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Sophie Hinkel

Eine Arbeitswoche unter 40 Stunden wird es für sie nicht geben, dafür immer ein richtiges Abendbrot. „Brot macht definitiv nicht dick. Ich esse jeden Abend ein halbes.“ Seit einem Jahr wohnt sie nicht mehr, wo sie arbeitet, sondern mit ihrem Verlobten in Unterbilk. Er ist Erzieher und leitet den offenen Ganztag in der Maxschule. Womit auf der Hand liegt, wer die Kindererziehung übernehmen wird. Sophies Lieblingsbrot ist das Elsässer, ihr Lieblingskuchen der Rüblikuchen. Ihre Schwächen? „Ich bin ein bisschen chaotisch, neige dazu, viele kleine Häufchen zu bilden. Der Vorteil: Ich kann sehr viel gleichzeitig aufnehmen und verarbeiten, wechsle aber häufig das Thema. Das macht die Zusammenarbeit nicht immer einfach. Mittlerweile schreibe ich alles auf, um mich besser zu strukturieren.“ Ob sie die Familientradition auch im Brauchtum fortführen wird? „Venetia kann ich mir so mit Anfang oder Mitte 40 vorstellen.“ Das dauert also noch.

UNSER TÄGLICHES BROT

Bereits die alten Ägypter stellten mindestens 16 verschiedene Brotsorten her. Bei den alten Römern gehörte Brot zu den Spielen (panem et circenses) und dafür wurde im Akkord gebacken. Der Beruf des Bäckers ist seit Karl dem Großen belegt. Doch die Schufterei an den Öfen überließ man im 8. Jahrhundert lieber den Leibeigenen und Klosterknechten. Zwei Jahrhunderte später hatten sich die Bäcker mit der Stadtluft „freigebacken“ und organisierten sich bis Anfang des 19. Jahrhunderts in Zünften. Aus dieser Tradition hat sich hierzulande ein Bäckerhandwerk entwickelt, das so einzigartig ist, dass es von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe geschützt wird.

Was den Franzosen ihr Baguette, ist zumindest den älteren Deutschen ihr Abendbrot, ihr Bütterken. Ist Brot backen denn nun altbacken oder hipp? Und wo ist noch echte Handarbeit im Spiel? Wir besuchten Bäckermeisterin Sophie Hinkel in der Backstube, wo sie an einem Glühweinbrot herumexperimentiert. Mit 26 Jahren beamt sie als Geschäftsführerin den Düsseldorfer Familienbetrieb fünfter Generation ins digitale Zeitalter.

Unternehmensnachfolge bei Hinkel ist kein Ding

Die Bäckerbranche ächzt wie viele Handwerkszweige unter akutem Nachwuchsmangel. Von 2011 bis 2021 ging laut aktuellen statista-Erhebungen die Zahl der Ausbildungsverträge um mehr als 50 Prozent zurück: von 10.380 auf 4.689 Azubis. Mit der Kampagne „Back dir deine Zukunft“ bemüht sich der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks den Nachwuchs nicht nur hinter dem Ofen hervorzulocken, sondern ihn davor zu stellen.

Sie musste kein Berufsverband mit einer Kampagne ans Handwerk heranführen. Ihr Ur-Urgroßvater Jean Hinkel gründete 1891 die erste Bäckerei an der Grünstraße in der Nähe der „Kö“. Wie ist es, in einerBäckerdynastie groß zu werden?

Schon sehr speziell. Meine vier Geschwister und ich haben den Geschäftsbetrieb quasi mit der Muttermilch aufgesaugt. Wir sind hierhin gezogen auf die Hohe Straße, als ich drei Jahre alt war. Seitdem wohnen wir über dem Betrieb. Das hat Vor- und Nachteile.

Welche Vorteile?

Wir haben immer alle zusammen als Familie gegessen. Das ist eher die Ausnahme, wenn ich das mit meinen Freundinnen und Freunden in meiner Kindheit vergleiche.

 Und welche Nachteile?

Dass ich nie mit meinem Papa einfach einmal ein Eis essen gehen konnte. Er hat nachts gebacken, sich dann ein paar Stunden hingelegt und stand tagsüber im Geschäft.

Wann haben Sie das erste Mal hinter der Verkaufstheke gestanden?

Mit 14 Jahren als Trainee, um mir mein Taschengeld für einen dreimonatigen Aufenthalt mit der Schule in Kanada zu verdienen. Wenn wir etwas haben wollten, was außer der Reihe war, haben wir Kinder immer im Verkauf geholfen. Das war für uns ganz selbstverständlich.

Bislang wurde der Staffelstab immer vom Vater an einen Sohn übergeben. Mit Ihnen bricht also eine neue, weibliche Hinkel-Ära an. Hebt oder senkt das die Stimmung in der Backstube?

Wir sind gerade in der Übergabe-Phase und die endet auch erst, wenn mein jüngster Bruder volljährig ist. Aber ich bin die Einzige, die das Fami- lienunternehmen weiterführen möchte. 

Im Februar dieses Jahres bin ich als Geschäftsführerin angetreten und seitdem für alles zuständig und verantwortlich. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat sich seitdem einiges verändert, vor allem für die, die mich von klein auf kennen. Mein Führungsansatz ist kooperativ und zielt darauf ab, die Leute in die Verantwortung zu heben.

 Und das funktioniert?

Meistens schon. Schwierig wird es manchmal, wenn ich in einem Mitarbeitergespräch in leitender Funktion Kritik übe. Wenn ein männlicher lei- tender Angestellter genau dasselbe sagt wie ich, wird das leichter akzeptiert. Aber das nehme ich nicht persönlich.

 Wie schaffen Sie das?

Vielleicht, weil ich in meinem Studium viel über Unternehmensführung gelernt habe. Neben meinerAusbildung zur Bäckergesellin habe ich einen Master an der FOM Hochschule in Düsseldorf gemacht. In meiner Masterarbeit ging es um Führungsstile im Handwerk und ich habe deren Effektivität gemessen. Wie Sie sich sicher denken können, ist der Führungsstil im Handwerk und vor allem in Familienbetrieben oft eher old-school, also autoritär. Das führt dazu, dass die Leute sehr unmotiviert sind und keinen Bock auf ihren Job haben. Andererseits ist es nicht einfach in einem Produktionsbetrieb, in dem Zeiten eingehalten werden müssen, kooperativ zu führen. Aber man kann die Mitarbeiter ein- binden und z. B. fragen, wer hat mehr Spaß am Abwiegen, wer macht lieber den Teig? Das klingt vielleicht ein bisschen simpel, bringt aber sehr viel fürs Betriebsklima. Ich bin überzeugt, dass Handwerksunternehmen, die sich jetzt nicht mit den Bedürfnissen der Mitarbeitenden und mit dem Thema Führung in einer vernünftigen Art und Weise auseinandersetzen, geringere Chancen haben zu überleben.

„Wenn ich ein Brot backe, bin ich im Flow.“

Sophie Hinkel, Geschäftsführerin bei der Düsseldorfer Traditionsbäckerei Hinkel

Aber alle möchten Brot und Backwaren verspeisen, rund 56 Kilogramm kommen in bundesdeutschen Haushalten jährlich auf den Tisch. Die meisten Backwaren werden maschinell produziert. Bis auf Kneter und Heber sehe ich hier keine Maschinen. Sie setzen aufs Handwerk, warum?

Weil wir das schon immer so gemacht haben und stolz darauf sind. Außerdem ist ein Brötchen, das von Hand geformt und frisch gebacken und nicht als Rohling aufgebacken wird, knuspriger. Aktuell erleben wir bundesweit eine Renaissance des alten Backhandwerks. Vor allem in Berlin ist es gerade fancy, Brote mit alten Mehlsorten zu backen. Aber das sind meist kleine Spezialbäckereien, während wir hier mit unseren 60 bis 70 Brotsorten sehr viele Kundenwünsche bedienen. Aber die Branche versucht sich auch sonst neu zu erfinden. In Speyer gibt es zum Beispiel eine Bäckerei, in der erst ab 6.00 Uhr gebacken und ab 14.30 Uhr abverkauft wird. Das ist natürlich auch ein Versuch, Menschen für den Beruf zu gewinnen.

Also wäre das Ende der Nachtarbeit die Lösung des Personalproblems?

Es könnte dazu beitragen. Wobei ich hier viele Mitarbeiter habe, die nachts arbeiten wollen. Wir haben eine Frühschicht, die fängt um 23.30 Uhr an, die Mittelschicht beginnt um 2.30 Uhr. Diese Mitarbeiter wären überhaupt nicht glücklich, wenn sie tagsüber arbeiten müssten. Mein Traum wäre es tagsüber zu produzieren und nachts zu backen, das wäre auch von den Setzzeiten für viele Teigsorten optimal. Aber dafür braucht man Lagerkapazitäten, da reichen unsere 1.000 Quadratmeter nicht aus.

 Sie möchten den Betrieb auch digital neu aufstellen?

Ich bin schon auf einem guten Weg, weil ich für die Produktionsplanung schon Künstliche Intelligenz, also KI, nutze. Da fließen insgesamt 1.200 Faktoren ein wie Wetter, Ferien, Warnstreiks, ob irgendwo ein Warnstreik oder eine Messe ist und so weiter. Mein Wunsch wäre ein Dashboard, das sich diese Zahlen automatisch zieht und fürs Controlling auswertet. Außerdem nutze ich eine Liquiditätsplanungssoftware, die tagesaktuell ist und auch bei Finanzierungsanfragen bei Banken hilfreich ist.

Führung bei Hinkel ist jetzt weiblich, dafür gibt es im Verkauf auch Männer. Absicht?

Definitiv. Es gibt kaum Bäckereien, die Männer im Verkauf haben, was ich gar nicht verstehen kann. Das bringt eine ganz andere Dynamik rein. Dafür gehen immer mehr Frauen in die Backstuben, nicht nur bei uns. Wir haben von 35 Mitarbeiten- den derzeit acht Frauen.

Backen wird weiblicher, das sieht manauch an den bundesweiten Zahlen. Im letzten Jahr sank die Zahl der männlichen Lehrlinge um über 10 Prozent, die Zahl der weiblichen Auszubildenden stieg hingegen leicht an. 

Was macht für Sie den Beruf so attraktiv?

Ich finde es sehr emotional ein Brot zu backen. Wenn ich den Teig mische, fühle, knete und ruhen lasse, dann bin ich im Flow. Ich liebe es auch, Torten herzustellen und zu dekorieren. Da verliere ich Raum und Zeit. Außerdem experimentiere ich gerne, zum Beispiel mit alternativen Süßungsmitteln wie Kokosblütenzucker.

Aber auch mit Mehlwürmern, die Ihnen sogar einen Designpreis beschert haben …

(Lacht). Mit meinen „Düsselhoppern“ konnte ich bei der Meisterprüfung der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk in Olpe punkten. Ich wollte ein Brot entwickeln, das proteinhaltig und nachhaltig ist.

Und eklig?

Nicht wirklich. Die Mehlwürmer werden gefriergetrocknet geliefert. Nachher sieht es aus wie dunkles Mehl. Es schmeckt malziger und nussiger. Ich habe das auch nur gemacht, weil Insekten kein Schmerzzentrum haben. Viele Kunden haben ganz gezielt nach den Düsselhoppern gefragt, aktuell sind sie aber nicht mehr im Sortiment. Nachhaltig arbeiten wir trotzdem. Restbrot wird wieder untergemischt und in unserer Abendschnitte findet sich die Rheinische Ackerbohne.

Was backen Sie am liebsten?

Brezeln, die machen mir am meisten Spaß.

Wann stehen Sie in der Backstube?

Wann immer es geht. Ich kann einfach nicht den ganzen Tag im Büro sitzen. In den ersten sechs Monaten ging das nicht anders. Aber jetzt bin ich öfter in der Backstube oder im Verkauf. Das ist auch wichtig, weil ich nur so live mitbekomme, was die Kunden sich wünschen. Das ist die beste Qualitätskontrolle.

Dürfen Ihre Kunden auch „mitbacken“?

Ein Kunde wünschte sich Pumperbrötchen, das sind Brötchen mit Schwarzbrot drin, diese Idee haben wir bislang noch nicht umgesetzt. Dafür durfte unser 1.000 Instagram-Follower ein Rezept kreieren. Herausgekommen ist das Äppelminchen.

Susan Tuchel

 

 

 

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