VLASTA ANNA KRAPOVA (79)
ICH HABE MEHRERE JOBS

Während die einen von Frühverrentung oder Segeltörns und Weltreisen träumen, hofft Vlasta Anna Krapova darauf, noch lange arbeiten zu können. Nicht weil sie muss, sondern weil sie es so möchte. Mit 79 Jahren ist sie die älteste Sparkassenmitarbeiterin in Deutschland. Für den bundesweiten Sparkassenrekord muss sie allerdings noch 13 Jahre durchhalten. 2013 ging Helmut Schwabe mit 92 Jahren in Rente, nachdem er 75 Jahre für die Sparkasse in Mittelholstein gearbeitet hatte. Ich besuche Vlasta Anna Krapova in ihrem Apartment in Friedrichstadt. In der Diele hängt moderne Kunst. Im Wohnzimmer steht ein Sideboard der Marke, die sich in jedem Büro findet. Ich nehme auf einer grauen Chaiselongue vor einem Glastisch Platz. Am Anfang piepst ihr Handy alle zwei Minuten, wenn WhatsApp- Nachrichten reinkommen – es sind die alten Kolleginnen und Kollegen, die ein Treffen auf dem Weihnachtsmarkt planen.

 

Solange sie gebraucht wird, will sie dabei sein. Vlasta Anna Krapova freut sich, dass die Stadtsparkasse Düsseldorf ihren Minijobber-Vertrag bis Ende März 2023 verlängert hat. Aufhören wollte sie schon 2008 bei ihrem offiziellen Renteneintritt nicht. Irgendwie schaffte sie es, den Arbeitsvertrag zweieinhalb Jahre zu verlängern und blieb bis 2010 in der Filiale der Stadtsparkasse auf der Binterimstraße in Bilk. An den Wochenenden arbeitete sie für Stockheim am Flughafen, machte dort die Abrechnung.

„Ich habe immer noch mehrere Jobs, einfach weil ich gerne arbeite, aber auch, weil ich damals den Absprung von der privaten in die gesetzliche Krankenkasse verpasst habe“, verrät die Kleinunternehmerin. Als Miteigentümerin sitzt sie im Beirat und kümmert sich um alles, was anfällt, macht Aushänge, lässt Handwerker in die Wohnungen. Dienstags arbeitet sie in einer Kanzlei, erledigt dort Büroarbeiten.

Seit August dieses Jahres sind auch ihre Freitage fest verplant. Dann sitzt Vlasta Anna Krapova als Kassiererin in ihrer alten Filiale, kassiert, zählt Geld, freut sich, wenn die Kundinnen und Kunden sie wieder erkennen und freudig begrüßen und wundert sich, dass die Kunden älter geworden sind. Und die Kollegen? „Die sind alle so lieb zu mir und ich bin auch viel entspannter als früher, weil ich mich nicht mehr behaupten muss.“

Nicht nur in Sachen Nachwuchs werden Unternehmen zunehmend erfinderischer. Der Personalmangel nimmt auch zunehmend die Rentnerinnen und Rentner in den Blick. Die Zahl der Menschen, die im Alter von 67 plus einer Beschäftigung nachgehen, steigt seit Jahren stark an.

Rund 1,05 Millionen Menschen der Generation 67 Jahre oder älter waren 2021 angestellt beschäftigt,berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die meisten – nämlich 835.00 Personen – gingen einer geringfügigen Beschäftigung nach. Dass der Personalmangel bei ihrem alten Arbeitgeber ebenfalls groß ist, erfuhr Vlasta Anna Krapova von einer ehemaligen Kollegin und Freundin. Die gab ihre Telefonnummer an den Gruppenleiter Service weiter. Sie bewarb sich und bekam den Job.

Asyl in Deutschland

Geboren ist Vlasta Anna Krapova in Prag. Ihr Vater war Architekt, hatte in Dessau studiert. Als Prag 1945 bombardiert wurde, versteckte sich die Familie und die Dreijährige sah, wie einige hundert Meter weiter eine Bombe einschlug. Ein anderes Mal versteckte sich die Familie bei den Großeltern imUntergrund, als die Deutschen kamen. Krapova war immer gut in Mathematik. Sie machte ihr Abitur und wollte Architektur studieren, doch als ihr Vater inhaftiert wurde, war an ein Studium nicht mehr zu denken. Krapova arbeitete als Schaffnerin, lochte Fahrkarten. „Aber nach einem Monat wurde ich von der Tschechischen Sparkasse in Prag angefordert. Die wollten neue Leute einstellen. Wir wurden eingearbeitet, aber bis ich an der Kasse arbeiten konnte, hat es eine ganze Weile gedauert.“ In die Partei wollte sie nicht, was bedeutete, dass sie beruflich keine Aufstiegschancen hatte. Mit 38 Jahren entschloss sich die Tschechin, in Deutschland Asyl zu beantragen. Durch einen Zufall und eine Bekannte ihrer Mutter landete sie in Mönchengladbach und besuchte eine Sprachschule.„Ich habe die Kirmes und den Klompenball miterlebt. Das war lustig.“ Nach einem Jahr wurde ihrem Asylantrag stattgegeben und das Sozialamt forderte sie auf, sich eine Arbeit zu suchen. „Da es in Düsseldorf eine große Sparkasse gibt, habe ich mich dort beworben.“ Das war 1981. Sie bekam eine Anstellung als Hilfskassiererin. Der Anfang war nicht leicht. „Ich bin ein Zahlenmensch, sprachbegabt bin ich nicht.“

Krapova biss sich durch, schrieb alles auf und lernte. Als in einer Geschäftsstelle der Hauptkassierer erkrankte, ging sie zu ihrem Chef und sagte:

„Ich kann das.“ Alles lief wie am Schnürchen und als ihr Chef sie fragte, was sie machen wolle, sagte sie: „Ich möchte alleine kassieren.“ Sie kam nach Bilk in die Filiale und war glücklich. Im Laufe so vieler Jahrzehnte sind Millionen durch ihre Hände gegangen. Ein besonderes Verhältnis zu Geld und Reichtumhat sie jedoch nicht entwickelt. „Geld zu zählen betrachte ich nicht als Reichtum, es ist wie Kartoffeln zählen.“

In ihrem Heimatland galt sie bis 1989 als Republikflüchtige. Wäre sie zur Beerdigung ihrer Mutter gekommen, wäre sie im Gefängnis gelandet. Als sie 1989 wieder nach Prag reisen konnte, hatte sie den Anschluss an die alten Freunde und Bekannten bereits verloren. Sie war glücklich in Düsseldorf, über ihre Anstellung und ihre Wohnung.

Verheiratet war sie auch einmal, allerdings nur kurz in Prag. Und weil das junge Paar damals keine eigene Wohnung bekam und bei der Mutter wohnen musste, ging die Ehe in die Brüche. Vlasta Anna Krapova betont, dass sie nicht zu den Menschen gehört, die alles noch einmal genauso machen würden. Hätte sie drei Wünsche frei, würde sie gerne wieder besser laufen können, so lange weiterarbeiten bis sie ein finanzielles Polster hat und noch einmal 55 Jahre alt sein. Am 25. Dezember wird sie 80 Jahre. „Den Gedanken an die 80, den will man nicht wahrhaben.“ Ihre Tante hat bis 90 gearbeitet. Sie hatte ein Geschäft in Prag, das konfisziert wurde. Sie arbeitete als Verkäuferin in einem Kaufhaus weiter. Ausgeschlossen ist es also nicht, dass die Düsseldorfer Minijobberin den Rekord von Helmut Schwabe aus Schleswig-Holstein bricht.

Susan Tuchel

 

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Vlasta Anna Krapova

Dreimal in der Woche geht die 79-Jährige schwimmen, um sich fit zu halten. Sie liebt Opernbesuche und hat eine beachtliche Sammlung von Klassik-CDs. Stolz ist sie auf ihre Sammlung von Glasvasen des tschechischen Architekten, Möbeldesigners und Glaskünstlers Bořek Šípek. Alle haben leuchtend blaue Elemente. Blau ist ihre Lieblingsfarbe. Eine dieser Vasen hat auch der ehemalige tschechische Präsident Václav Havel, erzählt sie. In der Weihnachtszeit guckt sie „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ und „Der kleine Lord“. „Da muss ich immer weinen.“ An den Deutschen bewundert sie, dass alles so klappt. Als Handwerker in der Stadtsparkasse einmal nicht so akkurat gearbeitet hatten, war sie gespannt, was passieren würde. Die Handwerker rückten noch einmal an. „In Tschechien wäre das Loch wohl 100 Jahre geblieben.“ Wenn sie in Düsseldorf unterwegs ist, achtet sie auf die Häuser, was wo neu gebaut oder saniert wird. Aus ihr wäre sicher auch eine gute Architektin geworden.

(c) Foto: Andreas Endermann

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