Hape Kerkeling ist 60 und trägt blaues Blut in sich

 Mit 59 Jahren lüftete Hape Kerkeling ein Familiengeheimnis. Nach einer DNA-Analyse und dreieinhalb Jahren Archivrecherche stand sein Stammbaum. Und der offenbarte, dass der britische König und Kaiser von Indien Eduard VII. seine Urgroßmutter Agnes Sattler, eine einfache Arbeiterin, im Jahr 1903 geschwängert haben musste. Bertha, unehelich in Marienbad im heutigen Tschechien geboren, hielt dicht, bis sie mit knapp 90 Jahren dement wurde und von ihrer Kindheit im Schloss und der Kaiserin sprach. Wir sprachen mit Hape Kerkeling über sein neues Buch „Gebt mir etwas Zeit“.

Die Generation der Baby-Boomer ist mit Ihnen aufgewachsen – mit dem rothaarigen Vorschulkind Hannilein, dem Grevenbroicher Lokalreporter Horst Schlämmer, mit Sigi Schwäbli, Uschi Blum und Gisela. Ihr Erstlingswerk „Ich bin dann mal weg“ war 2006 das meistverkaufte Buch des Jahres und 2015 ein Kinohit. Sie haben pilgern und wandern „sexy“ gemacht – der Hype auf den Jakobsweg, den Camino de Santiago, ist bis heute ungebrochen. Können Sie sich vorstellen, dass jetzt Millionen Menschen eine Speichelprobe mit ihrer DNA  verschicken in der Hoffnung, dass sie vielleicht auch berühmte Vorfahren haben?

Ich kann mir schon gut vorstellen, dass der eine oder andere eine Speichelprobe einschicken wird.

 Aber nicht jeder wird solche Entdeckungen machen …

Unabhängig davon, ob er sich wie ich von dem Ahnenforschungsvirus anstecken lässt oder nicht, wird jeder, der forscht, spektakuläre Entdeckungen machen. Das kann gar nicht anders sein bei dem, was in den letzten 500 Jahren rund um das deutschsprachige Territorium passiert ist: Völkerwanderungen, Kriege, all diese Einflüsse finden sich in jedem Einzelnen und in jeder Familiengeschichte wieder. Und jetzt sehr viele Archive online und digitalisiert sind, lässt sich das auch leichter recherchieren. Heute brauchen Sie, um 40.000 Vorfahren zu recherchieren, was ja gigantisch viel ist, keine vier Monate mehr. Das haben wir der einer Software zu verdanken. Für meine Nachforschungen hätte ich sonst Jahrzehnte gebraucht. Heute kann jeder – wie auch jeder Fernsehen oder Radio machen kann – Ahnenforschung als Hobby betreiben. Es ist nicht mehr Wissenschaftlern oder pensionierten Studienräten vorbehalten, was ich gut und gerecht finde.

Foto und Titelfoto © Susie Knoll

Warum gehen Sie von spektakulären Entdeckungen aus, wenn ich mich auf die Suche nach meinen Ahnen begebe?

Wir sind alle keine Nachfahren von armen Schluckern, sonst gäbe es uns heute nicht. Wir leben heute hier auf diesem Planeten, weil unsere Vorfahren vor 300 oder 400 Jahren ihr Auskommen hatten und eben nicht darben mussten. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir von Großgrundbesitzern und von Adligen abstammen, ist höher, als dass wir die Nachfahren von Landarbeitern sind. Ich gebe Ihnen die Garantie: Sie gehen drei, vier oder fünf Generationen zurück und finden sich in Zweigen des Hochadels wieder.

 1987 hatten Sie einen Brief von einer älteren Dame namens Waltraud in Ihrer Fanpost, die auch aus Marienbad stammte und behauptete, dass Ihr Urgroßvater besagter Eduard VII. sei. Ihr Vater nahm den Brief an sich mit dem Hinweis: „Mit diesem Thema beschäftigen wir uns nicht.“ Hätte sich Ihr Leben verändert, wenn Sie schon 1987 gewusst hätten, was Sie heute wissen?

Glaube ich nicht, auch jetzt hat sich persönlich bei mir nichts verändert. Einerseits war es überraschend, andererseits fand ich es für mein Leben völlig konsequent, dass ich diese durchgeknallte Volte in meinem Stammbaum habe. Irgendwie habe ich gedacht: Genau das hat mir noch gefehlt. Deswegen hat es mich am Ende gar nicht so überrascht, so verblüffend es auch ist.

Hape Kerkeling 1980, Foto: privat

„Wir sind alle keine Nachfahren von armen Schluckern, sonst gäbe es uns heute nicht.“
Hape Kerkeling

Hape Kerkelin in Venedig, 1982, Foto: privat

Ihr Großvater und Berthas Ehemann, der Zimmermann Hermann, wurde 1933 inhaftiert und musste bis 1945 in der Effektenkammer des Konzentrationslagers Buchenwald arbeiten. Denken nach dem Zweiten Weltkrieg viele Familien lieber nur noch drei Generationen zurück, weil sie womöglich Angst vor unliebsamen Entdeckungen haben?

Die Deutschen haben tatsächlich ein sehr gespaltenes Verhältnis zur Ahnenforschung, was natürlich etwas mit dem Arier-Nachweis aus der NS-Zeit zu tun hat. Das hat den Leuten die Freude an der Ahnenforschung vergällt. Heute könnten wir das neu und unverkrampfter angehen, aber man sollte auch wissen, dass Stammbaum Plattformen wie MyHeritage auch deswegen entstanden sind, damit Überlebende des Holocaust die Möglichkeit hatten, weltweit nach ihren Verwandten zu suchen.

 Der Buchtitel „Gebt mir etwas Zeit“ war der Wahlspruch des Hutmachers Cornelis Kerkeling aus dem Jahr 1667 am Haus Herengracht 327 in Amsterdam. Sie vermuten, dass der Laden ein getarntes Bordell war. Wie wahrheitsgetreu sind die Romanpassagen, die sich mit autobiographischen Kapiteln abwechseln?

Alles basiert auf Fakten aus Urkunden, Verträgen oder Urteilen. Ich weiß genau, wann das Haus in Amsterdam fertiggestellt wurde.  Ich weiß, wann Gerrit Kerkelingh den Wein aus Portugal nach Rotterdam verschifft hat. Ich weiß sogar, wie viele Fässer. Ich weiß, wann er sich verschuldet hat, wann er einen Kredit aufgenommen hat, wann er geheiratet hat, wann seine Kinder getauft wurden, auf welche Schule sie gegangen sind und wer in seinem Hause ein und aus ging. Fiktiv sind nur die Charaktere und das, was ich zwischen den Zeilen schreibe. Die Gicht habe ich Gerrit angedichtet. Auf seinem Porträt, das sich auch im Buch findet, dachte ich, der sieht aus, als hätte er Gicht.

„Ich mag die Düsseldorfer. Die sind immer so ein bisschen kokett und halten sich für etwas Besseres.“ Hape Kerkeling

Süße Speisen aus dem Goldenen Zeitalter

Nonnenfürze aus Amsterdam

Eine herzhafte, süße Nascherei, für die ein Brotteig mit Milch, Butter, Ei, Salz und Zucker zu einem schmalen Teigstrang geknetet, anschließend zu einem Knoten geformt und in heißem Öl frittiert und dann in Zucker gewälzt wird.

Hurendrecklein – eine Rotterdamer Spezialität

Runde Beignets aus einem Mehlteig mit Eiern und einem Herz aus Birnengelee. Der Teig mit der Füllung wird in wallendem Fett gesiedet und danach in geschmolzenen Zucker getaucht.

Im autobiographischen Teil erzählen Sie von Ihrem Besuch der Schwulenbar „April“1987 in Amsterdam, wo Sie Ihre große Liebe, das Fotomodel Duncan, kennenlernten, der kurz nach seinem 30. Geburtstag an Aids starb. Warum lassen Sie den Leser so nah an sich ran?

Ich habe mich noch einmal in dieses Trauma reingestürzt, weil ich in meinem Buch „Der Junge muss an die frische Luft“ erlebt habe, dass wenn man sich einem Trauma stellt, indem man es schriftlich in eine Form und Fassung bringt, man das Ganze gewissermaßen bannt und es für einen selbst beherrschbarer macht.

Sie waren schon als Kind Kabarettist und Humorist und feiern am 9. Dezember nicht nur 60 Jahre Hape Kerkeling, sondern auch 40 Jahre Kamera- und Bühnenjubiläum als Comedian, Moderator, Entertainer, Schauspieler, Sänger, Autor, Parodist und Kabarettist. Hat sich Ihr Humor im Laufe der Jahre verändert?

Ich lache nach wie vor über dieselben Sachen, über die ich immer schon gelacht habe. Daran hat sich nichts verändert. Allerdings stelle ich manchmal mit Erschrecken fest, dass Menschen, die nach 2000 geboren wurden, sich schwerer tun mit dem Lachen. Vielleicht unterschätzen wir, wie hart das Leben für diese Generationen ist.

 Mit Ihrem Großvater, dem Zimmermann Hermann Kerkeling, teilen Sie nach eigenem Bekunden das Misstrauen gegenüber der Menschheit. Was macht Sie aktuell misstrauisch?

Meine Großeltern haben in der Zeit von 1933 bis 1945 sehr viel Verrat erlebt. Sie sind gemieden worden. Ihr Freundeskreis wurde immer kleiner. Es gab immer weniger Menschen, auf die sie sich verlassen konnten, so dass sie mit wenigen Freunden in die Nachkriegszeit gestartet sind. Diese Skepsis gegenüber der Menschheit haben sie sowohl ihren Kindern als auch ihren Enkelkindern mitgegeben. Ich liebe die Menschen und vor allem mein Publikum, aber ich begegne bestimmten Entwicklungen mit großer Skepsis. Und das, was gerade in Deutschland passiert, zeigt mir, dass ich zu Recht skeptisch bin und misstrauisch bleibe.

Sie sind Düsseldorfer des Jahres 2024 in der Kategorie Lebenswerk. Hat das Ihre Beziehung zur Landeshauptstadt intensiviert?

Ich fühle mich tatsächlich als Düsseldorfer. Ich habe fast 30 Jahre in Düsseldorf gelebt, am Burgplatz, auf der Berliner Allee, auf der Hohe Straße, sogar in Lohausen. Düsseldorf hat für mich eine ähnliche Bedeutung wie Amsterdam. Ich mag das Offene, das Weitherzige, das lockere Rheinische und wie der Rhein majestätisch durch Düsseldorf seine Schleife zieht.

Und ich mag die Düsseldorfer. Die sind immer so ein bisschen kokett und halten sich für etwas Besseres, wissen aber, dass sie nichts Besseres sind, weil alle Düsseldorfer eigentlich aus Korschenbroich kommen, machen wir uns da nix vor (wechselt die Stimme zu Horst Schlämmer).

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Hape Kerkeling

Von wegen deutsch. Genetisch ist Hape Kerkeling eine wilde Mischung: 68 Prozent Skandinavier, 14 Prozent britisch, 13 Prozent Balkan und Osteuropa und 4 Prozent Italien. Wäre seine Großmutter Bertha nicht unehelich geboren, stünde er auf Platz 111 der britischen Thronfolge. Aktuell arbeitet er an einem Kinoprojekt.

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