Vom Narzissmus zur Demut – vom Versagen zum Erfolg

Die Unternehmensberaterin und Dozentin Franziska Franz fordert ein Umdenken in den Führungsetagen. Statt Selbstbezogenheit und Ellbogenmentalität setzt sie auf Demut als Leadership-Tugend des 21. Jahrhunderts. Weiter kann die Schere im Kopf wohl kaum auseinandergehen. Wie soll jemand, der sich selbst in den Mittelpunkt des Kosmos stellt, sich mir nichts dir nichts in Demut üben? Und warum? Bei Demut denkt man doch eher an Fußwaschungen oder ans Steigbügelhalten, also an die Antike oder ans Mittelalter. Warum Demut zu einer Führungsqualität werden sollte, das verrät uns Franziska Frank, die an der European School of Management and Technology Berlin lehrt, eine international gefragte Keynote Speakerin ist, als Impulsgeberin Workshops gibt und Managementbücher schreibt.

Stellen Sie sich vor, Sie wählen morgens vor dem Spiegel Ihre mentale Kleidung und können sich zwischen Narzissmus und Demut entscheiden. Was würden Sie wählen? Zusammengefasst ist die Antwort auf diese Frage ungefähr so: „Da kann ich mich gleich zwischen Skylla und Charybdis entscheiden. Das eine Monster frisst alles mit Haut und Haaren – das ist der Narzissmus. Das andere verursacht einen Strudel, in dem ich untergehe. Was ist denn als Drittes im Angebot?“

Leider nichts – außer lauwarm. Also lassen Sie uns genauer schauen, was messbar gesünder und erfolgreicher ist und ob man überhaupt so einfach wählen kann. Zuerst der Narzissmus. Ein Narzisst ist laut Forschung jemand, der „egoistisch, selbstbezogen und eitel ist“. In meiner Forschung habe ich mehr als 1.000 Menschen weltweit gefragt, wie hoch der Prozentsatz von Narzissten unter den Führungskräften in ihrem Unternehmen ist. Das Ergebnis? Gruslige 46 Prozent in Italien, miese 36 Prozent in Deutschland und immerhin noch maue 26 Prozent in Indien und der Schweiz. Da sieht Narzissmus fast wie ein Garant für Beförderung aus. Was man aber wissen sollte: Narzissten haben messbar schlechtere Beziehungen, man vertraut ihnen auf Dauer nicht, leiten sie Start-ups werben sie weniger Geld ein, leiten sie Unternehmen haben sie wankelmütigere Strategien, handeln unethischer, verstricken das Unternehmen häufiger in teure Gerichtsprozesse und führen bei Mitarbeitern zu schlechter Leistung und höherem Burnout.

Wenn dem so ist, warum gibt es dann so viele Narzissten?Weil die Gesellschaft und viele Unternehmen das zulassen und dem Narzissmus keine Grenzen setzen. Denn er ist nicht angeboren, sondern wird geschaffen. Woher weiß man das? Zum Beispiel daher, dass diejenigen CEOs, die in Krisenzeiten ins Berufsleben traten, messbar weniger narzisstisch sind als jene, die in Boomzeiten begannen. Warum? In Krisenzeiten (wie heute) ist Narzissmus einfach weniger angebracht. Dankbarkeit umso mehr. 

Nun entscheiden wir uns also bewusst gegen den Narzissmus. Wie steht es aber um die Demut, zu der Boxer Muhammad Ali sagte: „Zu Hause bin ich ein netter Kerl: aber ich will nicht, dass die Welt es erfährt. Demutsvolle Menschen, so habe ich festgestellt, kommen nicht sehr weit.“ Stimmt das etwa so? Aus meiner Forschung kenne ich allein vier Vorstandsvorsitzende aus unterschiedlichen Ländern, die explizit wegen ihrer Demut ausgesucht wurden. Und Hunderte von Führungskräften, die durch ihre Demut messbar erfolgreich sind. 

Was genau ist nun diese altbacken klingende Tugend? Das Wort „Demut“ kommt aus dem Althochdeutschen und kombiniert das Wort Dienen mit Mut. Historisch war der leider vom Ducken und Gehorchen überschattet. Nietzsche nannte Demut gar Sklavenmoral für einen sich krümmenden Wurm. Das klingt wenig attraktiv. Wird es aber mit der operationalisierten Definition der Forschung. 

Demutsvoll ist:


wer die eigenen Schwächen und Stärken wirklich kennt und bereit ist, diese zu zeigen, wenn es für das größere Ganze sinnvoll ist 


wer andere anerkennt, für das, was sie tun 


wer immer lernbereit und offen ist


und wer versteht, dass er/sie nur ein kleiner Teil eines größeren Ganzen ist, endlich, leicht ersetzbar und stark von Glück und Umständen begünstigt.

Was bringt Demut? Die Forschung zeigt Dutzende positiver Effekte für die Umgebung, für die Mitarbeiter, die Unternehmen sowie für einen selber. Für die Umgebung weniger Stress, bessere Beziehungen, mehr Vertrauen. Patienten von demutsvollen Ärzten fühlen sich gesünder und Ehen mit demutsvollen Partnern halten länger. Mitarbeiter werden kreativer, leisten mehr, sind motivierter und wollen seltener die Stellung wechseln. Unternehmen haben bessere Strategien, eine bessere Kultur der Verantwortungsübernahme, gehen klüger mit Fehlern um und steigen eher aus verlustbringenden Projekten aus. Wer demutsvoll ist, leistet mehr, wird als fähiger/kompetenter gesehen, mit mehr Führungspotential und verspürt weniger Erschöpfung und Stress.

Liest man das, wundert es nicht, dass weltweit 97 Prozent aller Mitarbeiter und Führungskräfte diese Demut in sich und anderen wollen. 80 Prozent der Führungskräfte gehen sogar schon davon aus, dass sie bereits demutsvoll sind. Diese Einschätzung teilen jedoch nur 36 Prozent ihrer Mitarbeiter. In Deutschland sind es sogar nur 26 Prozent.

Woher das Delta? Vom Ego, das sich immer wieder vor andere stellt; von unserem Gehirn, das andere teilweise gar nicht wahrnimmt, wenn wir es nicht zwingen, und vom Druck, den uns der Alltag macht. Ein berühmtes Beispiel dafür gefällig? Angehende Priester sollen zum guten Samariter vortragen. Viel früher als gedacht heißt es: „Schnell, rüber. Die Zuhörer warten schon!“ In dieser Situation hilft KEIN EINZIGER dem erkennbar kranken Mann, der im Gang auf dem Boden liegt. 

Demut braucht also Übung, Reflexion und Mut. 

Den Mut eines Satya Nadella von Microsoft, der eine E-Mail an alle über einen Bock schickt, den er geschossen hat, als er öffentlich über das Lohngefälle bei Frauen sprach. Den Mut eines Mercedes Rennstalls, der Meditation eingeführt hat, um wirklich jedem Ingenieur und Fahrer den egofreien Blick zu ermöglichen, der für eine gute Fehlerkultur notwendig ist. Und zu guter Letzt, den Mut, stark zu sein für die Rolle, die man freiwillig übernommen hat und sich nie als Opfer zu fühlen. Sondern als selbstwirksamer demutsvoller Akteur!  
Franziska Frank

zur Ausgabe 1 2022

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