ein Schreckenswort, aber auch die Hoffnung auf einen Neuanfang für die Generation, die den Zweiten Weltkrieg und das Naziregime überlebt hat. Unser Gastautor Gerd Meyer, der sein Berufsleben lang in der Finanzwirtschaft tätig war, erinnert an die Folgen des Krieges für Wirtschaft und Gesellschaft vor 75 Jahren.

Die Währungsreform vom 20. Juni 1948 – ein Epochentag in der deutschen Geschichte

$

Dr. Gerd Meyer

Studium  der Volkswirtschaft, Politikwissenschaft, Anglistik und Geschichte an den Universitäten Bonn, Sussex/Brighton und Oxford. Berufliche Stationen: Referent im Deutschen Bundestag, Chef vom Dienst im Bundespresseamt, Pressesprecher im Bundesbauministerium, Leiter der Unternehmenskommunikation und Pressesprecher bei Kreditinstituten, Veröffentlichungen zu volkswirtschaftlichen Themen, als PR-Berater freiberuflich tätig.

Frühjahr 1948. Der von Hitler entfesselte Weltkrieg war seit drei Jahren beendet. Dessen Verwüstungen in den meisten Ländern Europas waren noch lange sichtbar und belasteten das Leben vieler Menschen. Besonders in Deutschland hatten die Spuren des Krieges mit erbarmungsloser Eindringlichkeit Schneisen durch Stadt und Land gezogen. Zwar hatten die Kriegshandlungen in den ländlichen Regionen weniger drastische Folgen, aber in den Städten erinnerten Ruinen, Schuttberge, Trümmerfelder, zerstörte Brücken, Straßen und Eisenbahngleise an die bittere Realität. Die unzureichende Zahl von nutzbaren Wohnungen und die gravierende Unterversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln wurden als besondere Belastung empfunden.

In den drei Westzonen lebten vor Ausbruch des Krieges 39,3 Millionen Menschen in 10,7 Millionen Wohnungen. Im Jahr 1948 existierten aber nur noch knapp 9 Millionen Wohnungen für rund 47 Millionen Menschen. Durch Vertreibung und Flucht war die Bevölkerung um 20 Prozent gestiegen, gleichzeitig war die Zahl der nutzbaren Wohnungen durch Kriegseinwirkungen um über 20 Prozent verringert worden. Durch den Verlust der deutschen Ostgebiete, die überwiegend landwirtschaftlich geprägt waren, fehlten noch drei Jahre nach Kriegsende dringend benötigte Nahrungsmittel. Viele lernten damals zum ersten Mal in ihrem Leben Hunger als Dauerzustand kennen. Im schwersten Jahr der Weltwirtschaftskrise 1932 lag der Fettverbrauch in Deutschland bei 2,25 kg im Monat pro Kopf der Bevölkerung. In den Jahren 1947/48 stehen jedem Einzelnen ganze 150 Gramm Fett im Monat auf den Lebensmittelkarten zu; ca. alle drei Monate ist die Zuteilung eines Eies möglich! Vor dem Krieg konnten die Menschen in Deutschland pro Tag rund 3000 Kalorien verbrauchen. 1947/48 stehen 1.500 Kalorien zur Verfügung; und die kümmerlichen Rationen sind nur möglich durch Hilfen, die insbesondere aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland kommen.

Nur 40 Prozent waren voll arbeitsfähig

Die Unterernährung der Menschen hat gravierende Folgen für die Gesamtgesellschaft. Eine zeigt sich in der verminderten Arbeitsleistung der arbeitenden Bevölkerung. Folgt man den Dokumenten der Zeit, so sind damals in der britischen Besatzungszone nur 40 Prozent der Erwerbstätigen voll arbeitsfähig.

Eine Konsequenz zeigt sich in der unzureichenden industriellen Produktion unmittelbar vor der Währungsreform. Während in den meisten europäischen Ländern bereits 1947 der Produktionsstand vor Ausbruch des Krieges erreicht worden ist, liegt er im Juni 1948 in den drei Westzonen ungefähr auf der Hälfte des Standes von 1936.

Die geringe Produktivität der Industriearbeit hatte aber noch weitere Ursachen. Offiziell galt damals die 48-Stunden-Woche als Arbeitszeitnorm. De facto wurde weit weniger gearbeitet, weil „freie Zeit“ benutzt wurde, um Nahrungsmittel zu organisieren und sich aktiv auf dem „Schwarzmarkt“ zu engagieren. Bis zur Währungsreform blieb der Anreiz gering, zum festgesetzten Lohn engagiert zu arbeiten. Kompensationsgeschäfte in Form von Ware gegen Ware oder Ware gegen Arbeitsleistung blieben das gängige Element, das die Wirtschaft überhaupt noch am Laufen hielt.

Die Zunahme von Kompensationsgeschäften lag in der zurückgestauten Inflation. Diese hatte das Vertrauen in die noch existierende Reichsmark so fundamental untergraben, dass niemand mehr freiwillig bereit war, zu den legalen Preisen Waren nur gegen Geld abzugeben.

Die aufgestaute Inflation war die konsequente Folge der Kriegsfinanzierung des Dritten Reiches. Die Einnahmen des Reiches waren zwischen 1938/39 von 18 Mrd RM auf etwa das Doppelte in 1943/44 gestiegen, gleichzeitig stieg aber die Neuverschuldung in diesem Zeitraum von gut 11 Mrd RM auf fast 78 Mrd RM. Damit war ein Geldschnitt unvermeidbar geworden. Unklar blieb nur der Zeitpunkt des Währungsschnitts und unter welchen Bedingungen er durchzuführen war.

„Die Währungsreform ist im Bewusstsein der Deutschen so etwas wie der Neuanfang nach dem Kriege.“

Warum kam die Währungsreform erst im Juni 1948?

Mit dem Ende des Krieges in Europa im Mai 1945 zeigte sich schnell, dass die alliierten Mächte nicht in der Lage waren, sich auf eine gemeinsame Politik für ganz Deutschland zu einigen. Im Alliierten-Kontrollrat, der quasi als alliierte Regierung für ganz Deutschland etabliert war, kam es in grundlegenden Fragen nicht mehr zu umsetzbaren Entscheidungen. Das galt auch für die Thematik der Währungsreform. 

Zeitverzögernd wirkte auch der Umstand, dass insbesondere in der amerikanischen Deutschlandpolitik unterschiedliche Konzeptionen notwendige Entscheidungen herauszögerten. Erst im Laufe der Jahre 1946/47 zeigten sich Konturen einer Politik, die auf die Währungsreform, den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas und die Gründung eines westdeutschen Staates abstellten. Bis zur Umsetzung dieser Schritte blieb die Volkswirtschaft in den westdeutschen Zonen von einer normalen Entwicklung weit entfernt. Die Wertigkeit von Geld und Lebensmittelkarten zwang den „Normalverbraucher“ sich dem „Schwarzen Markt“ anzuvertrauen, denn auf dem offiziellen Markt war das Lebensnotwendige nicht zu erhalten. Aus dem zeitlichen Abstand von 30 Jahren zog der Historiker Wolfgang Benz die treffende Schlussfolgerung: „Deutschland war damit in den archaischen Zustand der Naturalwirtschaft zurückgefallen. Waren konnten nur gegen Waren getauscht werden“. Diesen untragbaren Zustand zu überwinden, war das Ziel der Währungsreform.

Treibende Kräfte auf dem Weg zur Währungsreform

Bereits im Mai 1946 waren in den Vereinigten Staaten Pläne für eine Neuordnung des Geldwesens erarbeitet worden. Das State Department folgte im Sommer 1946 dem Plan, der nach seinen Urhebern der Colm-Dodge-Goldsmith-Plan in der historischen Literatur benannt ist. In diesem Plan finden sich bereits alle wesentlichen Bestandteile der späteren Währungsreform. Bis zur Umsetzung vergingen noch zwei Jahre, weil im Alliierten-Kontrollrat eine Einigung zur Neuordnung der Währung nicht zustande kam.

Zwischen 1946/47 wurden von deutschen Stellen mehr als 300 Vorschläge für eine Währungsreform erarbeitet. Im Herbst 1947 war von der Verwaltung der Bi-Zone in Bad Homburg die „Sonderstelle Geld und Kredit“ gegründet worden. Dafür arbeiteten deutsche Ökonomen und Verwaltungsfachleute ebenfalls Pläne für eine Währungsreform aus.

In der deutschen Öffentlichkeit fand keine Diskussion statt, wie der Währungsschnitt aussehen könnte und welche praktischen Fragen in diesem Zusammenhang zu lösen wären. Tatsächlich waren die Vereinigten Staaten der wegweisende Treiber zur neuen Währung in den Westzonen. Ende September 1947, nach dem Scheitern der Außenministerkonferenz in Moskau, entschied die amerikanische Regierung in Washington, die Währungsreform ohne Rücksicht auf die Sowjetunion voranzutreiben. Seit dem Herbst 1947 wurden die neuen deutschen Banknoten in den Vereinigten Staaten gedruckt. In den Monaten Februar, März und April 1948 trafen die neuen Banknoten unter strengster Geheimhaltung in Deutschland ein. 23.00 Kisten erreichten schließlich Frankfurt, wo das neue Geld im Keller des alten Reichsbankgebäudes in der Taunusanlage deponiert wurde. Erst zwei Tage vor ihrer Ausgabe wurden die Banknoten mit 800 Lastwagen und mehreren Spezialzügen an die Lebensmittelkarten-Ausgabestellen in den drei westlichen Zonen verteilt. Unter den damaligen Wegeverhältnissen war diese Operation eine logistische Meisterleistung.

Die Bedingungen des Währungsschnitts

Am Abend des 18. Juni 1948, einem Freitag, verkündeten die westlichen Alliierten für ihre Zonen das neue Währungsgesetz, das am 21. Juni 1948 in Kraft trat. Das alte Zahlungsmittel, die Reichsmark, wurde damit ungültig. An ihre Stelle trat die Deutsche Mark (DM). Jede natürliche Person konnte im Verhältnis 1:1 ein Kopfgeld von zunächst 40 DM eintauschen; im August wurden weitere 20 DM freigegeben; juristische Personen erhielten einen ersten Geschäftsbeitrag von 60 DM für jeden beschäftigten Arbeitnehmer, Länder und Gemeinden eine Geldausstattung in Höhe ihrer durchschnittlichen Monatseinnahmen während der letzten sechs Monate. Bank- und Sparguthaben wurden auf 6,5 Prozent des Wertes, Verbindlichkeiten auf 10 Prozent reduziert. Damit waren die Inhaber von Sparguthaben am härtesten vom Währungsschnitt betroffen, während Eigentümer von Sachwerten und Immobilien ungeschoren davonkamen. Sozial gerecht mag auch heute noch dieses Währungsgesetz nicht erscheinen. Die währungspolitische Zweckmäßigkeit ist aber unbestritten. Der Währungsschnitt legte das Fundament für den anschließenden Wirtschaftsaufschwung.

Die Bedeutung der Währungsreform

Unmittelbar nach der Währungsreform trat der erwartete „Schaufenstereffekt“ ein.  Gehortete Waren vergrößerten schlagartig das Warenangebot. Waren, die faktisch vom Markt verschwunden waren, kehrten auf einmal wieder zurück. Und plötzlich verzeichnete die Wirtschaft im Währungsgebiet wieder ordentliche Wachstumsraten. Sicherlich waren hierfür auch die Wirtschaftsreformen Ludwig Erhards mitverantwortlich, die das Grundgerüst für eine Marktwirtschaft setzten. Die Währungsreform vom Juni 1948 wirkte dabei als Initialzündung. Die hiervon ausgehenden psychologischen Wirkmächte lassen sich quantitativ nicht messen. Über die nachfolgenden Jahrzehnte entwickelte sich die Deutsche Mark zu einer der stabilsten Währungen weltweit und zum Fundament einer prosperierenden Wirtschaft. In einer Feierstunde zum 50. Bestehen der Deutschen Mark hat der damalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer die Bedeutung der neuen Währung für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland treffend beschrieben: „Die D-Mark ist ein Teil, ja ein prägnantes Symbol der deutschen Nachkriegsentwicklung und der neuen Bundesrepublik Deutschland geworden. Die Währungsreform ist im Bewusstsein der Deutschen so etwas wie der Neuanfang nach dem Kriege. []. Die Währungsreform 1948 war ein Wendepunkt für die spätere Bundesrepublik, vielleicht mehr noch als deren formelle Gründung selbst.“

Gerd Meyer

Pin It on Pinterest