Hausbesuch beim ehemaligen Düsseldorfer Oberbürger Thomas Geisel. Das Bücherregal mit Reiseliteratur und der schwarze Flügel fallen sofort auf. Die Möbel sind frei von gängigem Schick, stilsicher inszeniert für ein offenes Ambiente. Es gibt Kaffee aus einer Siebträgermaschine, serviert von seiner Tochter. Und dann beginnt das Interview über den politischen und privaten Menschen. Was er zukünftig vorhat, wie er über seinen Nachfolger denkt, und weshalb er vom Gendern nicht viel hält.

Herr Geisel, wenn Sie ein Produkt wären, könnte
ich es eher an der Königsallee oder in Oberbilk kaufen?

Eher in Oberbilk.

Die Luxusmeile hat für Sie keinen Reiz?

Die Kö ist eine fantastische Einkaufsstraße für ein internationales Publikum, aber Oberbilk entspricht mehr meinen Neigungen. Ich bin ein volkstümlicher Mensch. Beinahe wären meine Frau und ich vor fast 20 Jahren nach Oberbilk in die Heerstraße gezogen, aber da hat uns ein etwas treuloser Makler einen Strich durch die Rechnung gemacht. Kurz danach fanden wir unsere Wohnung am Dreieck in Pempelfort. Wir lieben das innerstädtische Leben in einer bunten Umgebung. Haus mit Garten ist nicht so unser Ding.

Ihr Vorgänger Dirk Elbers urlaubt gerne auf Sylt. Das ist
wohl auch nicht Ihr Ding, weil dort der Kö-Wind weht?

Wieso? Meine Frau und ich sind da völlig unideologisch. Aber wir sind keine Urlauber, die jedes Jahr an den gleichen Ort fahren.

Seit acht Monaten sind Sie nun der Ex-Oberbürgermeister.
Was macht das „Ex“ mit Ihnen?

More about Thomas Geisel (58)

Der Manager wechselte als Seiteneinsteiger ins Rathaus. Nach einem fulminanten Wahlkampf wurde der Sozialdemokrat 2014 als Ober-
bürgermeister gewählt. Sechs Jahre später verlor er nach einer Stichwahl das Amt. Der Mozart-Liebhaber spielt Flöte, gerade hat er sich eine silberne gekauft. Viele Bilder zeigen ihn als Marathonläufer, aber er bezeichnet sich mehr als Genussmensch denn als Asket. Gerne
verreist er mit seiner Frau ans Meer zu Orten mit viel Kultur, leckerem Essen und gutem Wein.

Es hat mir gutgetan, dass ich das Buch „Grenzgänger“ geschrieben habe, um meine Zeit als Oberbürgermeister Revue passieren zu lassen. Denn es ist ja wirklich viel passiert. In dem Buch geht es um die Vergangenheit, aber ein wenig natürlich auch um die Zukunft, denn vieles, was während meiner Amtszeit entschieden wurde, wird von meinem Nachfolger jetzt zu Ende gebracht. Richtig ist, dass ich die Wahl um ein Amt verloren habe, das ich mit all meiner Kraft sehr gerne ausgeübt habe. Das waren sechs grandiose Jahre, immer ein wenig am Limit. Aber ich hadere nicht mit der Wählerentscheidung. Klar: niemand verliert gerne, aber ich spüre jetzt auch die Freiheit, über mein Leben wieder selbst zu bestimmen. 

Haben Sie den Wunsch, etwas komplett
Neues in Angriff zu nehmen?

Meine Frau und ich hatten nach der Wahl kurz überlegt, ob wir nach Berlin umziehen, zumal ich dort zehn Jahre lang gelebt habe. Aber wir bleiben gerne in Düsseldorf. Unsere Kinder sind hier geboren, wir haben viele Freunde hier. Außerdem ist Düsseldorf so eine wunderbar vielfältige Stadt mit Kunst, Kultur, Brauchtum, Sport und tollem bürgerschaftlichem Engagement, heimatverbunden und international – wir mögen das einfach!

Sie sind erst 58 Jahre alt. Wohin führt Ihr Weg?

Ich arbeite als Anwalt und Berater für Projekte, die mir Spaß machen. Vieles mache ich auch pro bono, so ein wenig „Liebling-Kreuzberg“-mäßig, wenn Sie diese Sendung noch kennen. Wenn ich angesprochen werde und helfen kann, sei es mit Rat und Tat oder wenn es darum geht, Geld für einen guten Zweck zu akquirieren, dann mache ich das gerne.

Das hört sich aber mehr nach dem Programm eines 70jährigen an.

Wieso? Ich muss niemandem mehr etwas beweisen. Falls ich nochmals was Größeres machen möchte, werde ich mir das – gemeinsam mit meiner Familie – in aller Ruhe überlegen, zumal ich nach dem Ende meiner Amtszeit ja gewissermaßen noch im Abklingbecken bin.

Na ja, im Abklingbecken waren Sie schon sehr rege. Sie haben ein Buch geschrieben und nebenbei in den sozialen Medien einen Shitstorm wegen Ihrer kritischen Einlassungen zu den Waffenlieferungen an die Ukraine ausgelöst. Haben Sie sich schon vom Shitstorm erholt?

So schlimm war es auch wieder nicht. Zumal ich mir gar nicht alles durchgelesen habe, was beispielsweise über Twitter „gezwitschert“ wurde. Und auf meinem privaten Mailaccount ging auch sehr viel Zuspruch ein. Lediglich der Zeitpunkt war unerfreulich. Ich war mit meiner Frau über ihren Geburtstag in Prag, und als wir Samstagabend dann in einem schönen Restaurant waren, brach das ganze Theater los. Das hat uns den Kurzurlaub dann doch ein wenig verhagelt.

Sind Sie der Gerhard Schröder der
Düsseldorfer SPD?

Zunächst mal zu Gerhard Schröder. Natürlich ist es nicht okay, wenn ein ehemaliger Bundeskanzler zum Lobbyisten für ausländische Konzerne wird. Aber wir sollten auch nicht ganz vergessen, dass er uns seinerzeit aus dem Irakkrieg herausgehalten und eine Menge Reformen durchgeführt hat, von denen in erster Linie seine Nachfolgerin profitiert hat. Was mich angeht, halte ich es mit Max Weber. Der hatte in einer Rede vor 100 Jahren Politikern ins Stammbuch geschrieben, sie bräuchten Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß. Heute hat man bisweilen das Gefühl, politisch erfolgreich ist man eher, wenn man Politik aus dem Bauch macht, in sozialen Medien präsent ist und den Eindruck erweckt, Politik könnte jedes Problem lösen. Das ist mein Ding nicht. Wer verantwortungsvoll politisch entscheidet, muss in erster Linie die Konsequenzen seiner Entscheidungen bedenken und über die Einsicht verfügen, dass Politik nicht alles regeln kann und sollte. Und eine gewisse Resistenz gegen hysterische Aufgeregtheiten gehört auch dazu. Da habe ich, glaube ich, einen ziemlich klaren Kompass.

Was steht auf diesem Kompass?

Politisch stehe ich für sozialen Zusammenhalt, was letztlich bedeutet, dass die Reichen nicht immer reicher und die Armen immer ärmer werden dürfen. Und inneren Halt geben mir meine Familie, meine Frau und meine fünf Töchter. Und außerdem glaube ich an den lieben Gott.

Ihre SPD ist mit Ihnen nie so richtig warm
geworden, oder?

Zu den Mitgliedern hatte ich immer ein gutes Verhältnis, aber die Funktionäre taten sich manchmal ein bisschen schwer damit, dass mich nicht ein Parteitag, sondern die Bürger direkt zum Oberbürgermeister gewählt haben. 

Sie sagen Bürger und nicht in der neumodischen Variante auch Bürgerinnen. Was halten Sie vom Gendern?

Hoppla, hab ich das? Ich meinte natürlich auch die Bürgerinnen. Vom Gendern halte ich allerdings nicht allzu viel. Ob man inklusiv ist und alle Menschen ansprechen will, entscheidet sich meiner Meinung nach durch Handlung und Haltung und nicht an manchmal etwas bizarren sprachlichen Verrenkungen.

Wer ist Ihr Vorbild?

Meine Mutter. Sie war eine großzügige, fürsorgliche und disziplinierte Frau.  

Wen mögen Sie gar nicht?

Schaumschläger und Angeber.

Was unterscheidet Sie vom amtierenden
CDU-Oberbürgermeister Stephan Keller?

Wir haben eine komplett andere Vita. Ich komme aus der Wirtschaft, war Seiteneinsteiger, Herr Keller hat dagegen fast sein ganzes Berufsleben in der Verwaltung und bei Verbänden zugebracht. Daraus ergibt sich ein etwas anderer Politikstil oder eine andere Herangehensweise.

Für Sie muss das Rathaus doch nach Ihrem Wechsel aus der Wirtschaft ein Kulturschock
gewesen sein.

Ich war nicht geschockt, weil ich in meinem Berufsleben immer wieder vor neuen Situationen stand, mit denen ich mich erst einmal zurechtfinden musste. Wer gestalten und etwas verändern will, muss auch mal eingefahrene Wege verlassen und neue Perspektiven und Lösungen entwickeln. Insofern war das Rathaus eine Herausforderung, die ich wie jede andere Herausforderung in meinem Leben zupackend annahm. Ich hatte eine ziemlich klare Vorstellung von dem, was ich wollte. An diesen Zielen habe ich mein Handeln orientiert. Dass man dafür auch politische Mehrheiten braucht, war mir schon klar. Deswegen Abstriche zu machen, fiel mir aber zugegebenermaßen nicht immer ganz leicht.

Was kann Ihr Nachfolger von Ihnen lernen?

Ein Grund für meine Abwahl war vielleicht, dass ich meine Positionen sehr exponiert dargestellt und vertreten habe. Klares Ziel, klare Ansage und ab geht’s. Herr Keller ist da etwas geschmeidiger unterwegs. Ich habe den Eindruck, er legt sich erst einmal nicht fest, sondern prüft zunächst, ob es Widerstände geben könnte und ob die Mehrheiten gesichert sind. Politisch ist das wahrscheinlich vernünftig. Denn die letzten Wahlergebnisse zeigen, dass ein Moderator, der sich durchlaviert, in der Regel erfolgreicher ist als der sogenannte „Macher“. Das mag man bedauern, aber so scheint es zu sein.

Dagegen spricht allerdings, dass er eine Mitgliedschaft bei den einflussreichen Düsseldorfer
Jonges ablehnt, weil sie keine Frauen aufnehmen.

Das sehe ich ein wenig anders. Zum einen ist er seit über zehn Jahren Mitglied der Düsseldorfer Jonges und hat lediglich eine Funktion im erweiterten Vorstand abgelehnt. Aus meiner Sicht war dies keine mutige Entscheidung, sondern eine Referenz an den politisch korrekten Zeitgeist, der einen reinen Männerverein, wie es die Jonges sind, nicht mehr zeitgemäß findet. Vielleicht war’s auch eine Retourkutsche gegen das Sicherheitskonzept der Jonges für die Altstadt, von dem Keller offenbar nicht so begeistert war.

 © Alexander Vejnovic, das-fotostudio-duesseldorf.de

Ein kluger Schachzug war von ihm, den SPD-Stadtdirektor und die SPD-Kämmerin im Amt
zu belassen. Er hat sie sogar ausdrücklich
gelobt. Das hemmt die Angriffsmöglichkeiten der SPD-Fraktion im Stadtrat.

Was hätte er denn machen sollen? Die Beigeordneten sind jeweils für die Dauer von acht Jahren vom Rat gewählt und können vom OB nicht einfach abberufen werden. 

Na ja, Sie haben doch nach Ihrer Wahl den CDU-Kämmerer Abrahams und den CDU-Bau-Beigeordneten Bonin weggedrückt. Es geht also.

So war es nicht. Herr Abrahams, mit dem ich bis heute befreundet bin, hat mit der Berufung in den Vorstand der Stadtwerke seine exzellente Karriere gekrönt. Ich hätte ihn gerne behalten. Und Herrn Bonin hat Düsseldorf zahlreiche sehr positive städtebauliche Impulse zu verdanken. Nicht immer ganz einig waren wir uns im Hinblick auf Tempo und Priorität beim Wohnungsbau. Vielleicht hat er deshalb das Angebot aus Mönchengladbach, wo er ja immer schon gelebt hatte, angenommen; und dort ist er, soweit ich das beobachte, sehr erfolgreich. 

Was war der zweite Grund für Ihre Abwahl?

Ohne die Pandemie, die das gesellschaftliche Leben extrem beeinträchtigt hat, hätte ich die Wahl wohl nicht verloren. Ich hatte immer ein volkstümliches Amtsverständnis, war gerne ein Oberbürgermeister zum Anfassen und habe mir aus Statusdünkel nie viel gemacht. In Zeiten von Maskenpflicht und Social Distancing konnte ich dies natürlich nicht ausspielen, einmal ganz abgesehen davon, dass der Wahlkampf so natürlich auch nicht allzu viel Spaß gemacht hat.

Wer hat Sie denn nicht gewählt?

Ich stand als Oberbürgermeister dafür, das städtebauliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Potenzial der Stadt Düsseldorf zu heben und weiterzuentwickeln. Für mich ist Düsseldorf eine pulsierende Metropole am Rhein und nicht das beschauliche Dorf an der Düssel. Das haben offensichtlich viele anders gesehen. Gerade in den vergleichsweise wohlhabenden Stadtteilen gibt es teilweise große Widerstände gegen neue Wohnungsbau- und Infrastrukturprojekte. Das ist aus meiner Sicht keine gute, ja vielleicht sogar eine gefährliche Entwicklung. Denn Düsseldorf muss hungrig und ehrgeizig bleiben, sonst geht die Erfolgsgeschichte unserer Stadt irgendwann zu Ende. 

Kennen Sie Ihr Image?

Sagen Sie es mir.

Sie waren ein Oberbürgermeister, der – so schien es – abrupte Entscheidungen traf. Gerade Ihre Parteifreunde fühlten sich dadurch manchmal überrumpelt.

Okay, das mag stimmen. Meine Entscheidungsfreude hat in der Tat manchmal den einen oder die andere ein wenig irritiert. Immerhin wird mir nicht vorgeworfen, opportunistisch oder populistisch zu entscheiden. Vielmehr habe ich meine Entscheidung immer rational begründet. Und wer eine Stadt voranbringen möchte, muss eben Entscheidungen treffen, selbst wenn sie kontrovers sind.

Wenn Sie ein Tier wären, welches?

Ein Wolf.

Oh, ein Wolf, der einsam durch die Wälder zieht und nachts Schafe auf der Weide reißt?

Nein, ein Leitwolf, der das Rudel zusammenhält und beschützt.

Was war Ihre größte Enttäuschung als
Oberbürgermeister?

Dass es nicht gelungen ist, das städtische Beteiligungsmanagement zu professionalisieren. Düsseldorf ist ein bedeutender Stadtkonzern mit Beteiligungen am Flughafen, an der Messe und der Stadtsparkasse, um nur einige zu nennen. Geführt werden diese Beteiligungen von einer kleinen Abteilung im Kämmereiamt, die in puncto Größe, Ausstattung und Know-how nicht in der Lage ist, die strategischen und wirtschaftlichen Interessen der Stadt gegenüber den Unternehmensleitungen, aber auch gegenüber privaten Mitgesellschaftern zu formulieren, zu vertreten und durchzusetzen. Für die Leitung wollte ich deshalb einen ausgewiesenen Experten gewinnen und den Bereich als Stabsstelle im Amt des Oberbürgermeisters organisieren. Das hat der Stadtrat abgelehnt. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Für mich ein Fall von Organisationsverschulden.

Diese Enttäuschung kann man ja noch unter politischem Hickhack abhaken, aber wie sind Sie damit umgegangen, dass besonders die CDU Sie wegen einer offenen Finanzierungsfrage zur Tour-de-France-Veranstaltung in Düsseldorf quasi in die Privatinsolvenz treiben wollte?

Na ja, so weit wäre es wohl nicht gekommen. Aber die Ratsdiskussionen zur Tour der France waren in der Tat unwürdig, um nicht zu sagen schäbig. Zumal sich später alles in wunderbarem Einvernehmen auflöste. Denn ausgerechnet im Jahr der Tour de France 2017 wies der Haushalt einen Überschuss von 40 Millionen Euro aus. Da traute sich dann keiner mehr, mir die Entlastung zu verweigern, auch diejenigen nicht, die bis dahin keine Gelegenheit ausgelassen hatten, dieses für Düsseldorf grandiose Sportereignis zu skandalisieren. 

Im Rathaus hängt von allen ehemaligen
Oberbürgermeistern ein Porträt. Sie haben
sich für ein Foto und gegen ein Gemälde
ausgesprochen. Warum?

Das ist mein Statement, dass Düsseldorf eine herausragende Fotostadt mit international renommierten Fotokünstlern ist. Da nehme ich doch kein Ölgemälde. Frank Wilmes

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