Östro 430 – Punk ist weiblich

Es war eine wilde Zeit in Düsseldorf, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Der Ratinger Hof platzte aus allen Nähten. Er war in dieser Zeit eine wichtige Keimzelle der deutschen Punk- und New-Wave-Szene. Hier wurde Pogo getanzt bis zum Umfallen und wieder Aufstehen und Punk zelebriert. Die große Offenheit dieser Szene sorgte für eine riesige Bandbreite, nicht nur in der Musik, sondern auch bei den Texten. Hier bewegten sich Bands wie Fehlfarben oder DAF.In diesem Umfeld entstand im Jahr 1979 die Band Östro 430. Gegründet wurde sie von Martina Weith, Bettina Flörchinger, Marita Welling und Monika Kellermann. Als erste reine Frauen-Punkband war Östro 430 eine Besonderheit und die vier jungen Frauen eroberten schnell einen festen Platz in der hiesigen Punkszene. 

Die Besetzung allein war schon alles andere als Mainstream: Keine Gitarren, dafür Saxophon, Keyboard, Bass und Schlagzeug, was einen völlig neuen, einmaligen Sound erzeugte. Ihren ersten Auftritt hatten sie am 3. Mai 1980 im Okie Dokie in Neuss auf dem legendären „Schmier“-Festival. Vier junge Punk-Ladys standen auf der Bühne und ballerten einfach los. Laut, anarchisch, gnadenlos. Dabei sind sie gleich den Fehlfarben aufgefallen, die sie als Vorgruppe auf ihre Tournee mitnahmen. So wurden Östro 430 schnell auch außerhalb von Düsseldorf bekannt. Sie waren mutig, provozierten durch ihr Auftreten, ihre Musik und ihre Texte und waren eine absolute Bereicherung für die überwiegend männlich dominierte Musikszene. Sie nahmen sich einfach das Recht, mit den klassischen Geschlechterrollen Schluss zu machen und genauso laut, schrill, derb und unkonventionell wie ihre männlichen Kollegen zu sein. Damit hatten sie schon damals eine Vorreiterrolle für die Gleichberechtigung inne. Mit Songs wie „Sexueller Notstand“ oder „Sei lieb“ sangen sie erstmal explizit über weibliche Sexualität: von Masturbation bis Notgeilheit. In der miefigen bundesdeutschen Gesellschaft der frühen 80er Jahre bedeutete das vor allem eins, dass ihre Songs nicht im Radio gespielt wurden. Da lief die Deutsche Welle mit 99 Luftballons.

Nach ihrer Auflösung im Jahr 1984 hat es knapp 40 Jahre gedauert, bis sie sich in anderer Besetzung neu formiert haben. Geplant waren schon im letzten Jahr Auftritte in Düsseldorf. Doch Corona machte ihnen zunächst einen Strich durch die Rechnung. Wir sprachen mit Östro 430-Gründungsmitglied und Keyboarderin Bettina Flörchinger, die immer noch in Düsseldorf lebt, über Punk, das Leben und die guten alten Zeiten.

 © Alexander Vejnovic, das-fotostudio-duesseldorf.de

Bettina Flörchinger von der Punkband Östro 430 heute, fast 40 Jahre später.

Wie kam es eigentlich zu der Entstehung von Östro 430?

Da gibt es zwei unterschiedliche Geschichten, die dann zusammenkamen. Unsere Sängerin stand der Punk-Szene ziemlich nahe und hatte schon seit längerem die Idee, eine Frauen-Punkband zu gründen, weil sie die Erfahrung gemacht hatte, dass Frauen in Männerbands bestenfalls als nettes Beiwerk fungierten, aber auf die eigentliche Musik weniger Einfluss hatten. Sie hatte bei einem Konzert von Nina Hagen eine weitere Frau kennengelernt, die mit von der Partie sein wollte, und sie im Ratinger Hof wiedergetroffen. Das war die eine Hälfte der Band. Die andere Hälfte waren dann unsere frühere Schlagzeugerin Marita und ich. Wir waren an der Uni in einer Frauengruppe aktiv. Aber wir kamen da auch nicht so recht zum Zug. Als wir den Vorschlag machten, einen Proberaum für eine Frauenband einzurichten, wurden wir nur ausgelacht, so nach dem Motto „das gibt doch sowieso nix“. Marita hat durch Zufall im Ratinger Hof die andere Bandhälfte getroffen und mich mit hinzugenommen. Da waren wir dann zu viert und hatten eine volle Bandbesetzung. So hat alles angefangen.

Was war zu der Zeit (1979) in Düsseldorf los? Was war da für eine Stimmung in der Musikszene? 

Es herrschte überall eine richtige Aufbruchsstimmung. Man traf sich im Ratinger Hof. Der war das Wohnzimmer der Punk-Szene. Da gabs z. B. Male, die erste Punkband Düsseldorfs, die haben übrigens vor zwei, drei Jahren auch nochmal im Zakk  gespielt. Dann Mittagspause mit Peter Hein, der dann später bei den Fehlfarben Sänger wurde. DAF, Deutsch Amerikanische Freundschaft, und viele andere mehr. Als wir schließlich auch die ersten Auftritte hatten, lief das richtig gut. Zuerst sind wir eher im Umkreis aufgetreten, später dann auch deutschlandweit und sogar in der Schweiz. Das dauerte bis 1984 an, dann haben wir uns aus beruflichen Gründen aufgelöst. Die eine wollte studieren, ich habe mein Staatsexamen gemacht und wollte meine Facharzt-Ausbildung beginnen. Da hat es zeitlich einfach nicht mehr gepasst, dreimal die Woche zu proben, an den Wochenenden Gigs zu spielen und auf Tour zu gehen. Die beiden verbliebenen Mitglieder, unsere Sängerin Martina und die Bassistin Gisela haben eine neue Band gegründet Die zweite Invasion und mit einer anderen Besetzung weitergemacht.

Wie ist der Name der Band entstanden?

Die Verbindung von Östro zu Östrogen ist natürlich naheliegend, es sollte ja auch ausdrücken, dass wir eine reine Frauenband sind. Damals gab es eine Reihe von verschiedenen Anti-Babypillen, die hatten alle Namen wie Sequilar 21 oder Lyndiol 28 und da haben wir uns Östro 430 ausgedacht. 430 war die damalige Wabe der Rheinischen Bahngesellschaft für die Düsseldorfer Innenstadt. Das war ein bisschen an diese Pillennamen angelehnt.

Weil die Pille eine neue Freiheit bedeutet hat?

Ich sehe das schon so, ja.

Welche Bedeutung hatte denn der Punk für Sie?

Was uns beim Punk zugute kam, war, dass man musikalisch nicht perfekt ausgebildet sein musste, um sich überhaupt auf die Bühne zu trauen. Alles, was irgendwie Krach machte, wurde akzeptiert. Wir haben damals echt bei Null angefangen, unsere Schlagzeugerin hatte keinerlei Ausbildung am Schlagzeug und daher war das für uns sehr günstig, dass wir völlig frei waren und uns erstmal ausprobieren konnten.

War es auch eine neue Form gegen althergebrachte Strukturen zu revoltieren?

Für mich auf jeden Fall ja, wir wollten auch die Freiheit haben, genauso laut und manchmal auch unflätig zu sein, wie Männer das schon immer sein durften. Wie man das bei Frauen eben nicht gern gesehen hat. Das war auch eine Auflehnung gegen diese traditionelle Frauenrolle. 

Hat Ihnen das auch Kritik eingebracht?

Dass wir manchmal in Wunden herumgestochert haben, ist nicht zu leugnen. Gerade als Frau, wenn man da nicht so nett gestylt war, sondern aus der Reihe tanzte, hat das teilweise auch richtig aggressive Reaktionen ausgelöst. Einmal, als ich auf dem Weihnachtsmarkt Kasperle Theater gespielt habe, also etwas denkbar Harmloses, wurde mir von einem Zuschauer, einem älteren Herrn, gesagt, „dich hätten sie ja auch besser mal in
Auschwitz vergast“.  

Wie war denn Ihr Styling damals?

Wir hatten bunte Haare, trugen Lederjacken, teilweise zerrissene T-Shirts oder Jeans, schwarze Motorradstiefel. (Was heute 40 Jahre später ja schon normal ist Anm. d. Redaktion).

Machen Sie heute noch Musik?

Wir haben uns vor ungefähr zwei Jahren wieder zusammengeschlossen, was ein eher zufälliges Ereignis war. Unsere Sängerin, die in Hamburg lebt und dort auch in der Musikszene gut vernetzt ist, hat mit einem Plattenlabel die Idee entwickelt, unsere alten Platten ein bisschen aufgehübscht noch einmal neu aufzulegen. Das war der erste Schritt. Unabhängig davon, aber fast zeitgleich, kam eine Anfrage vom Haus der Jugend in Düsseldorf, das für sein Abschlusskonzert, es ist ja in 2020 abgerissen worden, noch eine Band suchte, die u. a. mit den Fehlfarben dort auftreten sollte. Wir sind ja damals auch mit denen getourt. Und weil wir gerade sowieso dabei waren, die Platte herauszubringen, passte das natürlich perfekt zusammen. Als wir dann wieder begonnen haben zu proben, kam Corona. Dadurch ist es zu diesem Auftritt leider nicht mehr gekommen, aber er soll voraussichtlich im März 2022 im Weltkunstzentrum auf der Ronsdorfer Straße nachgeholt werden.

Sie haben damals Medizin studiert, welche Richtung haben Sie dann später beruflich eingeschlagen?

Ich wurde Frauenärztin, bin jetzt allerdings in Rente. Dadurch habe ich jetzt aber wieder genügend Zeit, um Musik zu machen.

Was ist aus den anderen Bandmitgliedern geworden?

Unsere Bassistin Gisela Hottenroth war damals schon Musik- und Kunstlehrerin. Unsere Schlagzeugerin, Birgit Köster, hat in Köln eine Firma für Filmschnitt. Die beiden sind aber leider aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mit dabei. Unsere Sängerin Martina Weith arbeitet als Erzieherin in einer Kita.

Wie viele Platten haben Sie damals herausgebracht?

Es waren eine Maxisingle unter dem Titel „Durch dick und dünn“ und eine LP „Weiber wie wir, Randale und Bier“ und eine Single mit zwei Stücken, die hießen „Vampir“ und „Meerschweinchen“. Außerdem waren wir auf diversen Samplern vertreten.

Wie sehen Sie denn das Thema Gendering in der Sprache?

Wir haben gerade ein neues Stück in Arbeit mit dem Titel „Genderwahn“. Ich glaube, das sagt schon alles. Wir stehen diesen sprachlichen Verrenkungen etwas kritisch gegenüber. Diese Sternchen*innen, Schrägstrich oder Doppelpunkt sind äußerst fragwürdig. Man kann ja kaum noch normal lesen oder sprechen, wenn man das einhält. Es vereinfach nicht gerade das Leben. Letzten Endes zählt das, was drinsteckt und nicht, wie es verpackt ist.

Wenn sie heute nochmal die Chance hätten… Bereuen Sie es, dass Sie keine Profi-Karriere angestrebt haben?

Realistisch betrachtet bin ich nicht überzeugt davon, dass wir als Profi-Musiker längerfristig unseren Lebensunterhalt damit hätten finanzieren können. Nur die wenigsten haben das geschafft, als bekannteste Beispiele vielleicht die Toten Hosen oder die Ärzte. Für mich war es auch sehr wichtig, meinen Beruf als Ärztin, in den ich ja viel Energie gesteckt hatte, tatsächlich auszuüben.

Alexandra von Hirschfeld

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