Andrea aus Düsseldorf traut sich ohne ihren Assistenzhund Henry nicht vor die Tür. Henry ist speziell für die Unterstützung bei psychosozialen Beeinträchtigung ausgebildet und hilft Andrea unter anderem in Angst- und Panikzuständen. Ihr dreijähriger Labrador-Retriever begleitet sie auf Schritt und Tritt, seitdem hat sie große Fortschritte auf ihrem Weg zurück ins Leben und in die Gesellschaft gemacht. „Ich hatte mich fast komplett isoliert“, berichtet sie.

Andrea und Henry bilden eine „Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaft“ und sind vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales anerkannt. Dennoch werden sie immer wieder regelrecht drangsaliert. Viele Menschen und sogar Amtsträger wissen offenbar nicht, dass es neben Blindenführhunden noch viele andere Arten von Assistenzhunden gibt, die mit Sonderrechten verbunden sind. Bereits im Jahr 2022 trat die Assistenzhundeverordnung (AHundV) in Kraft, welche u. a. die Ausbildung sowie die fünf Assistenzhundearten definiert: Blindenführhund, Mobilitätsassistenzhund (bei motorischen Beeinträchtigungen), Signalassistenzhund (bei Beeinträchtigungen des Hörvermögens), Warn- und Anzeige-Assistenzhund (z. B. bei Epilepsie, Diabetes etc.) und PSB-Assistenzhund (bei psychosozialen Beeinträchtigungen, z. B. PTBS, Depressionen, Angststörungen u. v. m.).

Was Assistenzhunde leisten

Für Menschen mit Handicap sind speziell ausgebildete Hunde eine wichtige Hilfe im Alltag. Sie unterstützen bei verschiedenen Aufgaben und ermöglichen ihren Besitzerinnen und Besitzern Unabhängigkeit und Lebensqualität. Sie tragen nicht nur dazu bei, physische Barrieren zu überwinden, sondern schaffen auch emotionale Unterstützung und helfen dabei, das Selbstbewusstsein ihrer Menschen zu stärken. In vielen Situationen fungieren die Vierbeiner somit als verlässliche Partner, die im Alltag Aufgaben übernehmen und gleichzeitig zu treuen Gefährten werden, die ein tiefergehendes Verständnis für die Bedürfnisse und Herausforderungen ihrer Frauchen und Herrchen entwickeln.

Tierische „medizinische Hilfsmittel“

„Die meisten wissen, dass es Blindenführhunde gibt, oft hört es mit dem Wissen dann aber auch schon auf“, sagt Andrea. Seit Henry ein Geschirr mit der Aufschrift „Assistenzhund“ und die Plakette vom Ministerium trägt, wird sie allerdings häufig interessiert angesprochen. „Eigentlich sind die Nachfragen ja etwas indiskret, auf der anderen Seite freue ich mich über das Interesse und kläre gerne auf“, sagt sie. „Das Problem ist, dass die Menschen es mir nicht direkt ansehen, dass ich auf die Hilfe meines Hundes angewiesen bin“, erklärt sie. Ihr Assistenzhund Henry gibt ihr draußen Sicherheit, erkennt Erregungszustände oft schon, bevor sie es tut und hilft ihr in Panikzuständen. Zudem hat Henry ihr im Alltag wieder eine Struktur gegeben und nicht nur ihre gesellschaftliche Isolation beendet, sondern auch ihr Selbstbewusstsein und ihre Stimmung deutlich verbessert.

Andrea und ihr Assistenzhund Henry, den sie mit Hilfe einer Trainerin selbst ausgebildet hat. Fotos: Bernd Obermann

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Andrea Jacob, Assistenzhundebesitzerin

„Man sieht es mir nicht an, dass ich auf die Hilfe meines Hundes angewiesen bin.“

Problem Nr. 1: Assistenzhunde und die Leinenpflicht

Obwohl Henry gesetzlich von der Leinenpflicht befreit ist, wurde Andrea bei einem Spaziergang rüde von Mitarbeitern des OSD aufgefordert, Henry anzuleinen – obschon sie auf die Assistenzhund-Plakette am Ge- schirr verwies und ihren Ausweis zeigte.

„Die OSD-Mitarbeiter ließen das nicht gelten. Ich erhielt einen Bußgeld-Bescheid. Die ganze Situation war sehr belastend für mich. Hätte ich das auf sich beruhen lassen, hätte Henry einen Eintrag in der Akte“, erklärt Andrea. Sie legte Widerspruch und Beschwerde beim Ministerium für Verbraucherschutz, das das Landeshundegesetz regelt, ein. Das Ergebnis lässt hoffen: Ihr Fall wurde begutachtet und die Vorwürfe des OSD sollen fallengelassen werden. Es wurde sogar eine neue Verwaltungsvorschrift für OSD-Mitarbeiter erlassen. Mark Kreker vom Ministerium für Verbraucherschutz in einer E-Mail an Andrea: „(…) Grundsätzlich besteht weiterhin für Assistenzhunde, für die bislang nach dem Landeshundegesetz der Begriff der Behindertenbegleithunde verwendet wird, eine Aus- nahme von der gesetzlichen Anleinpflicht. (…).“

Problem Nr. 2: Mit dem Assistenzhund einkaufen

Auch im Supermarkt stößt Andrea immer wieder auf Barrieren. Obwohl der Zutritt für Assistenzhunde explizit erlaubt ist, wird sie immer wieder schikaniert, riefen Mitarbeiter einer großen Supermarkt-Kette sogar die Polizei, um sie und Henry entfernen zu lassen. „Ich stand im Supermarkt und wurde regelrecht von zwei Mitarbeitern bedroht. Ich wollte mit meinem Handy Hilfe holen und Zeugen haben, so startete ich einen Videocall mit einer Bekannten, da nahmen sie mir mit Gewalt das Handy weg. Ich war in blanker Panik“, erklärt Andrea. Sie kauert sich in Todesangst, die Menschen mit einer Angststörung bei Panikattacken verspüren, zwischen den Kühltheken auf den Boden. Henry legte sich über ihre Beine und sie krallte sich in sein Fell. Normalerweise irritiert Hunde ein solches Verhalten, aber Henry ist speziell darauf trainiert. Die Polizei führte Andrea als unbequeme Kundin nach draußen. Zwar haben Lebensmitteleinzelhändler natürlich grundsätzlich Hausrecht, die Duldungspflicht für Assistenzhunde steht jedoch darüber.

„Im Nachhinein hat mir die Supermarkt-Kette einen Schadensersatz von 1.000 Euro in Form von Gutscheinen angeboten, wollte mir aber gleichzeitig verbieten über den Vorfall zu sprechen“, sagt Andrea. Darauf hat sie sich nicht eingelassen.

Es gibt aber auch positive Erlebnisse. „In einem Markt, wo man uns kennt, werden wir freudig von den Mitarbeitern begrüßt“, erzählt Andrea.

Wo Diskriminierung beginnt

Andrea ist kein Einzelfall. Immer wieder suchen Menschen bei der
Antidiskriminierungsstelle des Bundes Rat, weil ihnen mit ihrem Assistenzhund der Zutritt zu allgemein zugänglichen öffentlichen oder privaten Gebäuden verwehrt wird. Laut Antidiskriminierungsstelle kann „bei der Verweigerung des Zutritts mit einem Assistenzhund eine Benachteiligung gemäß § 7 Absatz 1 All- gemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vorliegen“. Das AGG verbietet Benachteiligungen u. a. aufgrund einer Behinderung.

Insbesondere stehen dem Betreten von Lebensmittelgeschäften mit Assistenzhunden keine guten Gründe entgegen, wie auch schon das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in einer Auslegungserklärung festgestellt hatte. Ferner spricht laut der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft aus fachlicher Sicht in aller Regel nichts gegen die Mitnahme von Assistenzhunden in Krankenhäuser oder andere medizinische Einrichtungen, wie auch das Robert-Koch-Institut bestätigt.

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