„Zeig mal deine Hände, die sind kleiner als meine,
Damit kommst du besser in die Ecken zum Putzen“,

sang Helge Schneider 1993 in „Es gibt Reis, Baby“ und keine(r) regte sich auf. Ist es wirklich Zufall, dass es „die Sauberkeit“ und „die Ordnung“ heißt, aber „der Schmutz“? Wir denken ja, aber darum geht es in der Genderdebatte nicht. Die ZOO:M-Redaktion stellt im zweiten Teil ihrer Frauenserie zwei Unternehmerinnen vor, die zupacken, wo andere kapitulieren.

Die Tatortreinigerin

 © Alexander Vejnovic, das-fotostudio-duesseldorf.de

Sie kommt, wenn das Leben gegangen ist. Wo andere sich mit Grausen abwenden, zieht Antje Große Entrup ihren Ganzkörperschutzanzug, Handschuhe und eine Atemschutzmaske an und macht sich an die Leichenfundortreinigung. Sie reinigt und desinfiziert Gefängniszellen, nimmt Schienen- und Zugreinigungen nach einem Gleissuizid vor oder macht in Messie- und Animal-Hoarding-Wohnungen klar Schiff. Ein
echter Knochenjob auf einem Markt, der zunehmend von schwarzen Schafen bevölkert wird.

Ihre erste Leiche sahen Sie mit sechs oder sieben Jahren. Ich zitiere aus Ihrem Buch: „Da lag schräg auf dem Bett ein aufgepumptes Ding in Lila. Die Wände um das Bett waren gesprenkelt mit dunklen Flecken.“ Hatte dieser tote Nachbar etwas mit Ihrer Berufsfindung zu tun?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe mich immer gefragt, wer sich eigentlich kümmert, wenn jemand gestorben ist. Mit vollständigen Leichen werde ich in meinem Beruf eher selten konfrontiert, aber natürlich weiß ich nach 21 Jahren Tatortreinigung ganz genau, dass es von der Kleidung und der Sonneneinstrahlung abhängt, wie schnell ein Körper aufbläht. Bei Baumwollkleidung ist der Verwesungsprozess etwas langsamer. Aber wenn jemand 24 Stunden tot in einer Dachgeschosswohnung liegt, kann ich nicht mehr sehen, welche Hautfarbe er ursprünglich gehabt hat, es ist alles schwarz. Aber mein Tätigkeitsfeld ist nicht, was vom Menschen übrigbleibt, das sind die Knochen für den Bestatter, sondern was von ihm in den Wohnungen übrigbleibt. 

Und was bleibt da übrig? 

Eine schwarze Masse inklusive Öl, Blutplasma und Körperfett und das nicht nur an der Stelle, wo der Mensch gestorben ist. Die schwarze Masse, die wohl aus Mikroorganismen besteht, zieht die Wände hoch. Die Schädlinge kommen sofort. Bei günstiger Witterung können die Tiere schon Minuten nach dem Tod ihre Eier auf einer Leiche ablegen und je nach Temperatur schlüpfen die Maden schon nach 24 Stunden. Schmeißfliegen riechen Tote kilometerweit. 

Ist Leichengeruch tatsächlich süßlich?  

Nein, das ist ein Ammenmärchen. Stellen Sie sich eine Biotonne mit Rasen und Abfällen vor, die eine Woche in der Sonne gestanden hat, so riecht das. Und wenn wir schon inmitten der wenig appetitlichen Themen sind: Als ich mich gerade selbstständig gemacht hatte, wollte die Polizei nicht mit mir zusammenarbeiten. Sie hat mich sogar belächelt, von wegen kleine Frau und Ungeziefer und so. Aber als ich dann eine Badewannenleiche, die drei Monate in der Badewanne lag und aussah wie 120 Liter Grützwurst, mit einem Literbecher durch ein Sieb gefiltert habe, sah das auf einmal ganz anders aus und ich wurde zu Einsätzen angefordert.

Sie sind Informatikerin und waren 13 Jahre ein gut bezahltes Fotomodel in Berlin und London. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Deutschlands erste Tatortreinigerin zu werden? 

Das Thema hat mich nie losgelassen und ich wollte etwas Handfestes machen. Es war in der Modewelt so einfach, in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen und sich alles leisten zu können. Als ich mich selbstständig machte, gab es den Beruf noch gar nicht. Ich habe ihn im Jahr 2000 quasi erfunden und bis 2007 war ich die einzige Tatortreinigerin bei Google. Das war harte Arbeit. Ich bin Autodidaktin und habe im Keller mit Schweineblut experimentiert. Ich habe mir den Rat von Rettungssanitätern, Rechtsmedizinern und Hygienespezialisten geholt und ein Praktikum in der Pathologie absolviert. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Laboratorien habe ich Reinigungsmittel teilweise für meine Arbeit entwickeln lassen. Dann habe ich zwei Jahre lang gekämpft mit Genehmigungsanfragen, habe Kontakte zu Ordnungs- und Sozialämtern, zur Polizei und zu Bestattungsunternehmen geknüpft. Und dann war es soweit. 2002 hatte ich meinen ersten Einsatz. Ein Mann hatte sich mit einer Schrotflinte durch einen Schuss in die Mundhöhle getötet. In solchen Fällen finden Sie Schädelknochen und Gehirnmasse auch in anderen Zimmern. Innerhalb von 48 Stunden konnte ich das Zimmer frisch renoviert mit neuem Teppichboden der Witwe übergeben. 

Bjarne Mädel schrubbt als Heiko „Schotty“ Tatorte. Von Renovierung ist in der Serie „Der Tatortreiniger“, die von 2011 bis 2018 lief, nie die Rede. Sind den Produzenten viele handwerkliche Fehler unterlaufen? 

Viele verstehen nicht, dass das Comedy ist und mit der Arbeit am Tatort herzlich wenig zu tun hat. Wir treffen nicht auf Menschen in den Wohnungen. Das möchte auch keiner sehen und außerdem muss man sich auch vor Infektionen schützen, vor HIV, Hepatitis, MRSA und jetzt auch vor Corona. Beruflich hat mir die Erfolgsserie „Schotty“ sogar geschadet, weil viele auf den Zug aufgesprungen sind und sich Tatorteiniger nennen. Ausbildungsstätten locken mit teuren Wochenendseminaren, stellen Teilnahmebescheinigungen aus, die sie Zertifizierungen nennen. Auch 21 Jahre nach der Gründung meines Unternehmens Schendel Tatortreinigung ist Tatortreiniger immer noch kein geschützter Beruf, obwohl ich mich seit Jahren dafür einsetze, dass es hier eine spezielle Ausbildung gibt wie in den USA oder wenigstens ein Fachsiegel von Handwerkskammern oder Berufsgenossenschaften. Noch immer erkennt die Gebäudereiniger-Innung den Beruf nicht an, weil die Handwerkskammer nicht mitmacht, meine Beiträge aber einfordert.  Ich hätte gerne eine Ausbildung absolviert und meinen Meister als Tatortreinigerin gemacht. Noch nicht einmal Richtlinien gibt es für den Beruf. Es gibt Firmen, die für 27 oder 28 Euro die Stunde anrücken, das ist einfach nicht machbar. Aber ich habe mittlerweile sechs Subunternehmer, die ich angelernt habe. Und ich werde als Gutachterin für die Arbeit von zertifizierten Tatortreinigern gerufen, wenn es Klagen von Kunden gibt, weil es immer noch stinkt. Wohnungen stinken nur, wenn es noch Rückstände gibt. Da frage ich mich oft, was haben die eigentlich sauber gemacht? Ich habe in 21 Jahren nur drei oder vier Reklamationen gehabt und die nehmen wir sehr ernst. Ich bin Perfektionistin.

Was fordern Sie?

Dass zumindest die Prüfung als staatlich anerkannter und geprüfter Desinfektor die Voraussetzung für den Beruf sein sollte. Ich bin bei der Bezirksregierung Düsseldorf registriert und meine Mitarbeiter desinfizieren gemäß dem deutschen Infektionsschutzgesetz (IfGS). Dafür muss man alle drei Jahre eine neue Prüfung ablegen, damit man immer up to date ist. Das ist wichtig, gerade jetzt mit der Pandemie.

Apropos Pandemie, waren Sie von der Corona-Krise betroffen? 

Das kann man wohl sagen. Ich habe ein Jahr lang keine neuen Arbeitsschutzanzüge bekommen. Ich habe den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angeschrieben, der nur sein Bedauern ausdrückte, mir aber nicht half. Mir sind Aufträge im sechsstelligen Bereich weggebrochen. Während der Pandemie habe ich Container aus China desinfiziert. Es kamen auch Anfragen von großen Unternehmen. Ich habe in Lissabon gearbeitet und Edelboutiquen in Frankfurt und München desinfiziert. Trotzdem war es ein Einbruch. Ich hatte 51 Mitarbeiter, jetzt habe ich acht. Ich kam an kein Desinfektionsmittel mehr ran, nur an Ethanol. Sie können aber nicht in einem Baumarktanzug und Alkohol zum Desinfizieren an einen Leichenfundort oder in eine Messie-Wohnung gehen. Noch immer ist die Situation im Einkauf desaströs. Ein Paar Handschuhe kostet 6,70 Euro im Einkauf und die Schutzanzüge sind zwei- bis dreimal so teuer wie zuvor und qualitativ schlechter. 

Sie reinigen und desinfizieren auch Messie- und Animal-Hoarding-Wohnungen, dazu gibt es auch die eine oder andere Serie im Privatfernsehen. Wie beurteilen Sie dieses Format?

Das ist ziemlicher Quatsch. Diese Menschen müssen weiter betreut werden. Ich räume deren Wohnungen komplett aus. Die brauchen einen Cut, danach bekommen sie von mir einen 12-Monats-Plan, und der wird regelmäßig kontrolliert. Letzteres mache ich übrigens ehrenamtlich. Die Wohnungen, in die ich komme, sind zu 98 Prozent keine sauberen Wohnungen, auch die mit den Leichenfunden nicht. Messie-Wohnungen sind fast immer von Männern, während Animal-Hoarding eher ein Problem von Frauen ist. Ich hatte eine bezaubernde ältere Dame aus Stuttgart, die sich in den Kopf gesetzt hatte, Tauben zu retten. Sie hat dann die Fenster ihrer Jugendstil-Altbauwohnung offen gelassen. Die Vögel haben da gebrütet, alles war voller Kot und Nestern. Die Frau konnte kaum noch atmen. Ich musste das Gesundheitsamt anrufen. Im Kühlschrank fand ich eine Leberwurstdose von 1983. Eine Ärztin in Düsseldorf zog immer in eine andere Wohnung, wenn ihre Wohnung voll war. Mittlerweile lebte sie im Auto vor ihrer Praxis. Ich habe drei Tage Schädlingsbekämpfung betrieben und Gebisse von Nagetieren im Badezimmer gefunden.  

Antje Große Entrup (geb. Schendel)

Antje Schendel wurde in Ostberlin geboren. Ihr Vater war nierenkrank, ihre Mutter erkrankte an Multipler Sklerose. Antje wollte Kunstturnerin werden. Mit sechs Jahren bekam sie Gelenkrheuma. Mit 14 Jahren ließen sich ihre Eltern scheiden und sie bewarb sich bei einem Modeinstitut in Ostberlin. Antje Schendel wurde Miss Marzahn und Miss Deutschamerika, machte parallel eine Ausbildung zur Informatikerin. Sie war 17, als die Mauer fiel. Von ihrem Begrüßungsgeld kaufte sie eine große Packung Persil. 

Mit 21 Jahren bekam sie eine Tochter, erfuhr körperliche Gewalt, floh nach England und arbeitete als Model. Als ihre Mutter an Krebs erkrankte, kam sie zurück nach Berlin. Wieder lernte sie den falschen Mann kennen, zog mit ihrer Tochter zu ihm nach Krefeld. Dort arbeitete sie als Praxis-Managerin und machte sich dann als Tatortreinigerin selbstständig. 2003 bekam sie die Diagnose Brustkrebs. 2012 heiratete sie Andreas, der ein Speditionsunternehmen führt, und lebt mit ihm und ihren Kindern (7 und 11 Jahre) im Münsterland, ihre erste Tochter lebt in Düsseldorf. Aktuell absolviert Antje Große Entrup eine Ausbildung zur Nachlassverwalterin. „Ich möchte mich mehr um die Angehörigen kümmern. Nach wichtigen Unterlagen und Dokumenten habe ich immer schon gesucht und die Wohnungen sehr gründlich nach materiellen und ideellen Hinterlassenschaften untersucht. Für mich schließt sich hier der Kreis.“

Ordnung fängt im Kopf an

Sie nennen sich Aufräumcoach, Ordnungsspezialisten und -experten oder Professional Organizer. Was in den USA, Kanada und den angelsächsischen Ländern als Beruf seit Jahren etabliert ist, setzt sich allmählich auch in Deutschland durch. Und so gesellen sich zu den Coaches für Lebensberatung, fürs Business, fürs Personal- und Mental-Coaching und zu den systemischen und agilen Coaches auch die Aufräumcoaches. Wie es ist, bei Kunden in die letzten Kramecken zu schauen, das fragten wir Ursula Kittner. Sie hat sich vor sieben Jahren als Ordnungsexpertin in Düsseldorf selbstständig gemacht.

Bei gezielten Aufräumaktionen kommt mir sofort die elfengleiche und medial gehypte Marie Kondo in den Sinn. Sind Sie die bodenständigere, deutsche Version der japanischen Aufräum-Queen? 

In gewisser Weise schon, aber eben auf meine Art und Weise. Bei Marie Kondo funktioniert Aufräumen so: Der Inhalt des Kleiderschranks oder was sonst aufgeräumt werden soll, wird auf einen Haufen geworfen. Dann nimmt der Besitzer jedes Teil einzeln in die Hand und verabschiedet sich von den Dingen, der Kleidung, den Büchern, dem Papier- und Kleinkram und den Erinnerungsstücken. Das ist sehr japanisch, weil die Japaner mit toter Materie anders umgehen als wir. Ich gehe den Aufräumprozess recht pragmatisch an. Bei vielen Menschen löst ein riesiger Haufen im Zimmer eine Art Schockstarre aus. Eine Methode hat sich sehr bewährt: Wir gehen gemeinsam durch das Haus oder durch die Wohnung und nehmen uns erst einmal einen kleinen Bereich vor. Ich kenne übrigens niemanden, der die Methode von Marie Kondo komplett durchgezogen hat. Bei vielen beschränkt es sich am Ende auf die Falttechnik. 

Ab welchem Unordnungsgrad braucht man denn überhaupt Hilfe von einem Profi? Viele kommen doch recht gut klar in ihrem Chaos.

Das Chaos zu brauchen, ist eine sehr beliebte Ausrede. Und natürlich hat jeder Mensch ein anderes Empfinden von Ordnung. Aber wir reden hier von Fällen, in denen Menschen sich nicht mehr in ihr Arbeitszimmer trauen. Manche fangen dann an, Dinge doppelt zu kaufen, weil sie keinen Überblick mehr haben. Und es ist auch ein Irrtum, zu glauben, dass es „nur“ ums Aufräumen geht. Hinter der Unordnung verbergen sich sehr unterschiedliche Gründe. Das kann eine Trennung sein oder dass zwei Haushalte zusammengelegt wurden und auf einmal alles in vielfacher Ausfertigung da ist. Man weiß nicht, welchen von den sechs Pfannenwendern, den Toastern, Eierkochern etc. man nun behalten möchte. Und nun stellen Sie sich vor:  Sie bekommen einen Burnout oder sonstige gesundheitliche Probleme, dann haben Sie enorme Schwierigkeiten ihren Haushalt überhaupt in Schuss zu halten. Ein Kunde buchte mich, weil er bis zu seinem 50. Lebensjahr alles aufgeräumt haben wollte. Er hatte seine krebskranke Frau bis zu deren Tod gepflegt und konnte sich nicht von ihren Sachen trennen. Leider auch nicht von ihren Büchern, die nikotingeschwängert waren. Nach dem Ausmisten besserten sich seine Atemprobleme und seine Lebensqualität.

Das klingt irgendwie auch nach Seelenhygiene …

Jeder Aufräumprozess startet im Kopf. Vor dem physischen Aufräumen muss erst einmal Klarheit im Kopf entstehen. Das war auch der Grund, warum ich noch eine Ausbildung im ganzheitlichen Coaching absolviert habe. Dabei bin ich mir immer meiner Grenzen bewusst. Ich kann keine Beratung und keine Psychotherapie leisten, weshalb ich im Übrigen auch keine Messie-Wohnungen ausmiste. Was ich anbiete ist eine sehr persönliche Unterstützung und Begleitung auf dem Weg zur inneren und äußeren Ordnung. Dazu biete ich Lösungen an und stelle die richtigen Fragen. Was man nicht unterschätzen sollte: Durchs Aufräumen kommen andere Dinge nach oben, da löst sich ganz viel und dabei unterstütze ich meine Kundinnen und Kunden tatkräftig mit dem Karton in der Hand.

Es gibt das Portal ordnungsservice.com. Dort kann man nach Postleitzahlen einen Ordnungspartner oder eine Ordnungspartnerin suchen. 28 sind es insgesamt, nur zwei davon sind Männer. Nun zu den Kunden. Wer schafft mehr Ordnung? Männer oder Frauen?

Meine Angebote buchen zu 98 Prozent Frauen. Aber auch Kleinunternehmen nehmen meine Dienstleistung in Anspruch, z. B. als Unterstützung fürs Homeoffice. In diesen Fällen bin ich dann ganz nah an meiner ursprünglichen Gründungsidee dran: Die sah so aus, dass ich auf Zeit in Unternehmen gehen wollte und dort einerseits meine 20-jährige Erfahrung als Personalerin anbieten wollte, um digital aufzuräumen, und andererseits als Ordnungscoach gleich auch physisch klar Schiff machen wollte. Denn ich habe es selbst oft erlebt, dass ich an einen neuen Arbeitsplatz kam und auf dem Schreibtisch, in den Schränken und Schubladen noch Unterlagen und Krimskrams vom Vorgänger waren. Aus dieser Geschäftsidee entwickelte sich dann auf die vielen Nachfragen sehr schnell ein analoger Service für Privatkunden. Da ist der Bedarf offensichtlich größer.

Wie haben Sie die Coronazeit überstanden bzw. wie arbeiten Sie aktuell?

Im ersten Lockdown hatte ich einen erheblichen Einbruch. Termine wurden abgesagt und neue Anfragen kamen keine. Aber ich hatte Glück, dass ich bereits im Herbst 2019 Webinare und Onlinekurse entwickelt hatte. Insofern war ich digital schon sehr gut aufgestellt. Mittlerweile biete ich Selbstlernkurse ohne Kontakt an. Da kann man sich mit Videos, Texten, Arbeitsblättern und Checklisten durch den Kurs führen lassen – ideal für Menschen, die nicht möchten, dass man zu ihnen nach Hause kommt. Aber es gibt auch Online-Live-Kurse über sechs Wochen. Dazu gehören die Inhalte der Selbstlernkurse, die Live-Vorstellung der einzelnen Module und drei Aufräumsessions über drei Stunden über eine Videoplattform. Viele Teilnehmer sagen, dass sie nie gedacht hätten, was man alles in drei Stunden schaffen kann. Manche zeigen nachher voller Stolz ihre Aufräumergebnisse in der Facebook-Gruppe. 

Corona hat zu einem ausgeprägten Aufräumverhalten und einem erhöhten Sperrmüllaufkommen geführt, also eigentlich eine gute Zeit für Sie als Ordnungsexpertin?

Auch hier war die Pandemie wie in vielen anderen Bereichen der berühmte Brandbeschleuniger. Bei vielen Menschen sammelt sich im Laufe der Jahre ein Haufen von Gebrauchsgütern an. Und dann erbt man vielleicht auch noch. Irgendwann wird es dann zu viel. Man empfindet die Dinge nur noch als Bürde und Last. Eine Frau rief mich an, weil sich ihr Mann von nichts trennen konnte. Am Ende trennte sich das Ehepaar. Ein alleinerziehender Vater buchte mich, weil die Kinderzimmer im Chaos versanken. Wenn man mit seinem Zuhause und der Ordnung der Dinge dort nicht im Einklang ist, dann löst das Stress aus. Wenn ich nach Hause komme und jedes Mal denke: Ich kann mich jetzt nicht entspannen und auf die Couch setzen, weil hier noch so viel zu tun ist und alles im Chaos versinkt, dann ist mein Zuhause kein Ort der Erholung. Dabei ist das Zuhause der schönste und beste Erholungsort, den wir haben, wenn man von der freien Natur einmal absieht. 

Also gehen Sie nach Ihren Kundenbesuchen einfach zu sich in Ihr aufgeräumtes Zuhause? 

Nein, da brauche ich erst einmal frische Luft und gehe in den Wald. Ich sehe und höre bei meiner Arbeit oft sehr persönliche Angelegenheiten und bekomme viel Erinnerungs- und Trauerarbeit mit. Da fließen viele Energien und auch schon mal Tränen. Das ist dann sehr befreiend für meine Kunden. Aufräumen befreit nicht nur physisch von unnötigem Ballast, sondern hilft auch der Psyche.

Ursula Kittner

Die Ordnungsexpertin ist Podcastfreundin von Barbara Schöneberger und als Expertin in Funk und Fernsehen zu sehen. Sie träumt von einer Kittner-Kollektion und dass „kittnern“ ein Synonym für „aufräumen“ wird. Ihr Podcast hat knapp 200.000 Downloads, ihre Facebook-Gruppe „Ordnung im Alltag – einfach.aufgeräumt.leben“ über 4.400 Mitglieder. Kittner wird es schnell langweilig. Deshalb kündigte sie ihre Festanstellung im Öffentlichen Dienst, arbeitete für einen Personaldienstleister, eine Werbeagentur und in Personalabteilungen verschiedener Firmen. „Mitdenken war nicht erwünscht“, so ihr Resümee. 2009 entwickelte sie ihr erstes Logo. 2014 ging sie als Ordnungsexpertin an den Start und fühlt sich seitdem viel aufgeräumter.

Susan Tuchel

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