Ein Mann für alle Fälle

Mit Moritz Führmann einen halben Vormittag im Düsseldorfer Schauspielhaus zu verbringen, gewinnt schnell den Charakter eines Familientreffens. Pförtner Heiko am Bühneneingang strahlt, als Moritz mit Strickmütze und Hollandrad auftaucht. Beim Gang durch das unterirdische Labyrinth in die Requisite trifft er viele vertraute Gesichter von Bühnentechnikern, Kolleginnen und Kollegen.

Wer öffentlich-rechtlich fernsieht, erlebt dich mals Anwalt in der Fernsehserie „Falk“, in wechselnden Rollen im „Tatort“, sieht dich in „Die Chefin“, als Tim Koller in den Ingo Thiel-Krimis mit Heino Ferch oder als Herrn Eberle in „Merz gegen Merz“. Deine Rolle als radelnder Postbote Heiner Kelzenberg in der Krimiserie „Harter Brocken“, die seit 2015 läuft, hat Kultcharakter. Heiner ist ein Kümmerer und er ist immer zur Stelle, wenn man ihn braucht. Seine Fürsorge geht so weit, die Schwangerschaft seiner Freundin mit einer Gesundheitsapp zu überwachen. Den Kümmerer kauft man dir sofort ab, aber kannst du auch anders?

Und ob. In meinem ersten Tatort „Nachtsicht“ war ich Maler, Lackierer und Mörder und habe sogar Gewebereste, einen Fingernagel und einen Zahn als Mordtrophäen aufgehoben. Ich mag es sogar sehr, schwierige und düstere Figuren zu spielen. Gerade haben wir den Politthriller „Bonn“ mit Mercedes Müller und Max Riemelt in den Hauptrollen gedreht, bei dem es um den Aufstieg der Bundesrepublik nach dem Krieg geht. Gedreht habe ich in Prag, aber die Produktion filmte auch hier im Rheinland: in Bonn, Köln, Euskirchen, Bad Godesberg und Leutesdorf. Wenn ich mich auf meine Rolle vorbereite, dann lese ich sehr viel, schaue mir Originalmaterial an, tauche in die Zeit ein. In „Bonn“ bin ich unter anderem in handfeste Auseinandersetzungen verwickelt, vom Kümmerer bin ich da also meilenweit entfernt. Mich reizen historische Stoffe sehr, auch weil diese in der Dimension der Konflikte oft eine große Nähe zum Theater haben.

Aber da hast du ja eigentlich aufgehört. Du warst von 2009 bis 2018 festes Ensemblemitglied im Schauspielhaus Düsseldorf, bist aber immer noch hier zu sehen …

Am Schauspielhaus bin ich weiterhin als fester Gast. Am 22. und am 23. Dezember stehe ich noch einmal in „Die Tage, die ich mit Gott verbrachte“, eine Erzählung nach Axel Hacke, im Kleinen Haus auf der Bühne. Das ist ein toller Jahresausklang, auf den ich mich sehr freue.

 © Alexander Vejnovic, das-fotostudio-duesseldorf.de

Worin siehst du den Unterschied
zwischen der Bühne und der Kamera?

Im Theater drückst du alles über die Rampe, du musst glaubhaft sein und bis Reihe 22 verständlich. Beim Film gibt es schon mal Probleme mit der Akustik, was dann oft nicht nur an den Schauspielern liegt, sondern auch ein technisches und vor allem ein Zeitproblem ist. Ein Filmteam dreht an einem Tag im Schnitt vier bis fünf Minuten, nach 23 Tagen ist der Film in der Regel dann fertig. Bei Serien dreht man doppelt so viele Minuten. 

Spielst du lieber in Spielfilmen
oder in Serien mit?

Ich stehe prinzipiell gerne vor der Kamera. Was ich an Serien mag, ist, dass die Figur große Bögen erlebt und ich mit ihr eine gelebte Zeit habe. Die Zuschauer fangen an, einen mit dieser Rolle, mit dieser Figur zu identifizieren. Apropos „Figur“. Es ist nicht immer einfach, von den Menschen dauernd bewertet zu werden. Bei manchen Zuschauern entsteht eventuell das Gefühl, mich gut zu kennen. Auch so etwas wie „du hast aber ganz schön zugelegt“ muss ich mir da anhören. Manchmal ist selbst mir das ein bisschen zu viel Öffentlichkeit, ich möchte auch irgendwo privat sein dürfen.

Das ist natürlich nicht ganz einfach, wenn man mit einer Emmy-Preis-Trägerin und international gefeierten Schauspielerin verheiratet ist. Du warst dabei, als Anna Schudt in New York ausgezeichnet wurde. Wie habt Ihr Euch eigentlich kennengelernt?

Wir haben 2010 zusammen in Anna Karenina gespielt. Anna hatte die Titelrolle, ich habe ihren Bruder Stepan gespielt. Aus der Umarmung nach der Premiere wurde ein Kuss. Wir haben noch im selben Jahr geheiratet. 2011 kam unser erster Sohn auf die Welt, 2012 dann unser Kleinster. Sie sind mein Hobby und mein größtes Glück. Wenn wir beide viel unterwegs sind, finden die Jungen das nicht immer gut, aber sie fragen, ob wir wieder einen Pokal wie aus New York mitbringen. Zusammen haben wir auch ein neues Hobby für uns entdeckt in der Corona-Zeit, raus aus der Stadt und wandern. Auch wenn anfangs oft protestiert wird, genießen dann doch alle unsere Ausflüge
z. B. nach Heiligenhaus oder zur Auermühle. 

Wie hast du die Corona-Zeit überstanden?

Mein vorerst letzter Drehtag war damals tatsächlich der 13. März 2020 mit einer Folge für „Falk“. Dann kam der dreimonatige totale Lockdown, in dem ich gelernt habe, dass Schauspielerinnen und Schauspieler vom Sozialsystem nicht erfasst werden. Ich habe dann mit der BürgerStiftung Düsseldorf überlegt, was man da machen kann. Gemeinsam haben wir eine Soforthilfe für regionale Künstler ins Leben gerufen und aus diesem Topf konnten private Überbrückungshilfen ausgezahlt werden. Diese Partnerschaften für die Künstler laufen immer noch, denn die Kultur ist immer noch nicht wirklich angelaufen bzw. flaut aktuell mit den steigenden Inzidenzen wieder ab.

Unterstützt du noch andere Aktionen?

Für das Projekt „Radeln ohne Alter“ habe ich vor einigen Wochen zwei Seniorinnen vom Doro-thee-Sölle-Haus mit einer Rikscha bis nach Kaiserswerth gefahren. Aus den geplanten 25 Minuten wurden anderthalb Stunden. Eine Mitfahrerin hatte danach bei ihren Betreuerinnen davon geschwärmt und gesagt: „Ich träume die nächsten zwei Wochen sicher nur noch davon.“ Das hat mich so gerührt, dass ich plane, auch hin und wieder Lesungen im Dorothee-Sölle-Haus für die Bewohner anzubieten und auch weitere Rikschafahrten sind nicht ausgeschlossen.

Wie probst du denn aktuell deine Rollen
und bereitest dich auf Castings vor? 

Über ein Webinar habe ich eine sogenannte Kameragruppe gefunden. Wir sind fünf Kolleginnen und Kollegen und wir spielen uns regelmäßig auf einer Videoplattform Szenen vor. Das funktioniert super. Es ist viel Energiearbeit, aber ich arbeite zusätzlich auch direkt mit einem Coach.

Ging denn auch schon einmal
etwas richtig schief?

Ja, aber das ist schon etwas her. Für das Drama „Katte“ in Potsdam hatte ich 2006 sechs Wochen lang Reitunterricht genommen, um auf der Bühne das Pferd zu trensen, zu satteln und aufzusitzen. Das Pferd nahm bei der Galapremiere zur Eröffnung des neuen Theaters allerdings den Bühnenausgang und war weg. Ich betrat die leere Bühne, sah mich vergeblich nach dem Pferd um, ging an die Rampe, wo mein Satz „Oh wie verzweifelt ist meine Lage“ aus tiefstem Herzen kam.

Und last but not least: Ich habe gehört, dass du unter die Regisseure gegangen bist? 

Während des Lockdowns habe ich mit einem Freund ein Drehbuch geschrieben und dann einen Roman daraus gemacht. Aber Freunde aus der Filmbranche meinten, ich solle direkt einen Film aus dem Stoff drehen. Also drehten wir mit einem 25-Mann-und-Frau-Team, auch mit Anna und einem Grimme-Preis-Träger, einen Trailer. Entstanden ist aber gleich ein richtiger Kurzfilm, den wir in Duisburg und Düsseldorf produziert haben. Es handelt sich um eine moderne Ruhrpottkomödie, die ich natürlich gerne mit einer Produktionsfirma auf Spielfilmlänge bringen würde. Daran arbeiten wir gerade.

Wie weit ist Düsseldorf für dich auf dem
Weg zur Filmstadt und wie weit auf dem Weg
zur Fahrradstadt?

Fahrradstadt sehe ich noch nicht so, auch wo wir wohnen, ist es nach wie vor schwierig sich mit dem Fahrrad sicher fortzubewegen, vor allem mit Kindern. Als Drehort passiert hier schon einiges, auch wenn viele Produktionsfirmen halt in Köln sitzen. Neben „Falk“ wurde z. B. auch die Mini-Serie „Faking Hitler“ hier gedreht, die am 30. November angelaufen ist und in der ich einen Stasi-Beamten spiele. 

Moritz Führmann

1978 geboren in Kassel, studierte er zunächst Jura, sattelte um auf Musik und Theater in Leipzig, wurde Schauspieler. Bis 2009 war Führmann festes Ensemblemitglied am Hans Otto Theater Potsdam, bis 2018 am Düsseldorfer Schauspielhaus. 2015 erhielt er den Förderpreis für Darstellende Kunst der Stadt Düsseldorf. Zwei Mal wurde er mit dem Publikumspreis „Bester Schauspieler“ ausgezeichnet. 2016 skalpierte Moritz Führmann sich selbst, als er hinter der Bühne im Dunkeln gegen einen schwarzen Eisenträger rannte. Die Narbe blieb. 

In diesem Jahr hat er Lesungen in der Villa Hügel in Essen und in der Johannes-Kirche in Düsseldorf gegeben. Wenn er im Harz bei den Dreharbeiten von „Harter Brocken“ ist, fährt er mit dem Rennrad zum Set. Mit den Dorfbewohnern ist er über die Jahre so vertraut, dass er mit seinem Baritonhorn in ihrer Blaskapelle spielt. Eben ein Mann für alle Fälle.

Susan Tuchel

RADIO:* In der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember strahlt  Deutschlandfunkkultur ab 0.05h „Kein Himmel war uns  zu hoch“ – Eine Lange Nacht über Zelda und F. Scott  Fitzgerald aus. In drei aufregend-literarischen Stunden spricht Moritz Führmann den Part von F. Scott Fitzgerald. 
THEATER:           *  Am 22. & 23. Dezember spielt er Die Tage, die ich 

                                mit Gott verbrachte von Axel Hacke zum letzten Mal

                                am Düsseldorfer Schauspielhaus. Es gibt Restkarten.

                            *   Am 7. & 28. April 2022 wird er im Rahmen des 

                                Salonfestivals in Düsseldorf & Köln aus Die Bekenntnisse  

                                des Hochstaplers Felix Krull von Thomas Mann lesen. 

                                Karten gibt es unter https://salon-festival.de/events/

FERNSEHEN:    *   Am 2. Weihnachtsfeiertag zeigt VOX die preisgekrönte
                                Serienkomödie (Beste europäische Serie in La Rochelle)  

Unter Freunden stirbt man nicht, bei der Moritz an 

                               der Seite von Iris Berben, Adele Neuhauser, 

                                Heiner Lauterbach sowie Michael Wittenborn spielt. Alle vier Folgen ab 20.15h.

                            *   Tatort: Am 12. Januar wiederholt die ARD den ersten Fall

                                des erfolgreich gestarteten neuen Saarbrücker Ermittler-

                                teams um Vladimir Burlakov und Daniel Sträßer. Moritz spielt die Episodenhauptrolle.

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