Immobilien-Entwicklerin und Vorwärtsdenkerin

Wie muss ein Umfeld aussehen, in dem wir mit anderen Menschen produktiver, kreativer und zufriedener arbeiten wollen? 
Diese Frage stellt sich Nicole Höhr, Architektin, Immobilienökonomin und Gründerin von Coinel Development jeden Tag.

Immobilien sind für sie mehr als Steine, Mörtel und Beton. Gemeinsam mit ihrem Team arbeitet sie dafür Orte zu schaffen, die nach den Prinzipien von Teilen und Teilhabe funktionieren. Und dabei gleichzeitig nachhaltig und wirtschaftlich sind.
Wie funktioniert das? Wir treffen die Unternehmerin und Tochter eines Rheinschiffers in der Werft 16. Ehemals ein Finanzamt mit 80er Jahre Charme im ländlich geprägten Düsseldorf Heerdt, strahlt hier inzwischen ein goldener Kubus vom Dach und verbindet modernes Interior mit ökologischer Innovation. Kein Wunder, dass Coinel Development dafür 2021 mit dem Polis-Award für intelligente Nachverdichtung ausgezeichnet wurde.

Nicole Höhr, Inhaberin Coinel Development: „Wir transformieren alte Areale in Sehnsuchtsorte für Menschen.“

Ihr Markenzeichen ist, dass Sie Orte neu erfinden. Das klingt zunächst einmal ziemlich visionär. Was bedeutet das konkret?

Orte kann man neu erfinden, indem man ihnen eine neue Chance gibt. Im Falle der Werft 16 hatten wir mit einem Objekt zu tun, das leider so aussah, wie man sich die Arbeit in einem Finanzamt vorstellt: grau, eindimensional und ziemlich öde. (lacht) – Aber als ich auf dem Kiesdach stand und auf den Rhein blickte, wusste ich gleich: Das ist mein Projekt! Vielleicht auch, weil ich als Tochter eines Rheinschiffers von der Aussicht überwältigt war. Das Konzept von Coinel ist es allerdings nicht, mit der Abrissbirne anzurücken, sondern mit dem Bestand zu arbeiten. Substanz erhalten und gleichzeitig Inspiration und Mehrwert schaffen. Das ist unser Anspruch. Der markante Gebäudecharakter blieb erhalten und wurde sinnvoll aufgewertet. Bodentiefe Fenster im aufgestockten Dachkubus bieten einen weitreichenden Blick auf Düsseldorfs Skyline. Im Inneren schaffen unverblendete Elemente und Fassaden eine loftartige Atmosphäre. So haben wir einen Ort kreiert, der sogar Menschen anzieht, die Düsseldorfs Out-
skirts bisher eher gemieden haben.

Weil Sie der Werft 16 eine neue Identität verliehen haben?

Ja, so könnte man das sagen. Die Identität der Werft 16 entsteht allerdings nicht nur durch bautechnische oder ästhetische Anpassungen. Wie überall in unserer Arbeit entsteht der Mehrwert im Raum. Indem wir Ressourcen, Synergien sinnvoll ausnutzen. Kinderbetreuung, Kochevents oder Sportangebote. Möglichkeiten, die keiner von uns alleine stemmen könnte. Manche fragen, wo der Haken ist. Den gibt es aber nicht. Jeder benötigt weniger individuelle Räume, weil er in der Gemeinschaft mehr hat. Kein Unternehmen braucht ständig einen Konferenzraum oder eine voll eingerichtete Küche. Auf diese Weise optimieren wir Flächen und Verbrauch und erhöhen gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit aller. 

Wer sind Ihre Mieter und Mieterinnen?

Menschen, die Interesse an Gemeinschaft haben und bereit sind, Räume zu teilen, weil sie den Social Impact sehen, der in diesem Gebäude steckt. Am Anfang haben wir uns über Social Media gefunden. Die weitere Entwicklung war dann organisch. Es sind Agenturen, Anwälte, ein Unternehmen aus der Welt der Digitalisierung und der Bitcoin-Industrie oder ein Modelabel. Gerade für kleinere Firmen, Start-ups oder Einzelunternehmer ist es ein maßgeblicher Zugewinn und Attraktivitätsfaktor, wenn sie ihren Mitarbeitenden Angebote machen können, die es sonst nur in großen Firmen gibt. 

Wie funktioniert das Zusammenleben im Alltag? Gibt es bestimmte Regeln? 

Die Werft-Gemeinschaft basiert auf den Prinzipien von Geben und Nehmen. Darauf haben wir uns alle geeinigt. Außerdem haben wir eine eigene „Werft-Ordnung“. Sie können sich das ein bisschen wie eine große Wohngemeinschaft vorstellen. Jeder steuert etwas bei und übernimmt Gemeinschaftsaufgaben. Bei uns ist es zum Beispiel ein monatliches Frühstück. Es gibt Koch-Events oder gemeinsame Parties mit DJ. Morgen treffen wir uns alle auf eine Pizza und einen Wein … 

Nicole Höhr:  „Wir denken Immobilien-Rendite anders. Nachhaltig, innovativ und ganzheitlich. Das macht mir und meinem Team mehr Freude. Und dem Anleger auch.“ 

Mit dem Pionierprojekt Werft 16 wurde ein  Ankerplatz am Rhein  errichtet. 

Und das läuft dann alles über den Flurfunk? Oder wie kommunizieren Sie solche Veranstaltungen?

Wir nutzen eine interne digitale Plattform. Darüber kann man die Gemeinschaftsräume mieten und mitteilen, wenn etwas benötigt wird. Und man erfährt, was gerade in der Werft 16 passiert. Aktuell haben wir ein paar neue Sport-Angebote: Crossfit am Rhein und die Möglichkeit einen Coach zu buchen, den wir gemeinsam bezahlen. Ein- oder zweimal im Jahr starten wir soziale Aktionen und packen zum Beispiel Geschenke für Kinderheime ein. 

Sie haben in der Werft 16 auch eine Großtagespflege für 0 bis Dreijährige. Üblich ist das nicht …

Bei uns ist vieles üblich, was woanders unüblich ist (lacht). Die Kita „Obstsalat“, in der übrigens nur nette Menschen arbeiten dürfen, erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die meisten fahren ihre Kinder morgens kreuz und quer durch die Stadt. Das hat mich selbst schon immer gestört. Wir wollten auch kleineren Unternehmen die Möglichkeit bieten, dass ihre Mitarbeitenden näher bei ihren Kindern sind. Das stiftet Wohlbefinden und trägt zur Work-Life-Balance bei.

Viele Angebote haben sicherlich ihren Preis …  Ist das Konzept der Werft 16 überhaupt tragfähig?

Gute Konzepte müssen wirtschaftlich sein. Deshalb achten wir von Anfang an auf einen sinnvollen Einsatz von Ressourcen. Nicht jeder Raum muss klimatisierbar sein. Nicht überall müssen Kabel gelegt werden. Wir orientieren uns dabei an sinnhaften Nachhaltigkeitsideen, heute in aller Munde als sogenannte ESG-Normen. Vereinfacht gesagt, umweltspezifische und ökologischen Kriterien, die Bauen nachhaltiger machen. Unser Fokus liegt auf dem Sozialen. Für den Umbau haben wir zum Beispiel hauptsächlich mit Handwerksbetrieben aus der Umgebung zusammengearbeitet. Dadurch sind die Anfahrtswege kürzer. Da wir als Projektentwickler keine Betreiber sind, können wir moderate Mietpreise aufrufen. Nach dem Vorbild der Werft 16 planen wir aktuell übrigens noch weitere Projekte, zum Beispiel  Glückhaania in Haan, also rund 20 Minuten von Düsseldorf entfernt. Dort können unsere Mieter und Mieterinnen zukünftig nicht nur arbeiten, sondern auch wohnen. 

Was ist das Besondere an Glückhaania?

Das Gelände hat eine Fläche von etwa 25.000 Quadratmetern. Ein unglaubliches Potenzial! Früher war dort eine Haken- und Ösenfabrik, die wir nun aus ihrem Schlaf erwecken. Auch hier gilt: Substanz erhalten und Mehrwert schaffen. Aktuell wird das Areal von Kunstschaffenden genutzt. Perspektivisch wollen wir weitere innovative Konzepte andocken: Einen Gärtner, der inklusives Farming auf den Dächern betreibt, einen Imker mit Bienenvölkern … Auf diese Weise wollen wir Glückhaania zu einem Ort machen, der sich in Teilen auch selbst versorgt. 

Wie wollen Sie das Gelände gestalten?

Was spannend ist und Charakter gibt, behalten wir bei. Die alten Werkshallen sollen zum größten Teil bestehen bleiben. Die Fenster von unserem Bürogebäude werden ggf.  neu beschichtet, anstatt sie auszutauschen. So etwas eben. Im bestehenden Bürogebäude werden wir über 1.000 Quadratmeter Büroflächen reaktivieren, gefolgt von  Wohnungen aus Holz und anderen spannenden Nutzungen. Insgesamt ca. 18.000 Quadratmeter Fläche. Flächen werden entsiegelt. Denn das ganze Areal ist als Industriefläche komplett versiegelt. Fahrräder werden im Rahmen einer nachhaltigen Fortbewegung immer wichtiger. Deshalb soll es in Glückhaania einen Fahrradstore geben. – Es muss nicht alles perfekt sein. Aber die Seele muss stimmen. Und die hat jeder Ort!

„Immobilien schaffen den Rahmen. Inhalte entstehen allerdings erst durch den Menschen. Deswegen vernetzen wir Menschen und Flächen miteinander, um so Gemeinschaftsangebote zu ermöglichen, die allen Mehrwert bieten.“

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Nicole Höhr

hat Architektur und Immobilienökonomie studiert und entwickelte mit ihren Partnern und ihrem Team Projekte wie Apple in Frankfurt , das Münsterhaus in Bonn, Flinger-Pur in Düsseldorf und zahlreiche andere Standorte.  Als Tochter eines Rheinschiffers lernt sie mit vier Jahren schwimmen. Der Rhein prägt sie. Zwischen gefluteten Laderäumen und Wasserfontänen spielt sie auf 1.250 Tonnen Sand.

2010 gründete sie Coinel Development. Ihre zukunftsgewandte Art zeichnet sie aus. Den Blick stets auf den Menschen gerichtet. Und seine Bedürfnisse an Lebensraum.

Sie lebt mit ihrer Tochter, Partner und zwei Hunden auf einem Gutshof in den Rheinauen mit Blick auf den Rhein und Düsseldorf. Das ist für sie die perfekte Mischung.

Noch heute schläft sie gern auf dem Wasser. Sie hat einen Segel- und Bootsschein und baut sich ein Hausboot in Holland, das sie für kreative Think Tanks nutzen will. 

Gibt es noch weitere Projekte, die Sie zurzeit entwickeln?

Ja, ein wichtiges Thema für uns sind Schulen. In Köln fehlen z. B. fast 50 Schulen. Ein Schulneubau dauert im Durchschnitt zwischen neun und 13 Jahren. Das ist zu lange. Deshalb planen wir in Leerständen Ersatzschulen für private Trägerschaften, die innovativ denken. Damit entlasten wir den öffentlichen Haushalt. Sie glauben gar nicht, wie sehr eine Schule einen Stadtteil verändert. Kinder und Bildung. Das sind die perfekten Transformatoren! Überhaupt ist uns wichtig, gesellschaftswirksame Konzepte zu realisieren. Deswegen leben und arbeiten wir nach dem Ansatz von New Work. Freiheit. Selbstständigkeit. Teilhabe. Wir wollen, dass Menschen sich in ihrem Umfeld wohlfühlen. Am Arbeitsplatz. Zu Hause. Kurz: In ihrem Lebensraum. Fühle ich mich wohl, produziere ich bessere Ergebnisse, bin produktiver, kreativer und aufgeschlossener für Veränderung. Und davon haben wir alle etwas. 

Wie sehen Sie die Entwicklung in der Immobilienbranche? 

Als ich mich 2010 als Immobilienentwicklerin selbstständig gemacht habe, war ich ein Exot. Die Branche war durch und durch männlich besetzt. Inzwischen ist es etwas besser. Trotzdem hinkt die Immobilienbranche der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung an vielen Stellen hinterher. Speziell in Bezug auf wichtige ESG-Themen wie „Health and Wellbeing.“ Denn leider geht die Planung vieler Industrie- und Bürogebäude hauptsächlich vom Objekt aus. Charakterlose Bauten sind die Konsequenz. Fehlende Identifikation die Folge. In einer Zeit, in der der Mitarbeitende als Botschafter einer Unternehmung zunehmend wichtiger wird, ein fataler Fehler. Zudem wird noch zu oft in kurzfristiger Rendite gedacht. Nachhaltige Entwicklung ist so natürlich kaum möglich. Das wollen wir ändern. Die Dinge besser machen. Mindset steht für uns daher vor kurzfristigem Money-Making. Und wir sehen: Es funktioniert!

Susan Tuchel

Der ehemalige Werksleiter des Familienunternehmens Schwarze & Sohn hat 50 Jahre in der Haken- und Ösenfabrik gearbeitet. Klaus Keusen ist erleichtert, dass die Gebäude in Glückhaania erhalten bleiben.

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