Stellen Sie sich eine Welt vor, in der die Rauchmelder und Entrauchungsanlagen von Einkaufszentren im Brandfall versagen, der Griff zum Fön zu einem Stromschlag führt oder bei Produktionsanlagen Fehler unbemerkt bleiben – bis sie schwere Explosionen auslösen. Oder Fahrzeuge, bei denen Bremsen nicht mehr greifen und Fehler an Assistenzsystemen unentdeckt bleiben.
Ohne unabhängige Prüfstellen wie TÜV Rheinland wäre unser Alltag voller unkalkulierbarer Risiken. Die Prüf- und Zertifizierungsarbeit von TÜV Rheinland schützt im Alltag ebenso wie in der Industrie. Allein im Jahr 2024 prüfte TÜV Rheinland weltweit etwa 350.000 Produkte. Im Interview gibt Andree Jansen, Regional Business Field Manager Electrical Engineering & Building Technology Germany bei TÜV Rheinland, Einblicke in die Welt hinter den sieben Siegeln.


Fotos: Michael Gstettenbauer
„Ohne unabhängige Prüfungen wäre moderner Alltag kaum denkbar.“ Andree Jansen Regional Business Field Manager Electrical Engineering & Building Technology Germany bei TÜV Rheinland
Wenn die Menschen an TÜV Rheinland denken, denken viele vor allem an die Hauptuntersuchung fürs Auto. Doch Ihr Aufgabenfeld ist viel größer. Wo überall sorgt der TÜV Rheinland für Sicherheit?
Andree Jansen: Klar, viele denken beim TÜV erst einmal an die Hauptuntersuchung fürs Auto. Dabei stammen unsere Wurzeln aus dem 19. Jahrhundert – aus der Dampfkesselprüfung. Heute sichern wir weit mehr Bereiche ab, und das global: technische Anlagen in Krankenhäusern, Entrauchungssysteme z. B. in Flughäfen, Druckbehälter und Wasserstofftankstellen, prüfen aber auch Produkte wie Spielzeug oder Smartphones. Unsere Arbeit beginnt da, wo Technik komplex und Sicherheit lebenswichtig wird. Ohne unabhängige Prüfungen wäre moderner Alltag kaum denkbar – gerade in Zeiten von Digitalisierung, Energiewende und neuen Technologien. Sicherheit bleibt unser Kerngeschäft – aber sie entwickelt sich ständig weiter.
Technische Innovationen schießen heute schneller aus dem Boden als je zuvor. Kommt das klassische Prüfwesen da überhaupt noch hinterher?
Andree Jansen: Wir sichern den technischen Fortschritt seit jeher ab, auch wenn die Schlagzahl heute natürlich höher ist. So arbeiten wir inzwischen mit KI-Tools, die uns beim Sichten von Brandschutz- oder Bauunterlagen unterstützen. Unsere Onlineshops, über die sich beispielsweise Prüfungen von Röntgengeräten oder Heizöltanks buchen lassen, zeigen auch die Prüfbranche wird digitaler. Gleichzeitig prüfen wir hochkomplexe Systeme wie Wasserstoffanlagen oder Notstromversorgungen für Feuerwehraufzüge – Technik, bei der Menschenleben davon abhängen, dass alles im Ernstfall funktioniert.
Zertifikate hier, Audits da – ist das wirklich mehr als ein bürokratisches Pflichtprogramm für Unternehmen?
Andree Jansen: Ganz ehrlich: Ohne Zertifizierungen würde Vertrauen in Produkte und Prozesse massiv sinken. Ein Aufzug, der nicht regelmäßig geprüft wird, ein Heizöltank, der undicht ist, eine Batterieproduktion ohne Sicherheitskontrolle – das wäre ein Albtraum. Unsere Zertifizierungen helfen Unternehmen nicht nur, sich gesetzlich abzusichern, sondern auch international wettbewerbsfähig zu bleiben. Denn Standards wie ISO 9001 oder die DIN 14675 bei Brandmeldeanlagen öffnen weltweit Märkte.

„Wir prüfen hochkomplexe Systeme wie Wasserstoffanlagen oder Notstromversorgungen für Feuerwehraufzüge – Technik, von der Menschenleben abhängen.“ Andree Jansen, TÜV Rheinland
Fachkräftemangel überall – wie gewinnen Sie die besten Köpfe für den TÜV Rheinland?
Andree Jansen: Klingt vielleicht abgedroschen, aber: Bei uns steht wirklich der Mensch im Mittelpunkt. Wir investieren jedes Jahr massiv in die Ausbildung: Allein 2024 haben wir nur für Industrieprüfungen in Deutschland fast 400 Ingenieurinnen und Ingenieure eingestellt – von Sachverständigen für Aufzüge bis zu Fachleuten für Explosionsschutz. Bei uns zählen nicht nur Normen und Paragrafen, sondern vor allem Zusammenhalt, Kollegialität und echtes technisches Know-how.
26.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit – wie verhindern Sie, dass dabei der Teamgeist auf der Strecke bleibt?
Andree Jansen: Wir setzen auf moderne Arbeitswelten wie zum Beispiel hier in unseren neuen Büros in Düsseldorf, flache Hierarchien und Teamevents, die wirklich verbinden – vom Kochkurs bis zur Fahrradtour. Und auf echte Begegnung: Mobile Work ist möglich, aber niemand soll nur noch hinter Bildschirmen verschwinden. Wer uns kennt, weiß: Bei uns wird viel gelacht, diskutiert und sich gegenseitig unterstützt.
Was tun Sie konkret, damit Ihre Mitarbeiter nicht nur Dienst nach Vorschrift machen, sondern wirklich Lust auf Entwicklung haben?
Andree Jansen: Wir fördern intern sowohl Fach- als auch Führungskarrieren. Durch Mentoring-Programme, Weiterbildungen, detaillierte Ausbildungskonzepte – etwa wenn Sachverständige für neue Bereiche wie Wasserstoff qualifiziert werden. Und ich persönlich begleite aktuell zwei Mentees auf dem Weg in Führungsrollen. Entwicklung wird bei uns nicht nur geduldet – sie wird aktiv gefördert.
Wie lernen Bewerberinnen oder Bewerber TÜV Rheinland kennen?
Andree Jansen: Wir gehen neue Wege. Über Plattformen wie LeanTree bewerben sich Studierende bei uns per Video, nicht mehr über seitenlange Bewerbungen. Und: Wir bieten viele Werkstudentenjobs an – zum Beispiel bei der Überwachung großer Bauprojekte oder im Bereich Gebäudetechnik. Wer einmal TÜV-Luft geschnuppert hat, bleibt oft.

Vorschriften, Normen, Paragraphen – wie schafft man da eine Arbeitsumgebung, die motiviert?
Andree Jansen: Mit offenen, modernen Büros, in denen Begegnung möglich ist – und mit echter Wertschätzung im Alltag. Bei uns gibt’s nicht nur Checklisten, sondern auch Raum für Austausch, Lernen und neue Ideen.
Female Empowerment – ein schönes Schlagwort. Aber wie ernst nehmen Sie das Thema wirklich?
Andree Jansen: Sehr ernst. Wir haben spezielle Entwicklungsprogramme für Frauen, Mentoring-Angebote und achten darauf, weibliche Führungskräfte gezielt aufzubauen. Dabei geht es nicht um Quoten, sonder darum, Vielfalt zu leben und individuelle Karrieren zu fördern.
Warum sind technische Berufe noch immer eine Männerdomäne – und was tun Sie, um das zu ändern?
Andree Jansen: Weil es ein gesellschaftliches Thema ist. Die MINT-Fächer brauchen mehr Förderung – schon in der Schule. Wir setzen ein klares Zeichen, zeigen in Kampagnen, dass Technik Spaß macht – und dass bei uns Frauen in der Prüfung genauso gefragt sind wie Männer.
KI, Wasserstoff, Digitalisierung: Ist der TÜV Rheinland bereit für die Zukunft?
Andree Jansen: Definitiv. Wir integrieren KI, um die enorme Dokumentenflut besser zu bewältigen. Wir prüfen bereits heute Materialien und Komponenten darauf, ob sie für Wasserstoff geeignet sind, Wasserstofftankstellen auf Sicherheit und begleiten Projekte von der Planung bis zur Inbetriebnahme. Zukunft heißt für uns: Mit der Technik Schritt zu halten – ohne den Menschen aus dem Blick zu verlieren.

