittel. „Es gibt Patienten, die nach einer großen OP am selben Abend schon wieder aufstehen. Das war früher undenkbar“, berichtet der ZIRO-Leiter. Besonders deutlich zeigt sich das bei Nierenoperationen. Noch vor wenigen Jahren bedeutete eine Nierentumor-OP einen großen Schnitt in der Flanke zwischen den Rippen. Heute kann der Tumor oft mit einem minimalen Eingriff entfernt werden, ohne dass die Niere länger von der Blutzufuhr abgeschnitten ist. Dank der neuen Technologie lässt sich die Niere so präzise rekonstruieren, dass ihre Funktion oft vollständig erhalten bleibt. Und der Patient kann bereits nach drei bis vier Tagen wieder entlassen werden.

Auch die Sorge vor Langzeitfolgen können die Ärzte den Patienten nehmen. Gerade bei Prostata-OPs spielen besonders sensible Aspekte wie Kontinenz und Potenz eine zentrale Rolle. „Wir haben feinere Instrumente und eine viel bessere Sicht auf das Operationsfeld. Damit können wir gezielt Nerven erhalten, die für diese Funktionen wichtig sind“, erklärt der Urologe Rabenalt. Die MULTIARC-Studie der Universität Leipzig zeigt, dass 92 Prozent der Patienten ein Jahr nach einer roboterassistierten Operation ihre Kontinenz behalten oder zurückgewonnen haben. Bei der herkömmlichen laparoskopischen Methode liegt diese Rate nur bei 84 Prozent.

Durch die vier Arme des Roboters mit den abwinkelbaren Instrumenten, die vom Chirurgen gesteuert werden, entsteht eine enorme Präzision.

Warum Vorsorge Leben retten kann

Während sich die Technik rasant entwickelt, bleibt eine Herausforderung bestehen: die Nachlässigkeit vieler Männer, wenn es um Vorsorge geht. „Männer kümmern sich um den Ölwechsel, bringen ihr Auto zur Inspektion und zum TÜV – aber für ihre eigene Vorsorge vereinbaren sie keinen Termin“, stellt Rabenalt besorgt fest. Gerade Darm- und Prostatakrebs sind Erkrankungen, die gut behandelbar sind, wenn sie früh erkannt werden. Doch viele Männer gehen erst zum Arzt, wenn Symptome auftreten. Dabei werden die Patienten mit Nierentumoren oder Prostatakarzinomen immer jünger. Patienten mit 30 oder 40 Jahren sind keine Ausnahmen mehr. Warum das so ist? Rabenalt hält neben Erblichkeit auch Umweltfaktoren und Stress für mögliche Auslöser.

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