Wer aktuell keine größeren Probleme hat wie manche Behörden, Universitäten, Bildungseinrichtungen, NGOs und progressive Unternehmen, der beschäftigt sich in seiner Kommunikation gerne mit Sternchen, Doppelpunkten oder großen „I“s. Der Wille zur gendergerechten Sprache gipfelt in Wortneuschöpfungen wie „Mitgliederinnen“. Wir leisten dazu gerne einen Beitrag: Statt „Meine Damen und Herren“ fänden wir die Anrede „Meine Herrinnen und Herren“ wirklich charmanter. Ansonsten bleibt die ZOO:M-Redaktion (drei Frauen und ein Quotenmann) beim generischen Maskulinum. Zum Ausgleich gibt es in den nächsten Ausgaben eine reine Frauenserie. Den Auftakt machen  „Die Tatkräftigen“, zwei Frauen mit Muskeln und Köpfchen.

Die Tatkräftigen 

Die Frau vom Bau

Dachdeckerin, Bauarbeiterin oder Gleisbauerin, diese Berufe gibt es noch gar nicht so lange. Erst im Jahr 1994 wurden das Beschäftigungsverbot für Frauen im Bauhauptgewerbe sowie das Nachtarbeitsverbot aufgehoben. Obwohl die Baubranche boomt, lag die Frauenquote im Jahr 2020 in den bauhauptgewerblichen Berufen nur bei 2,1 Prozent. In ausbaugewerblichen Berufen wie Bodenverlegung, Klempnerei oder Bauelektrik arbeiteten zur gleichen Zeit 4,2  Prozent Frauen. Da ist noch viel Luft nach oben. Aber es gibt sie, die Frauen, die schon seit vielen Jahren in klassischen Männerberufen ihr Glück gefunden haben. Wir besuchten Sylvia Adamec, die „Frau vom Bau“, in ihrem Werkraum in Pempelfort. 

 © Alexander Vejnovic, das-fotostudio-duesseldorf.de

„Bau mit mir“, so heißt die Aufforderung auf Ihrer Website. Wie wird man Allround-Handwerkerin, Fachbauleiterin für Innenausbau und Wohnungsbau, Interior-Designerin, Handwerksunternehmerin sowie Trainerin und Leiterin von Do-it-yourself-Kursen? 

Da stecken 23 Jahre Erfahrung in sehr vielen Gewerken und viele Bauprojekte dahinter. Direkt nach dem Abitur habe ich eine duale Ausbildung als elektrotechnische Facharbeiterin absolviert. Das war damals ein Pilotprojekt in Rheinland-Pfalz. Und natürlich musste ich in der Ausbildung die Kabeltrommel alleine schleppen, um mich bei den Jungens durchzusetzen. Danach habe ich beim technischen Support in der Beleuchtungsbranche gearbeitet. Da saß ich am Telefon und alle, die mich anriefen, wollten dann mit einem männlichen Kollegen verbunden werden. Nach acht Monaten war ich es leid, bei den Kunden erst einmal Überzeugungsarbeit zu leisten, dass ich sie tatsächlich technisch beraten kann. Danach habe ich 17 Jahre in der Möbelindustrie im Vertrieb gearbeitet. 2017 habe ich mich dann selbstständig gemacht und nannte mich die Baumeisterin. Diese Firmenbezeichnung ging bei der Handwerkskammer nicht durch, weil ich ja keinen Meister als Elektrikerin gemacht habe. Ich habe meinen Firmennamen geändert und bin jetzt sehr glücklich als „Frau vom Bau“.  

Und da sind Sie auch auf Baustellen unterwegs?

Ja, insbesondere als Bauleiterin. Diese Aufgabe sourcen Architekten, Bauunternehmen oder Projektentwickler gerne aus. Ich begleite den Bau, kontrolliere die Ausführungsarbeiten, vermittle Handwerker aus meinem Pool und sorge für die Kostenkontrolle. Dass ich als Frau mit gelbem Helm auf der Baustelle auftauche und Anweisungen gebe, das irritiert heute niemanden mehr.  Zumindest nicht bei deutschen Unternehmen, wenn nicht gerade ältere Männer das Sagen haben. Aber wenn ich auf der Baustelle mal eben einen Seifenspender mit meinem Werkzeug demontiere, dann akzeptiert mich auch der Bauarbeiter mit Migrationshintergrund. Für viele war ich vorher nur so eine Innendesign-Tante. Dass ich ein Handwerk gelernt habe und im Blaumann auf dem Bau stand, das konnte sich keiner vorstellen. 

Sie waren im Fernsehen in „Hier und heute“ mit vielen Bautipps zu sehen und haben an der SAT 1-Serie „Mit Nägel und Köpfchen“ teilgenommen. Hat das Ihr berufliches Ansehen verändert? 

Wenn du im Fernsehen bist, denken die Menschen: Die muss Ahnung haben. Das ist eine vertrauensbildende Maßnahme. Und klar kommen nach den Sendungen auch viele Anfragen. Aber auch manchmal Missverständnisse. Ich bin nicht wirklich dafür da, um eine Steckdose zu montieren oder eine Lampe anzuschließen. Zur Zeit bin ich auf fünf Baustellen und koordiniere weitere fünf Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen. Wenn jemand Parkett verlegen lassen möchte, von einem neuen Badezimmer und einer neuen Küche träumt oder eine Wand rausnehmen lassen möchte, dann koordiniere ich diese Umbaumaßnahmen von A bis Z. Ich entwickle Ideen, vermittle Handwerker, wähle Materialen aus usw. 

Aber es geht auch eine Nummer kleiner. Ich habe zwei Kundinnen, die mit dem Umbau ihres Hauses überfordert sind. Die coache ich darin, damit sie bei den Angeboten alles Wichtige beachten. So haben sie sich z. B. schon einen viel zu großen Sicherungskasten sparen können. Ich helfe, wenn Menschen beim Wohnungsumbau oder Dachausbau den Überblick verlieren. Die Organisation ist für Laien nicht einfach. Man kennt die verschiedenen Gewerke nicht, weiß nicht, wie man an gute Handwerker kommt, geschweige denn, welche Fugenfarben es gibt.

Die „Frau vom Bau“ hat mittlerweile ein Team an ihrer Seite, hat das etwas mit Corona zu tun? 

Ja, ganz klar. Vor Corona war ich gerade dabei, meine Handwerkskurse für Frauen weiter auszubauen. Die Kurse brachen im Lockdown weg. Im November bekam ich eine Mail von Christina Sauer, einer Bühnenbild-Studentin. Sie kam zum Probearbeiten und wir wussten beide sofort: das passt. Mit ihr zusammen entstand die Idee, auch Privatleuten Innenausstattungen und Raumkonzepte aus einer Hand anzubieten. Viele waren oder sind noch immer im Homeoffice und möchten gerne etwas in den eigenen vier Wänden verändern. Aber sie haben entweder keine Idee oder können ihre Vorstellungen handwerklich nicht umsetzen. Ich schaue mir das dann vor Ort an. Dann rückt mein Team aus, zu dem Christina, ein Schreiner und ein Metaller, der sich auch mit Haustechnik, Sanitär und Elektro auskennt, gehören.

Handwerken kann frau lernen. Und bevor die eigene Wand dran glauben muss,
lieber erst einmal einen Kurs besuchen. 

Wie steht es mit Ihren DIY-Kursen und Workshops für Handwerkerinnen?

Die sind definitiv meine Herzensangelegenheit. Ich habe gemerkt, wie groß das Bedürfnis bei den Frauen ist, im Handwerklichen unabhängiger zu sein. Manche haben mich in der Corona-Zeit wie einen Live-Kurs zu Hause genutzt. Ich habe ihnen gezeigt, wie man eine Silikonfuge tauscht oder eine Lampe aufhängt. Mit einer Kundin habe ich eine Garderobe gebaut. Ich habe sie einfach machen lassen, ihr Tricks gezeigt. Sie war sehr stolz und hat mir nachher Fotos geschickt. Ich zeige den Frauen auch den Umgang mit Geräten, nehme ihnen die Angst davor. Manchmal bekomme ich auch sehr individuelle Anfragen. Eine Kundin wollte unbedingt eine Poolumrandung haben, aber fand niemanden, der bereit war, diese anzufertigen. Wir haben zusammen gesägt und geschraubt und in zwei Nachmittagen war alles fertig – ein kleiner Außenpool aus Holz. Etwas mit den eigenen Händen zu schaffen, was immer gerne als Selbstwirksamkeit beschrieben wird, das gibt einfach ein gutes Gefühl. Deswegen möchte ich so schnell wie möglich wieder Handwerkskurse für Frauen anbieten. Bei mir bekommen die Teilnehmerinnen mit, wie sie selber Ideen und Projekte mutig angehen und Heimwerkeraufgaben anpacken können. In meinen Handwerkskursen lernen sie bohren, dübeln und schrauben und wie man Löcher wieder schließt. Auch für Instandsetzungsarbeiten im Haushalt gebe ich Tipps und Tricks, z. B. wie man selber Fugen erneuert, Fenster- und Türgriffe wechselt und Kratzer auspoliert. 

Männer können sich nicht bei der „Frau vom Bau“ zu einem Kurs anmelden?

Doch klar, ich habe auch schon einige Anfragen gehabt. Für alle Kursteilnehmer gilt: Du sagst,
wo der Hammer hängt, und ich zeige dir, was damit geht.

Susan Tuchel

Die Frau hinterher Bühne

Eine Ausbildung zur Tischlerin (identisch mit der landläufigen Berufsbezeichnung Schreinerin) rangiert aktuell auf Platz sieben der beliebtesten weiblichen Ausbildungsberufe. Gefordert wird von der zukünftigen Tischlerin neben räumlichem Vorstellungsvermögen auch körperliche Fitness. Denn gearbeitet wird überwiegend im Stehen. Auch das Heben und Tragen von Lasten gehört zum Berufsbild. Lange stehen müssen auch Verkäuferinnen und Friseurinnen, heben und tragen in der Pflege ist auch kräftezehrend. Also warum nicht gleich einen besser bezahlten Beruf wählen und Handwerkerin werden? Mirjam Harms-Oschmann ist Tischlerin. Seit 2007 baut sie Bühnenbilder für das Theater an der Kö und zwei weitereSpielstätten. Wir besuchten sie in der Tischlerei.

Schreinerin werden, wollten Sie das schon immer? 

Eigentlich nicht, obwohl mein Opa Schreinermeister war. Er hatte eine Werkstatt zu Hause und eine auf der Königsberger Straße. Als Kind war ich oft bei ihm. Die Hallen waren riesig. Hinten standen die großen Maschinen, spielen durfte ich da nicht, das war zu gefährlich, aber an der Hobelbank habe ich oft mit ihm gestanden. Trotzdem war Tischlerei nicht meine erste Berufswahl. Ich habe mich nach der Schule bei einem Fotografen beworben. Das Praktikum gefiel mir auch ganz gut, aber ich durfte zu wenig machen. Ausgerechnet im Sonnenstudio habe ich dann meinen heutigen Kollegen kennengelernt, der als Tischler beim Theater an der Kö arbeitete. Ich habe ein Praktikum in den Werkstätten an der Kronprinzenstraße gemacht und wusste, das ist es. Ich brauche den Geruch von Holzspänen. Bei der Schreinerei Karl Heller in Düsseldorf habe ich dann einen Ausbildungsplatz bekommen. Die hatten schon damals ein Genderkonzept und stellten alle drei Jahre eine Frau als Azubi ein. In der Berufsschulklasse gab es zehn angehende Tischler, vier davon weiblich, am Ende waren wir drei Tischlerinnen. Während der Ausbildung haben wir viel auf dem Bau gearbeitet. Klar, sind da in erster Linie Männer. Aber wir hatten viel Spaß und es gab überhaupt keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Wir haben Türen und Fenster eingebaut, Böden verlegt, Treppen und Einbauschränke gebaut und Terrassen verlegt. Zeitgleich mit meiner Tischlerausbildung habe ich meine Fachkauffrau im Handwerk abgeschlossen. Das entspricht einem Viertel der Meisterprüfung. 

Was war Ihr Gesellenstück? 

Ein vier Quadratmeter großes Bett aus Wenge und Eiche mit einer formverleimten Rückenlehne. Das Bett steht in unserem Schlafzimmer. Da gab es für mich auch keine Alternative. Ich arbeite gerne mit Vollholz und baue Möbelstücke. Bücherregale baue ich auch gerne, aber zum „Billi“-Preis geht das nicht. 

Schafft man als Schreiner nicht lieber etwas, das bleibt? Bühnenbilder werden mühsam auf- und dann sang- und klanglos wieder abgebaut …

Ersteres stimmt, zweites nicht. Das Bühnenbild gehört zum Stück und unsere Stücke werden immer an unseren drei Theatern aufgeführt. Dafür muss man die Bühnenbilder an die Gegebenheiten vor Ort anpassen. Dann geht das Stück auf Tournee in ganz Deutschland. Und das Bühnenbild geht mit auf Reisen. Das hängt natürlich davon ab, wieviel Platz bei den jeweiligen Spielstätten vorhanden ist. Manchmal schicken wir ein ganzes Bühnenbild mit, manchmal Teile davon. 

Natürlich ist der Bühnenbau eine Illusion. Ich freue mich aber jedes Mal, wenn Sachen, die wir gebaut haben, bei anderen Stücken zum Einsatz kommen oder in unseren Fundus übergehen. Im Sommer, wenn die Theater in der Sommerpause sind, arbeiten wir auf Hochtouren, denn wir müssen vorproduzieren und manche Dinge haben lange Lieferzeiten. Ein Bühnenbild ist übrigens inklusive Bodenbelag zu verstehen. Wir stehen die ganze Zeit in Kontakt und in Verhandlungen mit Holz-, Farben- und Teppichhändlern. Ziel ist es natürlich, das Bühnenbild so preisgünstig wie möglich umzusetzen. 

Das Krokodil ist eines ihrer hölzernen Kunstwerke, beißt also nicht.

Volle Konzentration ist bei der Arbeit an der Tischkreissäge angesagt.

Welche Arbeiten fallen in einer Theaterwerkstatt an?

In großen Theatern entwerfen die Bühnenbildner, übrigens ein Studienfach, das Bühnenbild und die Handwerker setzen die Pläne um. Da wir ein privates Theater sind, verschwimmen die Grenzen zwischen Bühnenbildnern und Tischlern. Die Ideen entwickeln wir oft im Team und bauen danach die Bühnenbilder. Wir hobeln und leimen die Fassaden fürs Stück, aber wir malen und lackieren auch. Wir bauen die Bühnenbilder auf und wieder ab und sind auch für den Transport zuständig. Für ein Stück haben wir einmal mitten im Winter – natürlich offiziell – eine Leuchtreklame vom Dach eines Kioskes demontiert. 

Arbeiten Sie schon wieder wie immer und wie sah Ihre Corona-Zeit aus?

Ich habe während des ersten Lockdowns meine Elternzeit verlängert. Dann war ich in Kurzarbeit und warte nun darauf, wieder in Vollzeit einzusteigen. Mein Mann, Ingo Oschmann, ist Comedian. Das heißt wir waren von Corona sehr stark betroffen und mussten an unser Erspartes gehen. Aber jetzt geht es hoffentlich wieder los. Vom 26. bis 29. August präsentiert das Theater an der Kö auf der Freilichtbühne des Schauspielhauses auf dem Gustav-Gründgens-Platz die Produktion „Das simmer wieder – ein Abend nach der Krise von René Heinersdorff“. Und ab Herbst sollen die ausgefallenen Produktionen aufgeführt werden.

Wenn Sie den ganzen Tag schon beruflich gewerkelt haben, haben Sie dann noch Lust auf Handwerkliches am Wochenende?

Ja, habe ich. Und natürlich wird der eine oder andere Wunsch aus der Familie oder dem Freundeskreis an mich herangetragen. Dazu gehört Laminat verlegen, Tische restaurieren, Schränke bauen, Türen und Rollos reparieren sowie Küchen aufbauen. Und dass ich auch streichen und tapezieren kann, wissen auch viele. Wer viel kann, muss auch viel machen (lacht). Mit meinen beiden Jungen (8 und 3 Jahre) baue ich oft Hütten aus Ästen. Außerdem schnitze, male und zeichne ich gerne und stelle kleine Kunstwerke her. Handwerk und Holz sind einfach meins.

Susan Tuchel

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