Zum gestrigen Ständehaus Treff im K21 wurde Cem Özdemir, der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, vom Bundeskriminalamt gefahren. Sonst hätte er aus Brüssel, wo die Bauern ihrem Unmut Ausdruck gegeben hatten und mit hunderten belgischen Traktoren bis in Brüsseler Europaviertel vordrangen, nicht mehr pünktlich geschafft. Damit hatte Moritz Döbler, Chefredakteur der Rheinischen Post, gleich eine Steilvorlage für seinen Polit-Talk. Der Talkgast wirkte gefasst und saß ab dann vollkommen entspannt im Sessel. Bei Cem Özdemir, der sich selber als „Produkt des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens von 1961“ bezeichnet und als Kind einer Gastarbeiterfamilie auf der Schwäbischen Alb aufwuchs, kommen die Proteste der Bauern schon als spezifische Proteste gegen Grün an. Das bekannte er im Gespräch, ebenso wie er einräumte: „Diese Ampel macht wahrlich vieles falsch.“

Vegetarier aus Überzeugung
Özdemir erzählte den 400 Gästen, warum er Vegetarier wurde. Als Kind war er bei Tageseltern, die direkt neben einem Schlachthof wohnten. Cem sah jeden Tag Schweinehälften. Das beeinflusste ihn so stark, dass er mit 17 Jahren Vegetarier wurde. Sein Vater, der aus der Landwirtschaft kam, und neben seinem Fabrikjob am Wochenende noch an einer Tankstelle arbeitete, damit ein Stück Fleisch an besonderen Tagen auf den Tisch kam, kann das bis heute nicht nachvollziehen. Sensibler waren die Gastgeber, die Rheinische Post Mediengruppe, die erstmalig beim 97. Ständehaus Treff ein vegetarisches Menü servierte – bei dem alle Gäste die rote Bete lobten.

Ein Plädoyer für den Artenschutz
Der Bundesminister, der seine Karriere als Erzieher begann und dann Sozialpädagogik studierte, plauderte gerne und viel – auch über die Landwirtschaft. Özdemir weiß heute, dass sein Gemüse Tiere braucht, weil die Tiere den Wirtschaftsdünger produzieren. Er macht sich stark dafür, dass Landwirte Artenschutz betreiben und möchte für diesen Einsatz ökonomische Anreize setzen. Sein Credo: „Wir müssen der Tierhaltung eine Zukunft geben.“ Für die Polarisierung der Gesellschaft macht der Politiker viele Faktoren verantwortlich: das durch die Treuhand nicht so gut zusammengewachsene Ost- und Westdeutschland, die Coronakrise und den Ukrainekrieg.

Ein Gegenmittel gegen den Fachkräftemangel hatte er auch parat: Man müsse den Bildungserfolg von den Herkunftsfamilien entkoppeln. Um das zu gewährleisten, fordert er eine verbindliche Sprachstandsmessung im Kindergartenalter. Werden die Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen eingeschult, sei der Zug bereits abgefahren. Mit Düsseldorf verbindet der Schwabe viele Freunde, Fortuna und er geht gerne auf Konzerte der Toten Hosen. Als hätte Campino das geahnt, saß er mit den beiden Bandmitgliedern Andi und Breiti im Publikum.

Fotos: © Meike Schrömbgens

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