Das Leben eines umstrittenen Unternehmers

Nach Schlaganfall, Herzinfarkt, COPD-Diagnose, dutzenden Operationen und einer Reha geht und steht der einstige „König der Rethelstraße“ wieder auf zwei Beinen. Vom einstigen Partylöwen ist außer Tattoos, Schmuck, einer Riesensonnenbrille und lackierten Fingernägeln nicht mehr viel übriggeblieben. Von dem Mann, der das Düsseldorfer Rotlichtmilieu prägte wie kein Zweiter, jedoch sehr wohl.
Wir trafen ihn auf der Ratinger Straße im „Zum Goldenen Einhorn“, wo von 1936 bis in die 1970er Jahre übrigens ein Bordell ansässig war.

Sein heutiges Leben wirkt trotz gelegentlicher Auftritte bei Partys der Regenbogenpresse bodenständig: Er lebt in Willich, hat zwei erwachsene Kinder, zwei Enkelkinder, bezieht Rente, kam gerade von einem Besuch aus Hamburg bei seiner Schwester Ela zurück und verträgt auch lange nicht mehr so viel Alkohol wie früher. Sein Vermögen? „Ich gehöre zu den armen Menschen in Deutschland.“ Und doch ist und bleibt er auch mit 74 Jahren eine Figur, die polarisiert. Kaum ein anderer hat das Spiel mit öffentlicher Inszenierung, Erotikgewerbe und Rebellenimage so provokant in Szene gesetzt wie Wollersheim – als Bordellbetreiber, TV-Star, Grenzgänger.

 Geboren wurde Bert Wollersheim 1951 in Bonn. Aufgewachsen ist er im kleinen Ort Heimerzheim, wo er im Friseursalon seines Vaters das Handwerk lernte. Mit 18 Jahren zog es ihn nach Düsseldorf in den Salon des Obermeisters des Friseurhandwerks: Dieter Thomas Heck, Rex Gildo waren alles seine „lieben Kunden“. „Ich war von 14 Friseuren der kreativste“, sagt er. Wollersheim trug sein Haar damals lang und färbte es rot. „Ein Friseur hatte keine langen Haare. Ich war eine Beleidigung für die Zunft.“

Vom Fön zum Rotlicht

Ins Rollen kam alles durch seine Liebe zu US-amerikanischen Schlitten. „Autos waren mein Untergang, wirtschaftlich. Ich musste immer viel Geld verdienen.“ Also suchte er sich Nebenjobs – unter anderem in der Unterwelt, die sich damals noch mit Nadelstreifenanzügen tarnte. „Ich bin abends in die Zockerlokale und Bordelle gegangen und hab den Jungs die Haare gemacht.“ Dort lernte er das Milieu kennen. Die ersten Eindrücke waren ernüchternd. „Ich fand das alles schmuddelig. Das Preis-Leistungsverhältnis stimmte nicht. Nur Geld machen – das fand ich schlimm.“ Wollersheim wollte es anders machen. Als sich die Gelegenheit bot, übernahm er einen Flachbau auf der Eller Straße. „Mit einem Schreiner habe ich in drei Monaten meinen ersten Club gebaut.“ 1976 eröffnete er das „Darlings“.

Zwischen Dienstleistung, Dekadenz und Kontrolle

In der Retrospektive klingt Wollersheims Geschäftsmodell durchdacht – fast wie eine kleine Erlebnisgastronomie mit besonderem Angebot. In der Hochphase betrieb er sechs Etablissements, darunter auch eine Erotik-Pianobar und ein Erotikhotel. „Die rund 30 Themenzimmer habe ich selber eingerichtet, zwei Drittel davon hatten einen Jacuzzi.“ Ergänzt wurde das Angebot durch eine eigene Limousinenflotte mit extravaganten Stretchlimos, mit denen die Gäste chauffiert wurden.

Doch was auf den ersten Blick wie Glitzer und schnelles Geld erscheint, war knallharte Organisation. Die 100 Prostituierten zahlten für die Zimmer. Die Preise reichten je nach Ausstattung von 300 bis 1.000 Euro pro Stunde. Gesundheitschecks waren verpflichtend. „Ich habe sogar Seminare mit Ärztinnen gemacht – wie man mit HIV-Positiven oder Freiern mit Hepatitis umgeht. Dass man die auch anfassen kann. Die Leute wussten das doch nicht.“

Bert Wollersheim kam mit dr. pommi, der mit bürgerlichem Namen Heinz Goedecke heißt. Früher holte er für die Regierung Menschen aus Krisengebieten. Nach einem Sturz beim Fallschirmspringen musste er 70 Mal operiert werden. Beim Hundefuttereinkaufen lernte er Bert Wollersheim kennen, seitdem sind die beiden ziemlich beste Freunde.

In der Mitarbeiterinnenführung setzte Wollersheim auf emotionale Bindung. Er beschreibt seine Betriebe als familiär – und verweist dabei auf eine ehemalige Sozialarbeiterin, eine Gräfin von Schwerin, die nach der Pensionierung bei ihm Integration und Betreuung übernahm und manchen Frauen erst einmal beibrachte, wie man ein Kondom aufzieht. „Auch wenn ich der Puff-Daddy war und die Mädchen eine sehr gute Verbindung zu mir hatten, gibt es Sachen, die eine Frau einem Mann nicht erzählen will.“

Wollersheims Anspruch war es, anders zu sein – auch im Umgang mit dem „Milieu“. „Ich habe mich von keiner einzigen meiner Damen getrennt“, betont er. „Ich war nur so gut wie meine Leute.“ Für die Reinigungskräfte und die Müllmänner hatte er genauso Zeit wie für die Gäste. „Ich habe morgens mit ihnen gefrühstückt, und ihnen auch mal einen Kasten Bier oder eine Flasche Whiskey mitgegeben. Ohne diese Leute läuft so ein Betrieb nicht.“

 Zwischen Club-Glanz und Zellentür

„Ich war nicht der größte Geldsammler – und dann war ich plötzlich pleite.“ Dass er zweimal im Gefängnis saß, weiß jeder, der seinen Namen schon einmal gegoogelt hat. Dass er später in dem Buch „Klüngel, Filz & Korruption” vorkommt, ebenfalls. Bereits in den 1990er-Jahren wurde Wollersheim wegen Erpressung, Betrug und Menschenraub verurteilt. In einem Fall hatte er eine Prostituierte, die aussteigen wollte, festgehalten, um ein Gespräch mit den Konkurrenten zu erzwingen. „Ich habe ihr körperlich nichts getan, das Ganze war eine Konkurrenzgeschichte in der Szene. Ich habe damals Todesdrohungen bekommen. Heute weiß ich: Das war falsch. Man darf keine Menschen in Angst versetzen.“ Drei Jahre saß er auf der Ulmer Höh ein.

Bert Wollersheim wird 2012 von seiner Ehefrau Sophia Vegas aus der JVA abgeholt.

„Ich war ein sehr reicher Mann. Mir fehlt mein Rolls-Royce, da bin ich ehrlich.“ Bert Wollersheim

Der nächste Tiefschlag folgte 2012. In einer groß angelegten Razzia wurde Wollersheim gemeinsam mit mehreren Mitbetreibern verhaftet – der Vorwurf: Freier seien mit K.-o.-Tropfen betäubt und anschließend per Kreditkarte ausgenommen worden. Der mediale Skandal war groß, die Beweislage dünn. „Ich wurde nach sieben Wochen mit einem schriftlichen Freispruch entlassen. Aber die Existenz war weg.“ Die Betriebe wurden geschlossen, der Stretchlimousinen-Service aufgelöst, seine 30 Autos verkauft, die in einer schicken Lagerhalle mit Teppich und zwei Bars standen. Hier ließ Wollersheim es gerne krachen. Das Gericht entschied später, dass Wollersheim zu Unrecht in U-Haft saß. Doch die Insolvenz war da bereits Realität. Rücklagen hatte er kaum. „Ich hatte zwei Jahre lang alles bezahlt, was ich konnte – dann ging’s nicht mehr. Das war auch eine Art Befreiung und seitdem geht es mir wieder gut.“

 Reue, Regeln, Realität

Was bleibt, wenn man alles verliert? Bei Bert Wollersheim: Reflexion – und ein „klarer moralischer Kompass“, wie er es schildert. „Ich habe gelernt: Du darfst keine Menschen unter Druck setzen. Und: Wenn man ehrlich ist und sein Wort hält, überlebt man sogar in der Unterwelt.“

Wollersheim will kein Ausbeuter gewesen sein. „Ich war Ehrenmitglied bei Hydra, der Selbsthilfegruppe und Interessenvertretung von Prostituierten – als einziger Mann. Ich war immer für die Rechte der Frauen.“

2018 erschien das Buch „Stimmt! 100 Jahre Frauenwahlrecht. Tausche #Metoo gegen Yes, I can.“ Eigentlich wollte die Autorin Eva Maria Popp mit Wollersheim auf Mallorca an seiner Biographie schreiben, aber dann war ihr das Thema 100 Jahre Frauenwahlrecht wichtiger. Zu diesem Buch hat Wollersheim als Impulsgeber das Kapitel „Frauen, hört auf, euch zu prostituieren“ beigesteuert. Damit meint er jedoch nicht die Frauen, die sich bewusst für den Weg der Prostitution entscheiden, denn: „Sie wissen, was sie wollen und warum sie es tun.“ Er ist jedoch der Ansicht: „Die schlimmste Prostitution findet im privaten Bereich statt, wenn Frauen sich aus Bequemlichkeit dem Mann unterordnen, nur weil er das Geld nach Hause bringt“, sagt er im Interview. Im Buch liest sich das so: „Eine vollkommen andere Form der Prostitution ist es, wenn Frauen ihren Körper und ihre Seele ‚verkaufen‘ gegen die vermeintliche Sicherheit einer Ehe und den Luxus, den das Leben mit einem Mann bietet, der Geld verdient.“

 Im eigenen Betrieb, so betont er, sei Zwang nie ein Thema gewesen. „Bei uns war alles freiwillig, transparent. Ich habe sogar Politiker eingeladen, um sich selbst ein Bild zu machen.“ Seine größte Sorge sei immer gewesen, dass mit dem Verbot registrierter Bordelle das Problem nicht gelöst, sondern in dunklere Ecken verlagert werde. „Wenn ihr die Häuschen zumacht – was glaubt ihr, wo das dann passiert? In privaten Wohnungen. Und da ist dann die Hölle los.“

„Ich bin ein ordentlicher Mensch.“ Bert Wollersheim

„Ich habe Düsseldorf 30 Jahre lang bespaßt, immer alle eingeladen.“

Gegen den Mainstream

Auf die Frage, ob er sich eher als Geschäftsmann, Rebell oder TV-Phänomen sehe, antwortet Bert Wollersheim: „Ich bin kein Mainstream. Ich bin Freigeist. Aber vor allem bin ich ein ordentlicher Mensch.“ Das klingt fast zu simpel – aber vielleicht ist genau das sein Geheimnis.

Verheiratet war er vier Mal, hat eine Tochter, zwei Enkelkinder und einen Sohn (23). Dessen Mutter stammt aus Nigeria. Die rettete Wollersheim vor der Abschiebung. „Eigentlich wollte ich nur mit ihr essen gehen, ich kannte sie kaum.“ Trotzdem flog er nach Nigeria und heiratete sie in einem Standesamt, in dem die Hühner herumliefen.

Bis er 60 Jahre war, hielt er sich für unsterblich, aber die 50 toxischen Jahre forderten ihren Tribut. „Ich habe mir alle meine Krankheiten redlich verdient, aber ich habe sie chronologisch abgearbeitet“, sagt er. Die Brille, die er heute trägt, helfe, Emotionen zu verstecken: „Wenn ich traurig bin, sieht das keiner.“ Ob er sein Leben noch einmal genau so leben würde? „Ich würde fast alles anders machen. Ich würde Sprachen lernen, reisen, mich um Freunde und die Familie kümmern. Ich bin ein Idiot.“

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