Künstliche Intelligenz (KI) ist eine Schlüsseltechnologie. Doch was genau passiert da? Wie sehen konkrete Anwendungen in der Wirtschaft aus? Worauf wir hoffen können und was wir im Auge behalten sollten, damit setzt sich Frank Lehrbass, Professor für Finance und Data Science an der FOM in Düsseldorf, auseinander.

Lasst die Maschinen machen

KI ist die Fähigkeit von Maschinen Menschliches zu tun. Damit ist jedoch nicht der Kran gemeint, der Dinge hochheben kann wie ein Mensch. Im Fokus stehen Tätigkeiten, von denen man bis vor Kurzem glaubte, dass sie nur der Mensch erfolgreich leisten kann. Paradebeispiele sind das Spielen von Schach und Go, das Kategorisieren von Texten, das Ergänzen fehlender Wörter in einem Satz, das Verstehen von Text (z. B. „Siri“) oder das Erkennen von Bildern. Letzteres ist auch die Grundlage autonomen Fahrens und es ist erstaunlich, wie zuverlässig Maschinen Verkehrsschilder erkennen können, selbst wenn diese verbogen oder vollgeklebt sind. Einen Eindruck davon vermittelt eine Studie der FOM Hochschule mit Blick auf reale Verkehrsschilder in Düsseldorf.

Weniger bekannt sind Anwendungen in der Industrie. Das liegt vermutlich daran, dass laut einer Studie erst sechs Prozent aller befragten Unternehmen Künstliche Intelligenz einsetzen. Dabei verliert KI die Aura einer Geheimwissenschaft, wenn es um eine ganz praktische Frage geht: Wie können Getränkedosen in einer Verpackungsmaschine so angeordnet werden, dass das Firmenlogo des Kunden immer optimal zu sehen ist?

KI schont Ressourcen 

Die Beantwortung dieser Frage führt zu einer erheblichen Einsparung von Plastikfolie. Denn bisher werden sechs Bierdosen mit einer Folie umhüllt, auf der das Firmenlogo zu sehen ist. Verzichtet man nun auf die Folie, indem die 6 Dosen an ihren Berührungsflächen mit einem „Post-It“-ähnlichen Kleber verklebt werden, so hat man ein Sixpack ohne Folie, aber von außen ist das Firmenlogo nicht mehr akkurat sichtbar. 

Wie man das Logo so platziert, dass es immer sichtbar ist, dieser Frage ist Philipp Titze von der FOM Hochschule in seiner Master-Thesis „Anwendung von Convolutional Neural Networks zur Vorhersage der Ausrichtung eines Getränkebehälters“ nachgegangen. Er entwickelte eine technische Lösung, bei der nur noch ein Computer und eine Kamera benötigt werden, also keine Spiegel und Prismen mehr wie vorher. Das sind weitere 90 Prozent Ersparnis bei den Produktionskosten. Zudem ist das System robuster, was Farbänderungen und Belichtungsänderungen angeht. Die Kamerasoftwarewird mithilfe Künstlicher Intelligenz so trainiert, dass eine Vorhersage getroffen werden kann, um welchen Winkel die Dose vor dem Zusammenkleben gedreht werden muss, damit am Ende eine vom Kunden gewünschte Werbewirkung entsteht. Der letzte Punkt zeigt, was KI leisten soll: Der Maschine werden Bilder einer Dose vorgelegt und sie muss entscheiden, in welchem der 360 Winkelgrade sich die Dose befindet. Eigentlich eine simple Kategorisierungsaufgabe: Bilder müssen einer Winkelzahl zugeordnet werden. 

Hierzu muss die Maschine aus Datensätzen lernen. Jeder Datensatz besteht aus Bildinformationen (Pixeln), also einer Datei. Jeder Datei war die korrekte Kategorie zugeordnet. Im ersten Schritt wurde die Maschine mit den Bildinformationen versorgt und sie musste auf gut Glück die zugehörigen Kategorien bestimmen. Das führte zu Fehlern, aus denen die Maschine lernte und so ihre Vorhersagequalität allmählich verbesserte.

Drei Punkte, die zum Durchbruch führen

1.)
die zunehmende
Rechenleistung

2.) die immensen Datenmengen

3.)
die Fortschritte in der Forschung, wie man Bilder
geschickt kodiert

Dasselbe gilt auch für die Texterkennung. Hier nennt man den letzten Schritt auch die Vektorisierung von Texten, also das Übersetzen von Zeichen in Zahlenketten.

Die Maschine ist beschränkt in dem, was sie tut. Sie kann nur eine Aufgabe bewältigen – aber dafür im Untersekundentakt. Das hat Auswirkungen auf die Arbeit der Zukunft: Monotone Tätigkeiten, die einem festen Schema folgen, sind von KI bedroht. Dazu zählt auch das Bearbeiten von Anträgen im Regelfall. Es handelt sich um eine Zuordnung von „genehmigt, abgelehnt oder manuell zu entscheiden“. Die Kategorisierung also noch einfacher, weil weniger Kategorien zur Verfügung stehen.

KI sortiert aus

Banken und Versicherungen arbeiten bereits seit Jahrzehnten mit Künstlicher Intelligenz. So brachte der Baufinanzierer DG HYP seit 1991 eine Maschine in den Einsatz, mit der innerhalb von Minuten elektronisch über in den Volksbanken gestellte Kreditanträge entschieden wurde. Die dabei generierten Daten stellen einen Schatz dar, aus dem Banken u. a. lernen können, zukünftige Entwicklungen beim Kunden vorherzusagen, z. B. wird dieser womöglich bald zahlungsunfähig sein?  Dies wiederum ermöglicht ein kundenindividuelles Pricing der Kredite. Riskante Kunden müssen mehr Zinsen zahlen. Mit den modernen KI-Methoden geht diese Differenzierung noch weiter, wodurch es Gewinner und Verlierer gibt. Für die U.S.A. wurde dies zuletzt untersucht und bestätigt. Die gesellschaftliche Debatte über die Attribute, die man verwenden darf, ist in vollem Gange. 

Aber auch bei wenigen Kategorien kann es sehr schwierig werden. Z. B. erscheint die Kategorisierung von Chats in „Hate Speech“ oder „Non-Hate Speech“ auf den ersten Blick simpel. Aber was ist, wenn der Schreiber ironisch oder bildlich spricht oder bewusst verwirren will? Hingegen ist die Klassifizierung von Chats im Intranet einer Firma durchaus leistbar, weil dort die letzteren Punkte weniger relevant sind bzw. zu einem „analogen Gespräch“, sprich zu einer Ermahnung, führen könnten.

Augen auf bei der Berufswahl

Die hier skizzierten KI-Anwendungen sind nicht zuletzt wertvolle Wegweiser, wohin man sich beruflich orientieren sollte. Repetitive Tätigkeiten sind definitiv bedroht, kreative nicht. Ebenso verhält es sich mit allen Berufen, bei denen menschliche Interaktion zentral ist. Keine Frau möchte von einem Roboter entbunden werden. Sich nur aufs Programmieren zu fokussieren, ist zu wenig. Solche Aufgaben werden außerhalb Deutschlands in Topqualität zu geringeren Kosten erbracht. Berufe, die IT sowie weitere Qualifikationen erfordern, sind noch zukunftsträchtig. Die erwähnte Master-Thesis ist ein Beispiel dafür. Hierfür musste der Verfasser sowohl die Produktionsanlage, das wirtschaftliche Umfeld, in diesem Fall die Kundenbedürfnisse, als auch den Rechner verstehen.

 © Alexander Vejnovic, das-fotostudio-duesseldorf.de

Prof. Dr. Frank Lehrbass 

Prof. Dr. Frank Lehrbass ist seit 2015 Professor an der FOM Hochschule. Sein Lehr- und Forschungsgebiet sind Finance & Data Science. Er ist Inhaber der L*PARC Unternehmensberatung. Er berät Unternehmen aus Industrie, Handel und dem Finanzsektor bei der Analyse von Markt- und Unternehmensdaten sowie beim Management und der Modellierung von Marktpreis-, Kredit-, Liquiditäts-, operationellen und strategischen Risiken. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung außerhalb der Hochschule und beim Einsatz von quantitativen Methoden im Investment Banking und Commodity Trading. Er studierte an den Universitäten Bonn, Mannheim, Dortmund und Johns Hopkins (Baltimore, MD, U.S.A.).

Chancen und Risiken

KI-Innovationen beschleunigen und steigern die Effizienz. Geschäftsprozesse und Produktionsaktivitäten werden schneller, genauer, flexibler, zuverlässiger, kostengünstiger oder erhöhen die Kapazitäten. Ein Beispiel ist die Suche nach neuen Medikamenten. Hier spielt KI alle denkbaren Kombinationen von Wirkstoffen in der Theorie durch. Faktisch ausprobiert werden dann nur die, die vielversprechend sind. Leider kann diese Technik auch die Entwicklung von Chemiewaffen beschleunigen. Dasselbe gilt für die Bilderkennung.  KI kann auch genutzt werden, um staatliche Überwachung zu perfektionieren. Aber sollte man deswegen auf alle Werkzeuge verzichten?

Für Deutschland entsteht zuweilen dieser Eindruck, dass diese Haltung dominiert. Der Gedanke, dass mein Hausarzt sofort aus einer elektronischen Gesundheitsakte ersehen kann, was der Facharzt gestern festgestellt hat, scheint für viele Deutsche ein Horrorvorstellung zu sein. Deshalb darf man bei jedem Facharzt- oder Krankenhausbesuch ein Blatt Papier unterzeichnen, mit dem man diesem Informationsaustausch zustimmt. Länder wie Spanien sind da deutlich weiter, nicht nur beim Impfen. So war gerade die elektronische Akte die Basis für die hohe Impfquote, weil man jeden Bürger elektronisch kontaktieren konnte und den Impfstatus nachhalten konnte. Der Nutzen sofortiger Verfügbarkeit bestehender medizinischer Analysen über eine Person zeigt sich spätestens in der Notaufnahme und frühestens in der Apotheke, wenn der Apotheker schon weiß, welches Medikament soeben verschrieben wurde.

Trotz dieser skeptischen Grundhaltung sind viele Deutsche naiv und verstehen nicht, dass in der schönen neuen Welt gilt: „If you don’t pay for the product, you are the product.“

Frank Lehrbass

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