Wenn Männer Begleitung suchen
Tippte man vor einigen Jahren das Wort Escort-Service in den Computer, schlug Google automatisch den Namen der Ex-First-Lady Bettina Wulff als mögliche Suchkombination vor. Wulff klagte und Google musste diese Kombination löschen. Mir spukt das Thema seitdem im Kopf herum. Ich treffe mich mit Juna. Sie ist 22 Jahre alt und als selbstständige Escort-Dame zu 100 Prozent vom Lockdown betroffen.
Sie studieren Innenarchitektur, sprechen Englisch, Spanisch und Französisch und bieten sich mit Haut und Haar bei einem Escort-Service an. Buchen kann man Sie ab zwei Stunden, aber auch für 16 oder 24 Stunden. Wie kommt man dazu, sich als Escort Girl selbstständig zu machen?
Ich war achtzehneinhalb, als ich auf die Idee kam. Ich habe zu der Zeit noch Journalismus studiert und auf 450 Euro-Basis im Einzelhandel gearbeitet. Den Job habe ich sehr gut gemacht. Mein Chef war zufrieden, aber eine Gehaltserhöhung – undenkbar. Da habe ich Berufe gegoogelt, mit denen man viel Geld verdienen kann, ohne allzu viel Zeit zu investieren. Dabei stieß ich auch auf Escort-Services. Und da habe ich mich an die Buchreihe „Calendar Girl“ der amerikanischen Schriftstellerin Audrey Carlan erinnert, die ich mit 16 Jahren verschlungen habe. In den USA war das Buch ein Bestseller. Die Protagonistin Mia Saunders will als Escort Girl die Spielschulden für ihren kranken Vater begleichen. Klar geht es um Romantik und um Leidenschaft und weniger um das Business. Aber manches ist schon so wie in dem Buch. Man bekommt luxuriöse Geschenke, macht tolle Urlaube und bewegt sich in den Upper-Classes.
Hatten Sie da schon Erfahrungen mit Sex?
Meine ersten sexuellen Erfahrungen habe ich mit Gleichaltrigen gesammelt, mit Freunden aus der Schule. Aber ich fing an, vieles auszuprobieren. Ich bin sexuell sehr neugierig und empfinde Lust dabei, wenn Männer ihren Spaß haben. Selbst wenn ich erst nicht so in der Stimmung bin, kommt immer ein Punkt, bei dem es mich mitreißt.
Bei Escort-Service denke ich nicht gleich ans Bett, sondern an gute Gespräche, Kultur, ein Abendessen zu zweit in einem Fünf Sterne Hotel. Sind das eher romantische Vorstellungen?
Reine Begleitung ist eher selten. Aber ich mache auch Urlaube mit den Kunden, gehe in den besten Restaurants essen, besuche Museen, ich gehe mit den Kunden ins Theater und Kino oder wandern. Aber am Ende geht es fast immer um Sexualität. Auch wenn der eigentliche Geschlechtsakt oft nicht stattfindet, geht es um Lust, um einen Blow-Job oder um einen Hand-Job oder sie schauen zu, wie ich mich befriedige. Manche buchen zwei Zimmer in einem Hotel, wir machen Telefonsex, gehen duschen und treffen uns vor seiner Tür, um dann zusammen essen zu gehen. Ich habe mittlerweile einige Stammkunden, die ich wirklich mag, denen schenke ich auch etwas zum Geburtstag. Die wissen dann auch viel Privates von mir und ich von ihnen. Manchmal nehmen sie mich auch zu Feiern mit, dann bin ich die Nichte oder eine Freundin. Da kann es auch schon einmal sein, dass wir keinen Sex haben. Einmal hatte mich ein Mann mit einer Behinderung gebucht, der wollte einfach nur massiert werden.
Beim Escort-Service findet man Sie unter Juna – die Humorvolle. Ist Witz denn in Ihrem Job gefragt?
Wenn man fröhlich und humorvoll ist, fühlen sich die Kunden wohler und geliebter. Sie dürfen nicht vergessen, dass die Situation für beide Seiten nicht ganz einfach ist. Sie lernen einen Menschen in kürzester Zeit einfach viel zu nah kennen. Wenn ich locker mit der Situation umgehe, baut das Ängste und Spannungen ab, die bekanntlich für die Erektion unproduktiv sind.
Wenn Männer bei der Agentur Ihre Dienstleistung buchen, können sie da auch Wünsche vorgeben, gibt es ein Briefing für das Date?
Ja, es gibt viele Männer, die vorher ihre Wünsche äußern, sie können zum Beispiel sagen, welche Wäsche ich tragen soll.
Gibt es da eine bevorzugte Dessousmarke?
Agent provocateur, das ist die Marke der high-class Escort Girls. Manche wünschen sich auch eine bestimmte Farbe, manche Strapse, manche stehen auf Fußerotik, möchten massiert werden oder wollen Analverkehr haben. Darauf bereite ich mich dann entsprechend vor, habe alle Utensilien wie Massageöl und Gleitgel dabei.
Sie studieren mittlerweile Innenarchitektur, wie sieht Ihr Zeitmanagement in Nicht-Corona-Zeiten aus?
In der Regel arbeite ich zwei bis drei Mal pro Woche abends für den Escort-Service, das lässt sich mit meinem Studium sehr gut vereinbaren. Manchmal werde ich nur für zwei Stunden gebucht, manchmal für vier Stunden, manchmal für ein kurzes Overnight, das sind 12 Stunden, oder für 24 Stunden. Ich reise für die Jobs durch ganz Deutschland, aber arbeite auch in London und Luxemburg.
Das heißt, viel Zeit geht mit Anreisen drauf und vermutlich muss man in diesem Job auch noch einiges an Zeit investieren, um so schön zu bleiben?
Die Anreisen werden auch vergütet und ich liebe es bei Sonnenaufgang über die Autobahn zu fahren mit dem Gefühl, gerade einen guten Job gemacht zu haben. Normalerweise gehe ich ein- bis zweimal im Monat zur Kosmetikerin und lasse mir die Wimpern verlängern, einfach, um auch ungeschminkt gut auszusehen. Ich mache Sport, gehe ins Fitnessstudio und achte auf meine Ernährung. Ich rauche nicht und trinke wenig Alkohol, das ist besser für die Haut. Trinkt mein Kunde, trinke ich auch etwas. Aber mir ist wichtig, die Kontrolle zu behalten. Als Escort-Dame sollte man nicht einschlafen.
Kommen wir zum Finanziellen. Ich finde als promovierte Germanistin Ihr Honorar beachtlich. 2.500 Euro in 24 Stunden, das bekomme ich nicht hin. Und für viele Männer sind solche Honorare auch nicht aus der Portokasse zu begleichen.
Es ist definitiv so, dass der Escort-Service eine Sparte für Privilegierte ist, also für Männer, die genügend Geld haben. Ein Trinkgeld von ein paar Tausend Euro kommt durchaus vor. Aber es gibt auch Kunden, die auf ein Date mit mir sparen, weil sie sonst niemanden haben. Manche Kunden buchen mich zwei Mal in der Woche, weil sie einen sehr zeitaufwändigen Beruf haben. Sie haben einfach keine Zeit für eine Beziehung und keinen Nerv mit irgendwelchen Damen zu tindern und zu schreiben. Die sind dann oft Anfang Dreißig und einfach froh, dass es Gleichgesinnte gibt, die Sex unkompliziert sehen. Und zu meinem Honorar: Ein gewisser Teil geht ja auch an die Agentur, die für meine Sicherheit zuständig ist und den Umsatz muss ich dann versteuern.
Das alles klingt überhaupt nicht nach „Pretty Woman“ und als ob Sie insgeheim auf Richard Gere warten …
Es ist schon einer meiner Lieblingsfilme und vermutlich möchte jede Frau gerettet werden. Ich habe meinen Job auch schon einmal wegen einer Beziehung aufgegeben. Aber ich hatte das Gefühl, meinem Freund dadurch sehr viel Macht über mich zu geben. Nach vier Monaten habe ich angefangen, meinen Job zu vermissen. Er ist einfach ein großer Teil meines Lebens. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mir ein anderer Beruf so viel Freude und Befriedigung gibt wie dieser. Auch wenn ich nach meinem Studium als Innenarchitektin arbeite, möchte ich beim Escort-Service weitermachen. Es ist für mich die totale Selbstverwirklichung. Es gibt auch Kunden, die sich in mich verliebt haben und ich habe auch schon Heiratsanträge bekommen.
Was empfinden Sie bei den Dates? Wie denken Sie über Ihre Kundschaft, woher kommt diese?
Ich treffe mich gerne mit den Männern, das ist mein Job, aber auch aus Mitgefühl und Empathie. Manche haben Probleme bei der Arbeit, der eine sieht seine Kinder nicht, der andere hat gerade seine Frau verloren. Manchmal fühle ich dann fast zu sehr mit ihnen und entwickle Gefühle. Ich denke, dass ein Teil meiner Kunden verheiratet ist oder eine Partnerin haben könnte. Und einige sind natürlich auch über 50.
Hat Sie schon jemand verletzt, seelisch oder körperlich?
Ich habe selbst noch keine Gewalt erfahren. Ich bin aber immer skeptisch, wenn jemand Drogen nimmt. Was mich allerdings verletzt, ist, wenn Kunden 10.000 Euro auf den Tisch legen und dafür Sex ohne Kondom wollen. Das geht für mich überhaupt nicht. Gesundheit und Hygiene sind wichtige Voraussetzungen in diesem Beruf. Ich habe da auch eine Verantwortung für die Frauen, mit denen der Kunde sonst noch sexuelle Kontakte hat. Und ich habe auch meine eigenen Grenzen. Für mehrere Kunden am Tag bin ich mir zu schade.
Empfinden Sie Lust bei Ihrem Job?
Es ist nicht so, dass der Sex immer für mich passieren müsste, ich genieße oft auch einfach lange Gespräche, aber der Akt stört mich auch nicht. Ich habe gerne Sex. Natürlich finde ich nicht alle Männer auf den ersten Blick anziehend, aber es gibt an jedem Mann etwas, das ich lieben kann. Wenn ich private Probleme habe, fällt es mir auch schon mal schwer abzuschalten. Aber immer gibt es einen Punkt, an dem mein Körper reagiert und ich bekomme einen Orgasmus. Meine „Spezialität“ ist die weibliche Ejakulation, von der viele Männer denken, dass es die nur im Porno gibt. Frau kann das üben und es gibt eigentlich keinen Mann, der da nicht Feuer fängt.
Und Sie steuern das?
Ja, ich habe die perfekte Orgasmuskontrolle, wie ohnehin Macht und Sexualität viel miteinander zu tun haben. Ich habe es in der Hand, ob jemand Lust empfindet, kann auch steuern, wann er die Kontrolle verliert, wobei es am Ende natürlich darum geht, dass er zum Höhepunkt kommt. Ich habe immer das Gefühl, jemanden glücklich gemacht zu haben, das gibt mir ein gutes Gefühl.
Sexualität ist ein Menschenrecht, das gilt auch für Behinderte und für ältere Menschen (Stichwort Sexassistentin). In diesem Kontext wird das sogar gefördert und ist gesellschaftlich angesehen ….
Denen gönnt man es, ist ja auch in Ordnung. Ich gönne es aber auch den reichen Männern. Ich lerne viel hart arbeitende Männer, auch aus Vorständen, kennen. Oft sind es Akademiker oder welche, die sich hochgearbeitet haben, die mehrere Firmen haben. Die gönnen sich einfach ein heißes Abenteuer.
Aktuell wird in der Politik darüber debattiert, ob Bordelle nach dem Lockdown nicht wieder öffnen sollen, ob man die Prostitution nach dem Nordischen Modell verbieten soll. Wie beurteilen Sie diese Debatte?
Wenn Prostitution zu einem Straftatbestand würde, fände ich das nicht in Ordnung. Jeder macht etwas für Geld. Wo ist die Straftat? Er fragt, ob ich Sex haben will, ich sage ja und bekomme das Geld für meine Dienstleistung. Ich bin als Prostituierte gemeldet, kann also auch bei der Polizei anrufen. Wenn ich illegal arbeiten würde, wäre ich auf mich alleine gestellt. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin gegen Menschenhandel und menschenunwürdige Bedingungen in den Bordellen, aber für mich würde das Verbot heißen, dass mir meine freie Berufswahl genommen würde. Und es gibt mehr Frauen, die beim Escort-Service arbeiten, als Sie denken. Ich kenne Erzieherinnen, Krankenschwestern, sogar eine mit einem Doktor der Physik.
Susan Tuchel