Der Düsseldorfer Ex-AfD-Funktionär Nicolai Boudaghi berichtet

Nicolai Boudaghi, Jahrgang 1991, wuchs in Düsseldorf und Essen auf. Der AfD tritt er unmittelbar nach ihrer Gründung im Jahr 2013 bei. Aus seiner Sicht ist die AfD damals noch eine konservative Partei von Unternehmern und Wirtschaftsprofessoren. Boudaghi schafft es in den Vorstand des AfD-Bezirks Düsseldorf, arbeitet fürden Fraktionsgeschäftsführer im Landtag und wird zum

Vize-Bundesvorsitzenden des Parteinachwuchses Junge Alternative für Deutschland (JA), einer heutenachgewiesen rechtsextremen Organisation gewählt. Im September 2020 tritt er aus der AfD aus.

Nicolai Boudaghi macht kein Geheimnis aus seiner ehemaligen AfD-Zugehörigkeit, ganz im Gegenteil. Gemeinsam mit ehemaligen Parteikollegen veröffentlicht er nach seinem Parteiaustritt das Buch „Im Bann derAfD“, in dem er Fragen nachgeht wie: Warum macht man über Jahre mit in einer Partei, in der derart verächtlich über Minderheiten geredet wird? In der sich Antisemiten tummeln, Rassisten und Menschen, die die Vernichtung der Juden durch die Deutschen kleinreden oder komplett infrage stellen? Wir trafen Nicolai Boudaghi im Café Greger am Düsseldorfer Medienhafen. Ineinem nachdenklichen Interview verriet er uns mehr über seine Motive, seinen Kampf gegen interne Strömungen in der AfD und seinen Ausstieg.

Warum wurden Sie Mitglied der AfD?
Ich war schon immer extrem politisiert und habe die Migrationspolitik der Bundesregierung schon 2013 kritisch gesehen. Und dann kam 2015 der große Flüchtlingsstrom. Du kannst einfach so eine Masse von Menschen nicht integrieren. Und wenn du eine Schulklasse hast mit 20 Kindern oder Jugendlichen aus Syrien oder der Türkei, dann ist es sehr schwierig ihnen zu vermitteln, was unsere westliche Kultur überhaupt ist.Wenn die Menschen hier hinkommen, fragen sie sich, wo sie sich denn überhaupt rein integrieren sollen. Auch hat mich von Anfang an sehr gestört, dass Leute mitgekommen sind, bei denen man nicht weiß, ob sie extremistisch sind. Deshalb bin ich in die AfD eingetreten. Am Anfang stand das Migrationsthema zwar nicht so stark im Fokus, aber man hat schon gemerkt, dass es bald eine Rolle spielen würde, weil es eine konservative Partei ist.

Was mir denn einfallen würde, Neger in die Partei zu holen, schrie mich ein AfD-Funktionär an. Die würden stinken und Bananen von den Bäumen pflücken.

Nicolai Boudaghi

Ex-AfD-Mitglied

Sie wurden dann Vorstandsmitglied und Vize-Bundesvorsitzender des Parteinachwuchses der JA, die heute als gesichert rechtsextrem gilt. Wann stellten Sie fest, dass etwas nicht stimmt?
Ich habe zwar immer gesagt, wir haben ein Migrationsproblem, aber ich habe das nie auf einer ethnischen Ebene betrachtet. Diese ethno-populistischen Tendenzen haben für mich schon vom Äußerlichen her keine Rolle gespielt. Es ist immer die Frage, wie definiert man überhaupt dieses Land, diese Kultur? Sagt man, Deutschsein definiert sich über kulturelle Merkmale, also dass man sich der Kultur zugehörig fühlt, oder definiert man es über dieAbstammung usw. Das ist ja eine uralte Debatte und die AfD hat irgendwann für sich entschieden, dass sie das eben über äußerliche Merkmale definieren möchte. Äußerliche Merkmale sind aber nicht veränderbar. Das heißt, man schließt grundsätzlich Menschen vom Diskurs aus, obwohl sie diesem Land positiv gegenüberstehen, nur weil sie sich phänotypisch unterscheiden. Grundsätzlich ist der Einfluss der Neuen Rechten dann über die Jahre hinweg gestiegen. Und dann hat man gemerkt, dass dieses Gedankengut und dieses Fundament, wie man Gesellschaftdenkt, immer mehr Einfluss in der Partei bekam.

Wie zeigte sich das konkret?
Ich hatte beispielsweise zwei Schwarze Frauen zu einem Stammtischtreff der JA eingeladen, weil ich derMeinung war, dass sie sehr gut integriert waren. Hinterher hat der Kreisvorsitzende der AfD mich angerufen und sehr deutlich gesagt, dass er „die nicht haben will und dass die Bananen von den Bäumen pflücken sollen“. Sprache hat auch immer etwas mit Bewusstsein zu tun, das zeigt sich z. B. daran, wie man sich in Gruppen äußert, was geduldet wird und was nicht. Wenn dann in irgendwelchen Facebook- oder WhatsApp- Gruppen Menschen abgewertet oder Juden beschimpft werden. Die Sanktionierung für solche Äußerungen war irgendwann nicht mehr da.

Was waren das für Äußerungen?
Dass das Frauenwahlrecht abgeschafft werden muss oder dass Schwarze in Käfige gehören und solche Sachen. Das hat etwas mit Milieu zu tun. Das ist auch im linken Milieu so, da werden zum Teil Polizisten abgewertet als Bullenschweine o. ä. Aber im rechten Milieu wird immer auf eine völkische Art und Weiseprovoziert. Ein Beispiel dafür ist auch eine Höcke-Rede 2017 in Dresden, in der er sich über dieFortpflanzungstypen von Afrikanern ausgelassen hat. Das war damals ein Riesenskandal kurz vor der NRW-Wahl. Wir lagen damals bei 13 oder 14 Prozent. Da war ich auch Landratskandidat. Danach sind  wir auf 7 Prozent runtergekracht.

Ich war in einer Partei mit Leuten, die Sätze gepostet haben wie: „Das einzige Ticket, das ich einem Flüchtling geben würde, wäre ein Express-Zug nach Ausschwitz-Birkenau:“

Nicolai Boudaghi

Ex-AfD-Mitglied

Sie haben gegen den Rechtsruck in der AfD angekämpft?
Ja, man hat mich immer Nazijäger in der JA genannt. Ich bin sogar bis zum Bundesvorstand gegangen, hatte einen Ordner mit gesammelten Screenshots aus Chat-Kommentaren etc. dabei. Nachdem wir einen ziemlich eskalativen Parteitag hatten, habe ich denen das vorgelegt. Passiert ist nichts. Das ist auch sicherlich ein Problem des Parteiensystems. Dass es schwierig ist, Leute aus Parteien auszuschließen.

Wie hängen die AfD und die Deutsche Burschenschaft zusammen?
Die Deutsche Burschenschaft ist sehr völkisch und sehr stark in der AfD vertreten, vor allem in der Jugendorganisation, der JA. Ich wollte die damals nicht dabeihaben, was sich schnell herumgesprochen hat. Und dann war ich für viele Leute sehr schnell das Feindbild.

Sind Ihre ehemaligen Parteifreunde heute noch in der AfD?
Die Leute, mit denen ich in der Partei befreundet war, sind durch die Bank weg bis auf einen ausgetreten.

Kann man in der AfD schnell Karriere machen?
Es ist relativ einfach in der AfD in ein Mandat zu rutschen, wenn du deine Klappe hältst und deine Arbeit in ihrem Sinne gut machst. Das ist mit vielen finanziellen Vorteilen verbunden. Bekommt man ein Mandat, kriegt man im Landtag sehr viel Geld und kann noch zusätzlich Leute anstellen, was einem eine gewisse Macht verleiht. Man kann sich irgendwo im Kreistag als Fraktionsvorsitzender oder als Fraktionsgeschäftsführer wählen lassen. Dann kann man seiner Freundin oder seinem besten Kumpel noch einen Nebenjob geben für 3.000 Euro. Man ist dann sehr schnell drin in einer Blase, fernab der Realität.

Die AfD ist voller Glücksritter – Menschen, die kurzerhand aufspringen, Einsatz zeigen und sich davon womöglich auch gewisse persönliche Vorteile versprechen.

Nicolai Boudaghi

Ex-AfD-Mitglied

Hat Sie auch das schnelle Geld gelockt?
Nein, für mich war Geld nie ein Thema. Ich habe mich weiterhin auf mein Studium konzentriert und nicht alles komplett in die Partei investiert.

Wie vollzog sich Ihr Ausstieg?
Bevor ich gegangen bin, als ich meine Posten abgegeben hatte, habe ich öffentlich Kritik geübt. Dabei ist ganz klar das Wort rechtsextrem gefallen. Die AfD mag das überhaupt nicht, wenn man das mit ihr in Verbindung bringt. Ich habe damals gesagt, es gibt rechtsextreme Strukturen und fertig.

Hat Ihre AfD-Zugehörigkeit Ihren weiteren beruflichen Werdegang erschwert?
Sagen wir einmal so: Sie war für meine Bewerbungen nicht unbedingt förderlich.

// Nicolai Boudaghis‘ Vater ist Iraner. Seine Familie stand an der Seite des Schah-Regimes. Als islamische Revolutionäre das Land 1979 übernahmen, floh er nach Deutschland. Seine Mutter kam als Kind aus Niederschlesien zuerst nach Hamburg, später nach Mettmann. Nach seiner Geburt trennten sich seine Eltern. Er blieb bei seiner Mutter in Mettmann, die als alleinerziehende Sozialarbeiterin nicht gerade privilegiert war.

// Sein Vater zahlte keinen Unterhalt. Aus Furcht, dass sein Vater ihn gegen seinen Willen in den Iran entführen könne, hat er seine Kindheit als schwierig in Erinnerung. Hinzu kamen die finanziellen Probleme.

// Nikolai Boudaghi geriet in eine Krise, ging nicht mehr in die Schule, lebte in einer Notunterkunft für Jugendliche. Erst nach drei Monaten gelang es ihm in eine Sozialwohnung im Essener Norden wieder zusammen mit seiner Mutter zu ziehen. In Bochum holte er zuerst seinen Haupt-, dann den Realschulabschluss nach undmachte Abitur. Er setzte sich mit dem Islam auseinander, der Religion seines Vaters und vieler Menschen im Essener Norden. Seine Ablehnung verfestigte sich und nahm später noch zu, als die Terroristen des Islamischen Staates in Syrien auch radikalisierte Muslime aus Deutschland einsetzten. Er demonstrierte gegen Salafisten und trat der islamkritischen Partei »Die Freiheit« bei. Hier suchte er Zugehörigkeit bis die Partei zur Heimat von Rechtsextremisten wurde.

// Anfang 2013 trat er aus der »Freiheit« aus und wurde Mitglied der gerade gegründeten AfD. Parallel absolvierte er ein Soziologie-Studium. 2020 verließ er die Partei. Bis heute ist er keiner anderen Partei zugehörig. Er arbeitet für eine Personalberatung und wohnt in Düsseldorf.

 

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