Am 1. Januar 2024 feiert der Euro sein 25-jähriges Jubiläum. Es hat Jahrzehnte gedauert, um nach vielen Rückschlägen und Enttäuschungen eine gemeinsame Währung auf den Weg zu bringen. Ein Streifzug durch die Geschichte der europäischen Wirtschaftspolitik.

Alles fing an im Jahr 1922 mit „Paneuropa. Ein Vorschlag“, einem Buch aus der Feder von Richard Coudenhove-Kalergi (1894 – 1972). Der Autor war Sohn einer japanischen Mutter und eines alt-österreichischen, vielsprachigen, weitgereisten und weltoffenen Grafen. Coudenhove-Kalergi hatte erkannt, dass der übersteigerte Nationalismus die Staaten in den Ersten Weltkrieg geführt hatte und plädierte für eine Überwindung des Nationalismus. Als Gegenmodell entwarf er die Idee eines kontinental-europäischen Überstaates von Portugal bis Polen. Mit dieser Idee war Coudenhove-Kalergi seiner Zeit voraus. Es musste erst noch ein Zweiter Weltkrieg, der Ost-West-Konflikt sowie der Zusammenbruch des Ostblocks nach 1989/1990 folgen, um das gedankliche Modell von Coudenhove-Kalergi zu verwirklichen.

DIE ERSTE ETAPPE: Die Montanunion

Der nächste, der sich für eine europäische Idee stark machte, war der 1886 in Luxemburg geborene Robert Schuman. Als nach dem Versailler-Vertrag die Region Elsass-Lothringen wieder zu Frankreich kam, nahm er die französische Staatsbürgerschaft an und zog zwischen den beiden Weltkriegen als Abgeordneter ins französische Parlament. Als Premierminister und Außenminister Frankreichs wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Wegbereiter des heutigen Europas.

DIE ZWEITE ETAPPE: Die EWG

Am 25. März 1957 schlossen die sechs Kernstaaten die sogenannten Römischen Verträge und schufen eine Zollunion der sechs Kernstaaten. Ein gemeinsamer Agrarmarkt regelte die Abnahme von landwirtschaftlichen Produkten innerhalb der EWG zu festen Preisen. Der damit einhergehende Protektionismus sicherte das Überleben der Landwirtschaft in den sechs Ländern. Marktfreiheit und Marktbeschränkungen sind wesentliches Element der EWG gewesen.

DIE DRITTE ETAPPE: Der Werner-Plan

Im Oktober 1970 legte der luxemburgische Premierminister Pierre Werner einen 3-Stufen-Plan für eine gemeinsame Währung vor. In der ersten Stufe sollte von 1971 bis 1974 das wirtschaftliche Instrumentarium für eine bessere Koordination der Geldpolitik implementiert werden. In der zweiten Stufe sollten Wechselkursänderungen nur noch mit Zustimmung aller EG-Staaten möglich sein. In der letzten Stufe sollte die Geldpolitik schließlich von einer Europäischen Zentralbank gesteuert werden. Das Konzept Werners war durchaus überzeugend. Es scheiterte aber schon in der ersten Stufe, da eine Einigung über eine gemeinsame Wirtschaftspolitik nicht möglich war. Denn während die Staatengruppe um die Bundesrepublik Deutschland eine uneingeschränkte Stabilitätspolitik forderte, hatte für die Gruppe um Frankreich und Italien die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die höchste Priorität, wofür sie eine höhere Inflation billigend in Kauf nahm.

Gebäudekomplex der Europäischen Zentralbank in Frankfurt a. M., von Nordwesten gesehen.

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Ökonomisten gegen Monetaristen

Zwei unterschiedliche Denkschulen prallten unversöhnlich aufeinander: „Ökonomisten“ versus „Monetaristen“.
// Aus der alten Bundesrepublik Deutschland kamen insbesondere die Vertreter der „Ökonomisten“. Sie sprachen sich für eine möglichst hohe Geldwertstabilität aus, die die Deutsche Mark seit der Währungsreform von 1948 immer ausgezeichnet hatte. Ihr Kernargument: Erst wenn die Wirtschaftspolitik der EG-Länder harmonisiert sei und die zum Teil hohen Inflationsraten einheitlich niedrig wären, wäre ein einheitliche europäische Währung als „Krönung“ der wirtschaftlichen und finanzpolitischen Anstrengungen denkbar (Krönungstheorie).
// Ganz anders die Argumentation der „Monetaristen“, die besonders in Frankreich zu finden waren: Sie gingen davon aus, dass eine Währungsunion eine Sogwirkung entfalten und damit die Angleichung der Wirtschaftspolitik und die europäische Integration selber beschleunigen würde (Lokomotivtheorie).

Ein konkretes Ergebnis hatte der Werner-Plan schließlich doch noch: die Gründung eines Wechselkursverbundes, der so genannten „Europäischen Währungsschlange“. Am 21 März 1972 beschloss der EG-Ministerrat die Schwankungsbreite der nationalen Währungen der damaligen sechs EG-Staaten auf 4,5 Prozent zu begrenzen. Es zeigte sich schon bald, dass die unterschiedlichen Wirtschaftsentwicklungen der EG-Länder einen derartig engen Währungsverbund unmöglich machten. Faktisch war damit der Versuch gescheitert, die teilnehmenden nationalen Währungen im Rahmen enger Bandbreiten zu steuern. Dabei befürworteten besonders deutsche Unternehmen in diesem Zeitraum die währungspolitische Zusammenarbeit in Europa, weil dichte Handelsbeziehungen, enge Verflechtungen bei Direktinvestitionen und stabile Wechselkurse für die bundesdeutsche Volkswirtschaft einen hohen Stellenwert hatten. Bis in die späten 1980er Jahre sollte sich zeigen, dass unter den sechs EWG-Ländern (seit 1973 neun EWG-Ländern) eine Annäherung in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen faktisch unmöglich war.

Auch die Bürger von Kerneuropa profitierten von der Wirtschaftsunion: das Warenangebot nahm zu, die Versorgung insbesondere mit günstigen Lebensmitteln garantierte reich gedeckte Tische.

Dr. Gerd Meyer

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DR. GERD MEYER

// Studium der Volkswirtschaft, Politikwissenschaft, Anglistik und Geschichte an den Universitäten Bonn, Sussex/ Brighton und Oxford.
// Berufliche Stationen: Referent im Deutschen Bundestag, Chef vom Dienst im Bundespresseamt, Pressesprecher im Bundesbauministerium, Leiter der Unternehmenskommunikation und Pressesprecher bei Kreditinstituten
// Veröffentlichungen zu volkswirtschaftlichen Themen, als PR-Berater freiberuflich tätig.

NEUSTART MIT d‘Estaing und Helmut Schmidt

Die wirtschaftlichen Turbulenzen, die durch die Ölkrise (1973/74) und die heftigen Wechselkursschwankungen ausgelöst wurden,verlangten nach neuen Lösungsansätzen. Unter dem französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing und dem deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt kam 1978/79 ein Neustart für ein europäisches Währungssystem (EWS) zustande. Aber es kam immer wieder zur Aufwertung der D-Mark und des holländischen Gulden, während die abwertenden Länder innenpolitisch vor Zerreißproben standen. Die D-Mark etablierte sich als Ankerwährung des EWS dank der stabilitätspolitischen Erfolge der Deutschen Bundesbank. Gleichzeitig nahmen die Klagen in den anderen EG-Hauptstädten über die Souveränitätsverluste durch das vermeintliche deutsche Zinsdiktat zu. Anfang der 1980er-Jahre war die politische Zusammenarbeit auf einem Tiefpunkt angekommen. Der Begriff „Eurosklerose“ wurde zum Schlagwort und bezeichnete den Stillstand der europäischen Politik.

Bundeskanzler Helmut Schmidt im Jahr 1977, Foto: (c) Hans Schafgans 1977

Mit Sicherheit werden aber sowohl der gemeinsame Markt als auch die Euro-Währung Bestand haben. Denn keine nationale Regierung, kein noch so nationalistischer Politiker könnte sein Land herauslösen, ohne der eigenen Nation schwersten ökonomischen und sozialen Schaden zuzufügen … Die wirtschaftliche Union der Europäer wird dagegen von Dauer sein und in der Weltwirtschaft großes Gewicht haben – und ebenso ihre Währung, der Euro. … Inzwischen ist der Euro in seiner inneren Kaufkraft (d. h. in der Inflationsrate) stabiler als die anderen großen Währungen. In seiner äußeren Kaufkraft (d. h. in seinem Wechselkurs) ist der Euro sehr viel stabiler als die beiden anderen großen Währungen Dollar und Renminbi oder auch Yen, Rubel und Sterling. Wenn wir bei den kleinen nationalen Währungen Franc, Lira, DM etc. geblieben wären, hätten internationale Hedge-Fonds und dergleichen mit unserem Geld rücksichtslos spekulieren können. Ohne den Euro gäbe es auch innerhalb des gemeinsamen Marktes gefährliche Spekulationen auf Wechselkursveränderungen zwischen 27 Währungen.

Helmut Schmidt

Außer Dienst: Eine Bilanz, 2008

Neuer Europaoptimismus

1981 gaben der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher und sein italienischer Amtskollege den Anstoß für eine „Einheitliche Europäische Akte“, die am 1. Juli 1987 in Kraft trat. Nach der EEA sollten mit dem Zieldatum 31. Dezember 1992 der EG-Binnenmarkt schrittweise vollendet und damit noch bestehende Handelsbeschränkungen überwunden werden. Die Initialzündung zur Europäischen Währungsunion setzte Genscher. 1988 veröffentlichte er ein „Memorandum für die Schaffung eines Europäischen Währungsraumes und einer Europäischen Zentralbank“. Als Grundvoraussetzung eines einheitlichen Währungsraumes forderte er die Autonomie der neuen Notenbank und das Verbot der Notenbank, nationale oder gemeinschaftliche Haushaltsdefizite zu finanzieren. Als Magna Charta europäischer Stabilitätspolitik definierte Genscher die Geldwertstabilitätspolitik als erste Aufgabe der neuen Notenbank.

Das Memorandum empfahl dem Europäischen Rat, ein Gremium von „5–7 Weisen“ mit dem Auftrag einzusetzen, „binnen Jahresfrist für die Entwicklung eines europäischen Währungsraumes und ein Statut für die Errichtung einer Europäischen Zentralbank zu entwerfen …“ Reserviert nahmen die Deutsche Bundesbank und das Bundesfinanzministerium das Memorandum auf. Entscheidend für die weitere Entwicklung wurde nun die Haltung des Bundeskanzleramtes. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte seit seinem Amtsantritt im Oktober 1982 bei zahlreichen Gelegenheiten seine pro-europäische Haltung deutlich gemacht. In Hannover beschlossen die Regierungschefs, den sogenannten Delors-Ausschuss – benannt nach dem französischen Wirtschaftswissenschaftler Jaques Delors – einzusetzen. Damit war das Thema „Wirtschafts- und Währungsunion“ zum TOP-Thema der europäischen Politik geworden. Im Juni 1989 billigte der Europäische Rat in Madrid den Delors-Plan. Während der Vorbereitung des Straßburger EG-Rats platzte dann das Ereignis herein, das die gesamte Weltgeschichte veränderte: der Fall der Berliner Mauer und der beginnende Zusammenbruch des Ostblocks.

Hans-Dietrich Genscher (r.) überreicht Präsident George H. W. Bush ein Stück der Berliner Mauer (21. November 1989)

Der Euro wurde nicht freudig begrüßt. Skepsis und Sorgen um die Stabilität war in weiten Kreisen der Gesellschaft verbreitet.

Dr. Gerd Meyer

Deutsche Wiedervereinigung und der Vertrag zu Maastricht

Der Fall der Berliner Mauer am 9. November und die Tagung des Europäischen Rates am 8. und 9. Dezember 1989 mit ihren Beschlüssen zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hat schon früh zu der These geführt, der Euro sei der Preis Deutschlands gewesen, um die Einheit Deutschlands zu erreichen. Diese Junktim-These ist sicherlich falsch. Der Zug in Richtung europäische Währung hatte bereits deutlich vor dem 9. November 1989 an Fahrt aufgenommen. Ein gutes Jahr nach der deutschen Wiedervereinigung trat am 12. Dezember 1991 die wichtigste und folgenreichste Vereinbarung mit dem Vertrag zu Maastricht in Kraft. Der Zeitplan für die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung war eng getaktet:

• Die 1. Stufe war bereits am 1. Juli 1990 verwirklicht worden: die Zentralbanken verstärkten ihre Zusammenarbeit, der Kapitalverkehr zwischen den EU-Ländern wurde komplett uneingeschränkt und die Konvergenz der Wirtschaftspolitik zwischen den EU-Ländern verbessert.
• Bis zum 1. Januar 1994 sollte die 2. Stufe zur Wirtschafts- und Währungsunion realisiert werden. Mit der Errichtung des Europäischen Währungsinstituts sollte die Europäische Zentralbank einen Vorläufer erhalten, um die Notenbankpolitik der EU-Länder besser zu koordinieren. Die nationalen Zentralbanken durften ab dem 1. Januar 1994 keine Kredite mehr an die öffentliche Hand vergeben.
• Zum 1. Januar 1999 sollte mit der 3. Stufe die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion vollendet werden. Zu diesem Termin sollten Umrechnungskurse der nationalen Währungen festgelegt sein, der Stabilität- und Wachstumspakt in Kraft treten und der EURO als Buchgeld eingeführt werden. Dabei sah der Stabilitätspakt „Konvergenzkriterien“ vor, die die Neuverschuldung der teilnehmenden Staaten auf maximal 3 Prozent und die Gesamtverschuldung auf maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzen sollte.

Berliner Mauer am 12. November 1989 (aus Richtung West- Berlin gesehen)

Der Zug in Richtung europäische Währung hatte bereits deutlich vor dem 9. November 1989 an Fahrt aufgenommen.

Dr. Gerd Meyer

25 Jahre Euro – eine Bilanz

Noch im Juni 1998 hatte in der Frankfurter Paulskirche ein offizieller Festakt „50 Jahre Deutsche Mark“ stattgefunden, bei dem Bundeskanzler Kohl erklärte: „Der Geburtstag am 20. Juni 1948 ist nicht irgendein Tag in der Geschichte unseres Volkes. In diesen 50 Jahren ist die D-Mark das Symbol für 50 Jahre Frieden, 50 Jahre Freiheit, 50 Jahre Stabilität und Wohlstand. Die D-Mark half den Deutschen in ungeahnter Weise, ein Stück Identität zu finden.“

Im Juni 1992 – sechs Monate nach der Maastrichter Regierungskonferenz – gaben zwei Drittel der Bevölkerung bei einer Befragung des Allensbach Instituts an, dass sie nicht glaubten, dass die neue europäische Währung so stabil bleiben würde wie die D-Mark. Kritiker versuchten sogar, die Europäische Währungsunion durch eine Verfassungsklage zu verhindern. Die Richter in Karlsruhe wiesen die Klage als „offensichtlich unbegründet“ zurück. Bis heute sind in Deutschland Zweifel geblieben, obwohl die Fakten eine andere Sprache sprechen: • Die Stabilität der europäischen Währung ist seit der Einführung nachhaltiger gewesen als die der D-Mark. In den Jahren 1999 bis 2009 lag die Inflationsrate in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 0,3 und 2,6 Prozent. Nur in den Jahren 2007 und 2008 erreichte sie Werte über 2 Prozent. Zwischen 2010 und 2020 zwischen 0,14 Prozent (2020) und 2,08 Prozent (2011). • Die hohen Inflationsraten in 2021 (3,1 %), 2022 (6,9 %) und 2023 (größer 4 %) sind exogenen Folgen geschuldet, die von einer Notenbank nicht gesteuert werden können. Als Folge der Corona-Pandemie wurden Lieferketten von Waren unterbrochen und führten zu Preissteigerungen.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine verteuerte die Energiepreise in 2022 massiv und schlug gravierend auf die Preise durch. Die jüngsten Daten belegen, dass die Inflation wieder auf dem Rückzug ist. Das von der EZB angestrebte Inflationsziel von nahe 2 Prozent könnte in 2024 oder 2025 wieder erreicht werden, sofern exogene Schocks ausbleiben. • Problematisch ist die rasche Ausweitung des EURO seit seiner Einführung im Jahre 1999. Elf Länder starteten das EUROProjekt (Belgien, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Finnland, Österreich, Portugal und Spanien).

Schon zwei Jahre später folgte der Beitritt Griechenlands, obwohl die Reife der griechischen Volkswirtschaft für den gemeinsamen Währungsraum bezweifelt wurde. Es folgten Slowenien (2007), Malta (2008), Zypern (2008), die Slowakei (2009), Estland (2011), Lettland (2014), Litauen (2015) und Kroatien (2023) – Länder, die volkswirtschaftlich zu den schwächeren in Europa zählen. • Fakt ist, dass sich die europäische Währung im weltweiten Maßstab gut etabliert hat. Als internationale Währung hat der EURO sich als Nummer zwei hinter dem US-Dollar etabliert, sein Anteil am internationalen Devisenhandel lag Ende 2022 bei 37,7 Prozent; bedeutend ist auch der Anteil bei ausstehenden Anleihen (22 %) und als Währungsreserve in aller Welt (20,5 %).

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