Wie Krankenkassen und Inflation Anbieter in die Enge treiben

In einer unmittelbaren Notlage erhalten Betroffene schnelle Hilfe durch die Feuerwehr oder den Rettungsdienst unter der Notrufnummer 112. Doch was ist mit Menschen, die zwar keinen akuten Notfall erleiden, aber bei einem Transport medizinische Hilfe durch Rettungssanitäter benötigen? Für diese Fälle gibt es „qualifizierte Krankentransporte“. Doch die privaten Anbieter kommen finanziell zunehmend in die Bredouille.

Wer nach Paragraph 17 RettG NRW unterwegs ist, kann nicht mehr kostendeckend arbeiten.“ 

Sebastian Mzyk

geschäftsführender Gesellschafter, NRK Rettungsdienst GmbH und NRK Notfallrettung GmbH

Wer zur Dialyse, zur Strahlentherapie oder in eine Reha-Klinik muss, wird während eines Krankentransports von Rettungssanitätern betreut. „Diese überwachen die Vitalfunktionen und versorgen die Patienten im Notfall. Auch Infektionspatienten transportieren wir. All dies unterscheidet unsere Fahrten von Krankenfahrdiensten“, erklärt Sebastian Mzyk, geschäftsführender Gesellschafter der NRK Rettungsdienst GmbH und der NRK Notfallrettung GmbH.

Die Rettungssanitäterinnen und -sanitäter bleiben während der Fahrt bei den Patienten. Die für sie ungewohnte Umgebung führt bei manchen Patienten zu Stress. Einige bekommen Panik, andere müssen sich übergeben. „Alle Patienten benötigen eine fachliche Betreuung und zwischenmenschlichen Zuspruch“, ergänzt Mzyk. Vor drei Jahren übernahm Sebastian Mzyk das Familienunternehmen mit Sitz in Wuppertal von Matthias und Sabine Kießling. Seit 1990 unterstützt und ergänzt dieses mit Krankentransport, Rettungsdienst und Intensivtransport den Rettungsdienst in Wuppertal, Remscheid, Solingen, im Kreis Mettmann und im Rhein-Kreis-Neuss. Das Unternehmen zählt zu den größten privatwirtschaftlichen Anbietern von Notfallrettungsleistungen und Krankentransporten in Nordrhein-Westfalen.

Rettungssanitäter Tobias Vieregge im Einsatz (Foto: NRK-Rettungsdienst)

Engpass Personalkosten

Der Unternehmer war zuvor für das Deutsche Rote Kreuz und ein privates internationales Rettungsdienstunternehmen tätig. Heute unterstützt der 35-Jährige mit an die 100 Mitarbeitern die Kommunen, für die der Rettungsdienst eine hoheitliche Aufgabe ist, die sie gewährleisten müssen. Mzyk ist nach § 17 Rettungsgesetz NRW (RettG NRW) auf eigenes wirtschaftliches Risiko unterwegs und schließt Verträge mit den Krankenkassen. „Wer nach diesem Paragraphen als Konzessionsnehmer unterwegs ist, kann nicht mehr kostendeckend arbeiten“, so Mzyk. Als Unternehmer muss er kalkulieren: Die gestiegenen Energie- und Personalkosten und die Inflation zwingen ihn immer wieder an den Verhandlungstisch mit den Krankenkassen. „Die berufen sich in den Verhandlungen auf die so genannte Grundlohnsummenveränderungsrate. Das ist das Einkommen der gesetzlich Versicherten. In diesem Jahr reden wir von 4,22 Prozent. Diese sind die Kassen gewillt, an uns weiterzugeben. Aber wir haben eine Teuerungsrate von 20 bis 30 Prozent und können unser Personal nur halten, wenn wir mit der Lohnentwicklung im Gesundheitswesen Schritt halten.“

Notfallsanitäter Nabil Boubi bereitet technisch alles vor für den Krankentransport (Foto: NRK-Rettungsdienst)

Rettungssanitäterin Paula Jung stellt das EKG ein (Foto: NRK-Rettungsdienst)

Mittlerweile mussten schon viele private Unternehmen ihre Tätigkeit im genehmigten Krankentransport einstellen, weil sie nicht mehr kostendeckend arbeiten konnten. Zu ihnen gehört Magnus Memmeler, Geschäftsführer der Reinoldus Rettungsdienst gGmbH, der sich gezwungen sah, seine Konzession im Stadtgebiet Dortmund im September 2023 zurückzugeben. „Wir erbringen dieselben Leistungen wie der Regelrettungsdienst der Kommunen und kreisfreien Städte. Wir besetzen die Zentrale rund um die Uhr und halten alles vor, werden aber schlechter vergütet als die öffentliche Hand.“

Nachgefragt bei der AOK

Warum ist das so? Wir fragten bei der AOK Hamburg/Rheinland nach. Eine Sprecherin teilte uns mit: „Maßgeblich für unterschiedliche Preisstrukturen in den jeweiligen Kommunen (kommunaler Rettungsdienst/Feuerwehr) und bei privaten Anbietern sind die sogenannten notwendigen Vorhaltestunden z. B. 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche, die Anzahl der Fahrzeuge, die unterschiedlichen Beschäftigungsformen (Tarifbeschäftige, Beamte) sowie die Verwaltungskosten für den reibungslosen Betrieb von Krankentransporten. Diese kostenbildenden Merkmale sind durchaus heterogen und nur sehr begrenzt vergleichbar.  Dennoch möchten wir Ihnen nachstehend eine Orientierung zu den unterschiedlichen Preisspannen, differenziert nach privaten und kommunalen Anbietern, geben: Bei privaten Anbietern liegen die Preisspannen der Grundvergütungen zwischen 72,42 € und 133,05 €.  …  Bei kommunalen Anbietern liegen die Preisspannen der Grundvergütungen zwischen 168,00 € und 543,60 €.“ Und weiter heißt es: „Die unterschiedlichen Vergütungen der kommunalen Anbieter untereinander und der privaten Anbieter entstehen durch die abweichenden landesrechtlichen Vorgaben, an denen die Vergütungen auszurichten sind. … Die Einflussfaktoren wie beispielsweise kostenbildende Merkmale, die die Höhe der Gebühr einer Kommune beeinflussen, oder die sogenannte Daseinsvorsorge einer Kommune können mit denen eines Privatunternehmens nicht unmittelbar verglichen werden.“  Einige Unternehmen ziehen gegen diese Argumentation der Krankenkassen bereits vor Gericht. Dazu gehört die BIEKRA Gruppe. „Es geht uns nicht darum, dieselbe Gebühr wie der öffentliche Rettungsdienst zu bekommen, obwohl seit der Novellierung des Rettungsgesetzes NRW 2015 die Fahrzeuge der genehmigten Unternehmen Teil der Sicherstellung sind“, erörtert Karsten Geßner, Geschäftsführer der BIEKRA Krankentransport GmbH in Bielefeld. „Um kostendeckend zu arbeiten, benötigen wir im Schnitt 235 Euro pro Transport“, ergänzt Christoph Fiedler, Geschäftsführer der Krankentransport BIEKRA Herford gGmbH. Den beiden Geschäftsführern geht es nicht um größere oder noch bessere Fahrzeuge, sondern darum, ihre Personalkosten zahlen zu können, die mit 70 bis 75 Prozent den größten Kostenfaktor ausmachen. Der Klageweg Rechtsanwalt Dr. Tim Unger ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Medizinrecht bei einer Kanzlei mit Sitz in Hannover. Das wirtschaftliche Problem der privaten Rettungsdienste und Krankentransportunternehmen ist ihm bestens bekannt. Er hat schon diverse gerichtliche Verfahren in diesem Bereich geführt. „Das Kardinalproblem ist, dass es von einem Bundesland abgesehen keine landesrechtlichen Regelungen gibt, die den Anspruch der auf Grundlage von Genehmigungen tätigen Unternehmen auf eine angemessene Vergütung klar regeln“, erklärt der Rechtsexperte. Die Genehmigungsinhaber, d. h. die Unternehmen, die eine Konzession von den Kommunen haben, hält er aus diesem Grund für benachteiligt. Das Zauberwort, das in die Novellierung des Rettungsgesetzes aufgenommen werden müsste, ist das Attribut „auskömmlich“ oder „leistungsgerecht“. Käme es zu einer Aufnahme in das Gesetz, würde noch klarer, dass zweifellos ein Anspruch auf eine leistungsgerechte Vergütung besteht.

Foto: NRK-Rettungsdienst

 Eine weitere Lücke in der Gesetzgebung sieht der Anwalt darin, dass es für private Rettungsdienste keine Schiedsverfahren gebe. Warum ein Schiedsverfahren so wichtig ist? Weil die Prozesse in erster Instanz drei Jahre dauern und in zweiter Instanz weitere drei Jahre. „Welcher Unternehmer, dem das Wasser schon bis zum Hals steht, hat soviel Zeit“, gibt der Anwalt zu bedenken. Er sieht den Staat in der Verantwortung, hier Konfliktlösungsmechanismen zu schaffen.

Für Sebastian Mzyk drängt derweil die Zeit. Jeder Monat, den er weiter mit den Krankenkassen um eine angemessene Vergütung seiner Dienstleistungen für die öffentliche Hand ringen muss, bedeutet für ihn ein unternehmerisches Risiko. Laut Sprecherin der AOK Hamburg/Rheinland hat die Krankenkasse jedoch ein Interesse daran, die Angebotsvielfalt unter den privaten Vertragspartnern aufrecht zu erhalten. In einem Schreiben an die Redaktion heißt es: „Wesentlich ist für uns, die notwendigen qualifizierten Krankentransporte im Sinne der Gesundheitssicherung für unsere Versicherten unter Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Versorgung zu gewährleisten. Mit großem Interesse verfolgen wir daher auch die von Seiten des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen geplante Novellierung des Rettungsgesetzes NRW mit der Hoffnung, künftig auch die privaten Anbieter, gerade in ihrer Rolle als qualifizierter Krankentransporteur, zu stärken.“ Stärken würde die Landesgesetzgebung die Krankentransporte, indem sie eine „auskömmliche“ Vergütung in den Gesetzestext aufnimmt sowie eine Schiedsstellenregelung. Es bleibt also spannend für Sebastian Mzyk, seine Kollegen und Mitarbeiter.

Neu gegründeter Verband privater Rettungsdienstunternehmen in NRW

Wenn Großveranstaltungen wie der Kölner oder Düsseldorfer Karneval anstehen oder die Fußball-Europameisterschaft im nächsten Jahr, leisten private Rettungsdienste dasselbe wie Hilfsorganisationen. „Uns haben jedoch noch zu wenige auf dem Schirm. Deshalb haben wir im letzten Jahr das Hilfswerk für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe privater Rettungsdienste Nordrhein-Westfalen e.V. (HBK NRW) in Dortmund gegründet“, erklärt Mzyk. Zu den sieben Gründungsmitgliedern gehören neben Sebastian Mzyk und Magnus Memmeler auch Christoph Fiedler. Der Zweck des Vereins ist die Förderung des Katastrophen- und Zivilschutzes sowie die Rettung von Menschen aus Lebensgefahr.  Im Mittelpunkt steht dabei die uneigennützige Hilfe für Opfer und Betroffene von Großschadensereignissen, Naturkatastrophen, kriegerischen Auseinandersetzungen und damit zusammenhängenden Notlagen. „In diesen Situationen aktivieren unsere Mitglieder ihre Ressourcen, um Leben zu retten und Schäden zu minimieren“, erklärt Sebastian Mzyk. Wichtig ist dem Hilfswerk aber auch die Lobbyarbeit in eigener Sache: Im Mai dieses Jahres adressierte das HBK NRW ein Positionspapier zur geplanten Novellierung des RettG NRW an das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales. In dem Papier wies das Hilfswerk u. a. auf die Notwendigkeit einer Schiedsstellenregelung hin: „solange die Anerkennung von identischen Leistungen durch identische Vergütung nicht sichergesellt ist.“ Das Hilfswerk schlägt vor, eine Regelung „nahezu wörtlich angelehnt an das Berliner Rettungsdienstgesetz“ in das RettG NRW aufzunehmen.

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