Jasmin-Isabel Kühne

Künstler arbeiten hart an ihrer Performance, meist nicht nach Tarif und leben für den Moment, in dem das Publikum ihnen applaudiert. Wie viele tausend Übungsstunden, wieviel Können, wie viel Brillanz und wie viel Durchsetzungsvermögen gingen verloren, wenn man die Kunst und die Künstler in der Krise sich alleine überließe? Wenn sie sich gezwungen sähen, auf E-Commerce umzuschulen oder als Quereinsteiger in die Intensivpflege zu gehen – auch wenn das Applausbedürfnis beim ersten Lockdown beim Krankenhauspersonal ein Ventil suchte und fand. Vier Monate vor dem ersten Lockdown hatte die Harfenistin Jasmin-Isabel Kühne ihre Festanstellung bei einem Orchester gekündigt und sich für einen Umzug nach Düsseldorf und eine Solokarriere als Profi-Musikerin und Solo-Selbstständige entschieden. Nach einem Jahr mit Corona zieht sie Bilanz.

Warum haben Sie Ihre Solo-Karriere in
Düsseldorf gestartet?

Ich habe einen einzigen Abend im Wirtschaftsclub gespielt und fand die Stadt einfach nur schön. Für mich stand fest, wenn ich es in der Hand habe, dann will ich hier leben. Ich kannte vorher nur drei Menschen in Düsseldorf, die mich aber sehr motiviert haben, hierhin zu ziehen und die auch von Anfang an immer für mich da waren. Ich habe dann eine Wohnung in Golzheim gefunden und fühlte mich direkt heimisch. Ich liebe den Rhein, jogge zwischen Theodor Heuss- und Kniebrücke, radle nach Kaiserswerth und gehe am liebsten im Rocaille in Derendorf essen. 

Was ist seit dem ersten Lockdown im März 2020 passiert und haben Sie Ihren Schritt bereut?

Passiert ist unglaublich viel. Meine zweite Europa- tournee fiel von heute auf morgen ins Wasser, mein Auftritt in der Tonhalle wurde abgesagt. Mein Leben bestand aus Auftritten bei großen Solokonzerten, aus Orchester-Konzerten und Opernaufführungen. Ich war viel unterwegs innerhalb Deutschlands, aber auch weltweit. In meinem Beruf muss man sehr flexibel sein. Wenn eine Anfrage kommt, muss man unter Umständen innerhalb von 48 Stunden im Flieger sitzen und die Stücke beherrschen, für die man gebucht wurde. Ich habe mich dann, wie wohl alle meine Künstlerkollegen, digitalisiert und meine Harfenschüler online unterrichtet. Mittlerweile habe ich sogar Schüler jenseits des Atlantiks. „Gerettet“ hat mich einerseits mein strukturierter Tagesablauf. Ich stehe morgens um 8.00 Uhr auf und übe, als wenn nichts wäre. Im Oktober 2020 wurde ich als Dozentin an die Hochschule für Musik in Detmold berufen, wo ich auch die Geschäftsführung von „Jugend musiziert“ übernommen habe. Wobei wir hier von einer Teilzeitstelle sprechen. Detmold ist eine Art Heimspiel für mich, weil ich mit 18 Jahren an der Hochschule für Musik als Jungstudentin aufgenommen wurde. Das lief parallel zu meinem Abi in Wolfsburg. Statt mit meinen Freunden Party zu machen, habe ich nachts im Zug gesessen. Aber für meine musikalische Ausbildung war mir nie ein Preis zu hoch. Und bereut habe ich bislang noch keine meiner Entscheidungen.

Wann haben Sie angefangen zu musizieren?
Kommen Sie aus einer musikalischen Familie?

Nein, überhaupt nicht. Mein Vater war Manager bei VW in Wolfsburg. Bei uns zu Hause stand ein Klavier, auf dem niemand spielte. Mich zog es magisch an. Mit vier Jahren nahm ich Unterricht – mit Erfolg. Dann wollte ich eigentlich Geige als zweites Instrument erlernen, stieß damit bei meinen Eltern aber auf wenig Gegenliebe. Beim Tag der offenen Tür in der Musikschule in Wolfsburg schaffte ich es dann, in die neu gegründete Harfenklasse aufgenommen zu werden. Das war kurz vor meinem 10. Geburtstag. Die Harfe wurde die Liebe meines Lebens. Ich gewann Wettbewerbe und hatte mit 16 Jahren mein erstes Solokonzert mit Orchester. Ursprünglich wollte ich Medizin studieren, entschied mich dann aber für ein Musikpädagogik-Diplom und das Konzertexamen an der Hochschule für Musik Detmold. Dann nahm ich eine Stelle als Solo-Harfenistin am Staatstheater in Braunschweig an, während ich gleichzeitig meinen Master in Paris und Oslo bei der weltbekannten Harfenistin Isabelle Perrin machte und Meisterkurse besuchte. Ich spielte bei großen Radio-Orchestern im In- und Ausland und ging 2010 mit Peter Maffay auf Tournee. Das war wirklich irre, ich saß da ganz alleine auf einer Bühne und nicht im Orchestergraben. Das war auch mit ein Grund, warum ich mich als Solo-Harfenistin selbstständig machen wollte – ich liebe die Bühne einfach zu sehr. 

Harfe und Pop- und Rockmusik? Ich denke bei Harfenmusik eher an himmlische Klänge und pausbäckige Putten …

Ja, das ist leider das alt-eingesessene, noch immer präsente Bild, das die meisten Menschen mit der Harfe verbinden. Harfe kann aber definitiv soviel mehr. Ich versuche immer, mein klassisches Repertoire mit unbekannten Werken oder auch Cross-Over-Arrangements zu kombinieren. Mir ist es sehr wichtig, dass das Publikum erfährt, was auf der Harfe alles möglich ist – denn da gibt es so einiges zu entdecken: Ich habe meine Interpretationen von „Sailing“ von Rod Stewart, „Hallelujah“ von Leonard Cohen und „Angels“ von Robbie Williams auf Youtube und Instagram eingestellt und unglaublich viel positives Feedback bekommen. Solostücke funktionieren so gut, weil die Harfe mit ihren 47 Saiten einen großen Tonumfang hat. Man braucht kein anderes Instrument, um sich zu begleiten. Harfenmusik klingt immer schon so, als ob mehrere Instrumente beteiligt sind. 

Wer spielt denn Harfe? Ich denke da an Orpheus in der Unterwelt mit seiner Lyra, an Tristan mit seiner Harfe bei Gottfried von Straßburg und den Barden Troubadix bei Asterix mit seiner Leier. 

Die Lyra und die Leier sind Vorformen der Harfe. Bereits 3.000 v. Chr. spielte übrigens Hekenu die Harfe im Alten Ägypten, zumindest gibt es dazu Abbildungen. Dann wurde das Harfenspiel eher männerlastig, heute dominieren Harfenistinnen die internationale Musikszene. 

Wieviel Zeit müsste ich investieren, um Harfe zu lernen? 

Wenn Sie musikalische Vorkenntnisse haben und jeden Tag eine halbe oder eine dreiviertel Stunde üben, können Sie schnell kleinere Stücke spielen. Man spielt mit acht Fingern und die Noten sind wie beim Klavier. Sie können sich das so vorstellen: Alle schwarzen Tasten auf dem Klavier betätige ich beim Spielen mit den Füßen, man braucht also ein wenig Koordination. Man lernt Harfe auf der sogenannten irischen Hakenharfe. Die Konzertharfe, auf der ich spiele, hat zusätzlich eine Mechanik für die Halbtonschritte, die ich mit den Füßen spiele. Da ich meine Harfe nie aus der Hand geben würde, transportiere ich das 1,86 m große und 40 Kilogramm schwere Instrument übrigens immer selber mit einer Sackkarre, wenn ich in Deutschland auftrete. 

Gab es denn auch ein Highlight im Corona-Jahr?

Ja, meine erste Solo-CD „C’est moi“, bei der mich der WDR wirklich sehr unterstützt hat. Man hat mich interviewt und meine Stücke im Radio gespielt. Im Januar ist dann auch das Fernsehen auf mich aufmerksam geworden und hat mit mir einen Beitrag für die Lokalzeit gedreht. Meine Selbstständigkeit, meine Website, meine erste Solo-CD – das alles bedeutet mir unglaublich viel und das habe ich auch alles trotz Corona geschafft. Und gerade habe ich ein Stipendium des Konjunkturprogramms NEUSTART KULTUR bekommen. Das ist für mich der Startschuss für die zweite Solo-CD mit Pop- und Rockstücken. 

Die Freiheit der Kunst ist im Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschrieben. Eine Initiative möchte die Kultur als „kollektives gesellschaftliches Interesse“ im Grundgesetz verankern. Damit wäre die Förderung von Kunst und Kultur nicht mehr eine freiwillige Aufgabe von Bund und Ländern, sondern gesetzlich gesichert. Wie sehen Sie das?

C’est moi“ (2020). 15,00 € zzgl. Versandkosten

Ob die Förderung von Kunst und Kultur ins Grundgesetz gehört, diese Entscheidung überlasse ich den Juristen. Für mich sind Kunst und Kultur ein wichtiges gesellschaftliches Gut, das es zu schützen und zu bewahren gilt. Für die Musik kann ich nur sagen, dass sie die Seelen berührt und für viele Menschen Trost und Medizin ist.  Gerade in dieser Zeit merken wir doch alle – nicht nur wir aktiven Künstlerinnen und Künstler – wie sehr uns die Musik fehlt, weil wir weder auf Konzerte noch auf Festivals oder in die Oper gehen können. Was wäre die Welt also ohne Musik?

Susan Tuchel

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