Die Zahl der Apotheken in Deutschland ist mit 18.461 so niedrig wie zuletzt Anfang der 80er Jahre. Und auch die Zahl der selbstständigen Apothekerinnen und Apotheker ist seit mehr als einem Jahrzehnt rückläufig. Nadine Freialdenhoven schwimmt gegen den Trend. Sie ist Vorstandsmitglied der Apothekerkammer Nordrhein, führt vier Apotheken im Rhein-Erft-Kreis und möchte junge Menschen für ein Pharmaziestudium, eine Ausbildung zur Pharmazeutisch-Technischen Assistentin (PTA) oder zum Pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten (PKA) begeistern. 

Spreche ich von Pharmazeutisch-Technischen Assistentinnen, den so genannten PTAs, diskriminiere ich nur 3,2 Prozent der Männer. Bei den Pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten (PKA) liegt der Männeranteil sogar nur bei 1,9 Prozent. Die Apothekerschaft ist zu 73,3 Prozent weiblich. Wie erklären Sie sich diese weibliche Vorliebe für Tabletten, Salben, Tiegel und Töpfchen?

 © freialdenhoven-apotheken

Es geht dabei nicht um die Produkte und Wirkstoffe, sondern um das Thema Gesundheit. Ich erkläre das immer ganz gerne mit der so genannten „Limbic Map“. Das ist ein Modell, das auf drei Emotionssystemen im Gehirn basiert: auf Stimulanz, Dominanz und Balance. Die meisten Menschen streben danach, Dinge zu tun, die Freude machen und sie vermeiden alles, was ungute Gefühle auslöst. Wer sich für den Beruf einer Apothekerin, einer PTA oder PKA entscheidet, ist nach dem Limbischen System eher „grün“, was für ausbalanciert steht. Diese Berufsfelder stehen für Geborgenheit, Sicherheit und Stabilität und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch gegeben. Offensichtlich kommt Frauen dieses Emotionssystem mehr entgegen als Männern. Ich vermute, auch eine politisch verordnete Männerquote würde hier nicht weiterhelfen. Andererseits brauche ich als Unternehmerin einen sehr hohen stimulant-dominanten Anteil, da Unternehmertum mit Risiko, Macht und Abwechslung zu tun hat. Den habe ich auch, kann ihn aber in meinem Beruf mit meinen grünen Balance-Anteilen perfekt verbinden. 

Sie suchen wie so viele Unternehmen aktuell Fachkräfte. Werden diese weiblichen Apotheken-Berufe womöglich nicht so gut bezahlt, wie es in vielen anderen klassischen weiblichen Berufen Usus ist? 

Das würde ich nicht sagen. Eine PTA verdient zwischen 3.000 und 3.500 EUR und die Tendenz geht nach oben, weil der Fachkräftemangel die Einkommensspirale nach oben dreht. Das Problem liegt woanders: Die Apothekerkammer Nordrhein hat Pharmazeuten im Praktikum, also Studenten nach dem 2. Staatsexamen und vor dem 3. Staatsexamen, befragt, wie sie ihre Berufsaussichten in einer öffentlichen Apotheke einschätzen. Die Antworten waren: mäßig bis schlecht. Als Begründung wurden eine unsichere Zukunftsperspektive aufgrund des Rückgangs der Apotheken sowie der Online-Versandhandel angeführt. Diese Einschätzung macht natürlich auch etwas mit den PTAs oder den Frauen, die überlegen, diesen Beruf zu wählen. Sie fangen an, am Sinn ihrer Ausbildung zu zweifeln. Aktuell haben wir die Situation, dass nur noch ein Viertel der zukünftigen Apothekerinnen und Apotheker in einer öffentlichen Apotheke arbeiten möchte. Über ein Drittel des Apothekennachwuchses plant in die Pharmaindustrie abzuwandern. 

Laut einer Bitkom-Umfrage liegt der Anteil der Bevölkerung in Deutschland, der regelmäßig Medikamente online kauft, bei 62 Prozent. Wie zukunftssicher ist es dann, in einer stationären Apotheke zu arbeiten?

Die Zukunftsperspektiven werden schwarzgemalt, dabei sind es die Online-Apotheken, die  rote Zahlen schreiben. Eine stationäre Apotheke bietet ihren Kunden einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert. Die Apotheke ist eine Begegnungsstätte. Wir nehmen uns Zeit für unsere Kundschaft. Gesundung fängt in dem Moment an, wenn ich mit den Kundinnen und Kunden rede. Per Mausklick funktioniert das einfach nicht. 

Aber ich möchte den Wandel im Handel auch nicht schönreden. Ich muss mich als Unternehmerin denselben Herausforderungen stellen wie der gesamte stationäre Handel. Das Leben ist bei den meisten Menschen schneller getaktet und sie möchten in der Kürze der Zeit mehr haben. Ich frage mich deshalb immer wieder: Was kann ich für meine Kundinnen und Kunden tun, damit sie von einem Besuch in meinen Apotheken profitieren? An erster Stelle steht natürlich die fachliche Beratung. Wir raten nicht nur zu, sondern auch bei bestimmten Medikamentencocktails eindringlich ab. In Amerika berät Sie keiner. Wir bieten in unseren Apotheken jeden Monat Kundenevents an. Dabei geht es um Themen, die alle angehen wie Haarausfall, brüchige Nägel, Hauptprobleme oder Vitaminmangel. Wir testen auch z. B. die Blutdruckmessgeräte der Kunden, ob sie die richtigen Ergebnisse anzeigen. Oder wir verschenken Zitronen, um mit Vitamin C das Immunsystem zu stärken. 

Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine, Spurenelemente etc. sind ein Riesenmarkt, aber die bekomme ich in Drogeriemärkten deutlich günstiger als in der Apotheke …

Das liegt daran, dass in den Mengenangaben in den Drogeriemärkten die Pflanzenanteile gemessen werden und nicht deren Wirkstoff. In Apotheken erwerben Sie immer einen standardisierten Extrakt und die Firmen garantieren die Inhaltsstoffe. 100 Gramm Johanniskraut sind dann tatsächlich auch 100 Gramm Wirkstoff. Das ist ein entscheidender Unterschied zu den Discounter-Produkten.

Ihre Apotheken sind im Kreis Bergheim die einzigen, die als Phytothek-Apotheken lizenziert sind. Stehen Sie also auf der Seite der Naturkundler und Homöopathen? 

Zunächst einmal ist es richtig, dass Phytothek-Apotheken den Nachweis erbringen müssen, dass ihr Personal speziell für Phytopharmaca geschult ist. In Deutschland gibt es derzeit nur etwas mehr als 900 Phytothek-Apotheken. Das sind keine fünf Prozent der Apotheken insgesamt. 

Warum das so wichtig ist? Die Natur bringt die stärksten Gifte und damit auch hochwirksame Arzneimittel hervor. Das ist einfach ein unglaublich spannendes Thema. Denken Sie nur an Penicillin, das aus Schimmelpilzen gebildet wird. Das erste Antibiotikum in der Medizingeschichte kommt also aus der Natur. Ein Steckenpferd von mir ist auch die so genannte Klostermedizin, die wir in unseren Apotheken führen. Darunter finden sich Produkte wie das Zistrosenspray, das nach Untersuchungen des Helmholtz Zentrums in München nachweislich antibakteriell und antiviral wirkt und Infekte lindert. 

Sie möchten mehr junge Menschen dafür begeistern, in Apotheken zu arbeiten. Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen? 

Chemie hat mir immer Spaß gemacht, Physik habe ich in der Schule gehasst, aber im Studium beim Experimentieren lieben gelernt. Was ich aber nie vergessen habe, ist, dass wir an der Universität in München Milchzuckerproben aus Tschernobyl in der Experimentalphysik untersucht haben. Da war Tschernobyl schon ein paar Jährchen her. Trotzdem hatten die Proben eine Reststrahlung. 

Apothekerin bin ich über Umwege geworden. Angefangen hat alles mit einer Videokassette über den Beruf der PTA in der neunten Klasse in der Realschule. Da stand für mich fest: Das ist genau das, was ich machen möchte. Ich habe eine PTA-Schule in Baesweiler in der Nähe von Aachen besucht, dann auf dem zweiten Bildungsweg mein Abitur in Bayern gemacht. In München habe ich neun Semester lang Pharmazie studiert. 

Das Studium war das Beste, was ich je erlebt habe. Es hat mein Denken verändert und ich habe sehr viel Handwerkliches gelernt. Wie man Granulate und Dragees herstellt zum Beispiel. Dieses Wissen setze ich heute jeden Tag um, weil wir in unseren Apotheken Wirkstoffe so lange verdünnen, bis wir die richtige Dosierung für Kinder mit Transplantationen haben oder für Babys mit Herzfehlern. 

Wie erreichen Sie Ihre Zielgruppe beim Mitarbeiterinnenrecruiting?

Wir verteilen an PTA-Schulen und in unseren Apotheken Zettel, auf denen wir ermuntern, sich per WhatsApp bei uns zu bewerben. Ganz formlos mit: „Hallo, ich bin PTA, heiße … und würde euch gerne kennenlernen!“ Wir werben viel über Social Media. Außerdem leisten wir uns eine HR-Managerin in den Apotheken, die analog und digital sucht. Die Bewerbungsphase ist also ganz einfach. Dennoch nehmen wir nicht jede Bewerberin. Wir haben einen mehrstufigen Bewerbungsprozess. Denn die zukünftige Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter müssen zu uns passen. Kundenorientierung und Teamfähigkeit sind für uns mit die wichtigsten Kriterien. 

Susan Tuchel

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