In einer Welt, in der die Vielfalt der Lebensentwürfe farbenfroher denn je ist, wirkt das Erbrecht mit seiner über hundert Jahre alten Geschichte bisweilen wie ein Anzug von der Stange, der nicht so recht passen will. Während sich die gesetzliche Erbfolge am klassischen Familienbild (verheiratete Eltern mit eigenen Kindern) orientiert, sieht die Realität in der heutigen Gesellschaft ganz anders aus: Im Jahr 2022 war ein Drittel der Eltern von Neugeborenen nicht verheiratet, die Scheidungsquote lag bei rund 35 Prozent und der Anteil der Wiederheirat bei den Eheschließungen lag bei 16 Prozent.* Aus der täglichen Erbrechtspraxis** Jede Patchwork-Situation erfordert eine maßgeschneiderte Nachfolgegestaltung.

Holger Ries hat 2 Kinder aus erster Ehe, die Zwillinge Noah (12) und Anna (12). In zweiter Ehe ist er mit Ingrid Ries verheiratet. Sie haben eine gemeinsame Tochter, Lea (3). Die beiden leben im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Beide haben ein Vermögen von jeweils 240 TEUR.

Szenario 1: Herr Ries stirbt vor seiner Frau
(1) Stirbt Herr Ries zuerst, erben seine 2. Ehefrau 120 TEUR (? pauschaler Zugewinn-ausgleich und ? gesetzlicher Erbteil) sowie seine drei Kinder jeweils 40 TEUR (je 1/6). (2) Ist Frau Ries die Letztversterbende ist ihre Tochter Alleinerbin. Neben dem Erbe der Mutter, erbt sie auch ihren Erbanteil an dem Nachlass des Vaters i. H. v. 120 TEUR. Ergebnis: Aus dem Erbe des Vaters haben Noah und Anna jeweils 40 TEUR, Lea jedoch im Ergebnis 160 TEUR geerbt.

Szenario 2: Frau Ries stirbt vor ihrem Mann (1) Stirbt Frau Ries zuerst, erben ihr Ehemann und ihre Tochter jeweils 120 TEUR. (2) Ist Herr Ries der Letztversterbende sind seine drei Kinder die Erben. Alle drei Kinder erben aus dem Erbe des Vaters jeweils 80 TEUR sowie aus seinem Erbanteil an dem Nachlass seiner 2. Ehefrau jeweils 40 TEUR.

Ergebnis: Alle drei Kinder haben je 120 TEUR von ihrem Vater geerbt; die Kinder aus 1. Ehe partizipieren dabei auch an dem Vermögen der 2. Ehefrau. Um zu erreichen, dass keine unerwünschte Erbfolge eintritt, sollte daher Folgendes bedacht werden:

Gestaltungsziele definieren:
Überlegen Sie, wer im Falle Ihres Todes bedacht werden soll. Sicher wollen Sie Ihren Ehepartner absichern, aber vielleicht auch das Vermögen in der „Kernfamilie“ behalten. Bei minderjährigen eigenen Kindern soll vielleicht für die Ausbildung schon gesorgt sein, aber sichergestellt werden, dass nicht der Ex-Ehepartner die Vermögenssorge innehat. Vielleicht sollen gerade auch die Stiefkinder bedacht werden. Oder es kommen lebzeitige Schenkungen in Betracht, um Steuern zu reduzieren oder zukünftige Streitigkeiten zu vermeiden. Wichtig ist auch mit dem Ehepartner und u. U. auch mit Ihren (erwachsenen) Kindern über die Vermögensnachfolge zu sprechen.

Rechtliche Rahmenbedingungen klären
Informieren Sie sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen Ihres Falles, u. a. die gesetzliche Erbfolge, mögliche Ansprüche von Pflichtteilsberechtigten, wenn diese zu wenig oder nicht bedacht werden, die Situation bei Minderjährigen, die Risiken durch Ex-Ehepartner, die steuerliche Situation u.a.

Nachfolge gestalten
Aufgrund der hohen Komplexität in der Patchwork-Situation ist eine rechtliche und oftmals auch steuerliche Beratung in den meisten Fällen unerlässlich. Neben den Möglichkeiten zu Lebzeiten, wie der Vereinbarung eines Ehevertrags, eines Erb- und Pflichtteilsverzichts, Schenkungen zu Lebzeiten unter Einräumung von Nutzungsrechten (z. B. Wohnungsrecht, Nießbrauch) u. a., stehen bei der Gestaltung eines (gemeinschaftlichen) Testaments oder Erbvertrags eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung, um eine für Sie maßgeschneiderte Nachfolge entsprechend Ihren Wünschen und Zielen zu gestalten.

*Quelle: www.statista.com
**Die Namen wurden geändert.

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Dörte Berendes-Schaefer

Dörte Berendes-Schaefer ist Rechtsanwältin und Inhaberin der Kanzlei dbs – Erbrecht & Vermögensnachfolge, Mediatorin und Referentin.  Sowohl aus eigener Erfahrung als auch in ihrer täglichen Praxis erlebt sie, wie hoch emotional und belastend ein Krankheits-/ Todesfall in der Familie ist – gerade, wenn nichts geregelt ist. Daher ist es ihr ein besonderes Anliegen über gängige Fehlinformationen rund um Vorsorge, Vererben & Erben aufzuklären und zum Handeln anzuregen. Sie arbeitet und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Düsseldorf-Oberkassel.

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