Fotos: Jochen Rolfes

Jeannine Halene über Mittelmaß und Doppel-Awards

Treffpunkt ist der Medienhafen, genauer gesagt die Fußgängerbrücke vor dem Hyatt. Jeannine Halene kommt ohne großes Gefolge, bestellt „Latte Macchiato, bitte“ und lächelt dieses Lächeln, das Aufbruch verspricht – und nebenbei so wirkt, als wüsste sie die Abkürzung. Die Düsseldorfer Unternehmerin führt die Kreativagentur Rheinschurken, die Marke VorzeigeHelden und die 2025 gegründete JHR Consulting. Gerade hat sie mit ihrem Kunden Athlon für die Kampagne „Closing the gap“ beim German Brand Award doppelt abgeräumt.

Normal ist schon optisch nicht Ihr Ding. Was stört Sie am Durchschnitt?
Jeannine Halene: „Wenn man Erfolg will, muss man anders sein als der Durchschnitt. Ich bin so ein Schwarz-Weiß-Typ – bei mir gibt es nicht so viele Grautöne.“

Glückwunsch zu gleich zwei Trophäen beim German Brand Award 2025. Was war der Kern der Kampagne?
Jeannine Halene: „Athlon ist eine Leasing-Company aus Düsseldorf. Im Briefing ging’s um eine Imagekampagne – und darum, den USP klar nach vorne zu tragen. Athlon schließt mit seinen Fahrzeugen Mobilitätslücken. So kam der Claim Closing the gap. Ein Designer aus meinem Team hatte die Idee, diese Lücken visuell zu füllen – gelbe Elemente, die aus dem Logo kommen und die Gaps schließen. Ist plakativ, auffällig und on point.“

Doppelt abgeräumt: Closing the gap

Dass „Closing the gap“ beim German Brand Award in den Disziplinen Excellence in Brand Strategy and Creation – Brand Efficiency of the Year und Brand Communication – Digital Campaign ausgezeichnet wurde, ist dokumentiert; die Jury lobte die Klarheit des Claims und die grafische Übersetzung der „Gaps“. Die Verleihung – Athlons eigenes News-Posting spricht von einem „Doppelsieg“ – fand Ende Juni in Berlin statt.

Klingt nach einer Punktlandung. Gab es trotzdem Gegenwind?
Jeannine Halene:
 „Ehrlich? Nein. Der Kunde hat die Einreichung selber forciert – das ist eher ungewöhnlich. Und natürlich wird man in Düsseldorf darauf angesprochen. Fünf neue Aufträge bringt so ein Preis nicht automatisch. Aber er schadet nie – und er wirkt.“

Was unterscheidet die Rheinschurken von anderen Agenturen?
Jeannine Halene: „Wir sind keine Pixelschubser. Es gibt viele Agenturen, die Brot-und-Butter-Geschäfte machen. Unser Ding ist Strategie. Ich komme von der Unternehmensseite. Mir hat immer gefehlt, dass sich Agenturen wirklich tief in komplexe Produkte eindenken. Gerade bei erklärungsbedürftigen Themen gilt: erst verstehen, dann bebildern.“

Dann muss es also auch zwischen Ihnen und den Kunden matchen?
Jeannine Halene:
 „Definitiv. Nicht jeder Kunde passt zu uns – und wir nicht zu jedem. Wir haben schon Jobs abgelehnt, wenn der Ton beim Kunden nicht stimmte. Je stärker der Wunsch nach Mehrwert, desto wichtiger ist es, Steuerung zuzulassen. Dann entsteht Partnerschaft: Wir denken mit, entwickeln mit – und gehen gemeinsam neue Wege.“

Auf Ihrer Website steht, bei den Rheinschurken arbeiten Menschen „mit Moral und Anstand – und einem Hang zum Ausrasten“. Wie testen Sie Moral?
Jeannine Halene:
 „Reines Bauchgefühl. Wer bei mir sitzt, weiß, was er tut. Entscheidend ist jedoch: passt die Person zu uns, kann ich mich auf sie verlassen? Ein gewisser Anstand gehört sich – trotz unseres Agenturnamens. Schurke heißt für mich: jemand, der smarte Abkürzungen kennt, nicht jemand, der bescheißt.“

Werbung verzerrt gern die Wirklichkeit. Was, wenn Sie eine Faltencreme bewerben, die keine Falten verschwinden lässt?
Jeannine Halene:
 (lacht) „Dann hilft nur Redlichkeit in der Inszenierung. Vorteile hervorheben ja, falsche Versprechungen machen nein.  Sonst fällt es nicht nur auf uns zurück, sondern verursacht auch einen immensen Vertrauensschaden bei der Marke.“

Sie waren Primaballerina – und sind heute Unternehmerin. Das ist mehr als ein Spagat …
Jeannine Halene:
 „Ich habe mit vier Jahren angefangen zu tanzen, weil ich nach innen lief. Meine Eltern meldeten mich bei einer Ballettschule an und dann wollte ich nur noch tanzen, ging nach der 10. Klasse von der Schule, weil ich in Leipzig an der Tanzakademie angenommen wurde.

„Werbung ist wie Autofahren. Man muss ausscheren, um zu überholen.“ 

Jeanine Halene

Wussten Ihre Eltern davon?

Jeannine Halene: Ja, aber begeistert waren Sie nicht. Ich habe dann in Leipzig an der Oper getanzt. Mein Vater war Bühnenbildner an der Düsseldorfer Oper, vielleicht kommt daher meine Bühnenliebe, weil ich als Kind oft backstage war. Irgendwann habe ich gemerkt: Wenn du Tänzerin bleibst, bist du immer von deinem Körper abhängig. Ich habe dann in Essen Betriebswirtschaftslehre studiert – meine Mitarbeiter nennen mich Diplom-Dinosaurier – und bin dann in der Autowelt gelandet: Restwertbörse, später USA, Investorenmarketing.“

Was konnten Sie aus Ihrer Künstlerkarriere mitnehmen ins Business?

Jeannine Halene: Spontan würde ich sagen, vor allem Präsenz zu zeigen, aber auch Eigenschaften wie Flexibilität und Standfestigkeit passen gut in beide Welten.

Auf die Bühne sind Sie trotzdem zurück …
Jeannine Halene: „Ja, ich habe elf Jahre Jazz und Modern Dance im Boston-Club in Vennhausen getanzt und war mehrfach Deutscher Meister. So hatte ich beides: erst Ellenbogen als Solistin an der Oper, dann Teamdisziplin in der Formation. Beides prägt: Du brauchst Durchsetzung, aber genauso das Gefühl für die Gruppe. Und außerdem steht man als Unternehmerin auch täglich auf der Bühne, nur dass die Mitarbeiter nicht immer applaudieren.“

Heute führen Sie ein Team von…?
Jeannine Halene:
„… zehn Leuten. Also mit mir sind wir eine Fußballmannschaft und zwar eine diverse.“

Und Ihre Kunden?
Jeannine Halene: „Vom Kfz-Versicherungsumfeld aus gewachsen, heute arbeiten wir u. a. für Marken wie Deichmann, Lindt, Maserati, und verschiedene Sparkassen – neuerdings auch für die Stadtsparkasse Düsseldorf, für die wir gerade eine große Nachhaltigkeitskampagne und ein neues Konzept für den Weltspartag entwickelt haben. Wir sind nicht überall Lead-Agentur, aber wir liefern Bausteine, die tragen.“

Und die VorzeigeHelden? Was treiben die?
Jeannine Halene:
 „Das ist unsere Untermarke für High-End-Präsentationen – PowerPoint, aber so aufwändig wie ein Film. Entstanden ist die Marke aus einer Teamidee in einer Engpass-Phase. Und ganz ehrlich ohne die jungen Wilden in meiner Agentur wäre das nie so geflogen.“

Wozu dann noch als drittes Standbein JHR Consulting? Übrigens ein schönes Abkürzungsspiel mit Ihren Initialen und HR …

Jeannine Halene: „Weil man Employer Branding nicht unbedingt bei einer Werbeagentur sucht. Bei JHR berate ich persönlich – von HR-Strukturen bis zur Arbeitgebermarke. Wir haben einen Generation Clash: Der graue Vorstand versteht die next GEN nicht mehr – und umgekehrt. Dabei wollen die Jungen mitgestalten. Gibt man ihnen den Rahmen und Reason, arbeiten sie.“

Sie haben einmal gesagt: „Meine Leute haben Sitzfleisch“ – Sie investieren also offensichtlich selber auch in Ihr eigenes Employer Branding?
Jeannine Halene:
„Schon, allerdings ,Invest‘ klingt so berechnend – ich würde sagen ich pflege das Verhältnis zu meinen Kollegen einfach gut und bringe ihnen viel Wertschätzung entgegen. Es ist wichtig, dass sich alle wohlfühlen am Arbeitsplatz. Psychische Sicherheit ist heute einer der wichtigsten Faktoren. Außerdem lasse ich viel zu: Jeder kann Dinge anzweifeln und neue Wege vorschlagen. Und ja, wir sind eine Werbeagentur: da wird auch ordentlich gefeiert – auch das schweißt zusammen.   
… Und zum Sitzfleisch: Die meisten meiner Teamkollegen begleiten mich schon sehr lange. Bestes Beispiel ist meine Prokuristin Katharina Schmid. Sie hält mich schon 13 Jahre aus. Wir setzen auf Hegen und Pflegen statt Hire und Fire.“

Sie moderieren den Ladies Talk – zuletzt mit heißer Debatte um Sicherheitsdienste und Bettler auf der Kö. Ihr Blick?*
Jeannine Halene:
„Wir sitzen mit unserem Büro an der Grabenstraße – zwischen Schickeria, Karlsplatz und Kö. Morgens, wenn ich aufschließe, liegt öfter jemand im Eingang. Viele sind nicht aggressiv, aber mulmig ist mir dann schon. Was mich stört: organisierte Bettelgruppen. Das schadet dem Stadtbild und dem Gefühl von Sicherheit – für Kundschaft und Touristen. Wir brauchen klare Regeln, die auch durchgesetzt werden.“

*(Anm. d. Red.: Über das Thema wird in Düsseldorf seit Monaten leidenschaftlich diskutiert – die Positionen reichen von sozialpolitischer Kritik bis zu ordnungspolitischen Forderungen.)

Wie verändert KI Ihre Branche?
Jeannine Halene: „KI ist längst Bestandteil unserer Abläufe. Manche Kunden wollen explizit KI-Strecken, andere verbieten sie mit Vertragsstrafen. Wer KI einsetzt, muss es können. Grundsätzlich glaube ich: Wir stehen vor einer unglaublichen Zeitenwende. 70 Prozent der Jobs werden ersetzt – neue entstehen, aber sehr spezialisierte. Die Kluft zwischen ‚intelligent‘ und ‚ersetzbar‘ wird brutal. Und wenn Menschen plötzlich ohne Aufgabe sind, wird das auch gesellschaftlich wehtun. Hinzukommt: KI zahlt keine Rente.“

Gründen Sie weiter?
Jeannine Halene: (lacht) „Drei Unternehmen, drei Kinder – reicht. Dreifaltigkeit und so.“

Vor 10 Jahren trafen Sie mit Ihrem Buch Marketing – Jenseits vom Mittelmaß“ den Nerv der Zeit. Würden Sie das Buch heute anders schreiben?
Jeannine Halene: „Ich würde nicht viel anders schreiben – aber heute würde ich es mit KI-Unterstützung angehen. Ich habe tatsächlich einen Bot, dem ich meine Ideen diktiere. Und dann sortiert er alles für mich, gibt dem Ganzen schon einmal eine Struktur. Sie merken schon, es wird ein zweites Buch geben. Meine nächste Publikation steht unmittelbar bevor: Das Buch „Kommunikations Happen“ erscheint jetzt im September. Aber zurück zu Ihrer Frage: Die Beispiele sähen heute anders aus, aber der Kern bleibt: Wer Besonderes will, muss anders gehen.“

Was verrät der Sportkalender über die Unternehmerin?
Jeannine Halene: „Krafttraining – fast täglich. Yoga. Ich funktioniere über Disziplin, das kommt aus dem Tanz.“

Wovor haben Sie Angst?
Jeannine Halene: „Ich habe Höhenangst. Schlangen mag ich auch nicht. Sonst habe ich viel Mist erlebt – ich halte was aus.“

Sie sind Einzelkind?
Jeannine Halene:
 „Ja – aber nicht verwöhnt. Ich habe mir alles erstrampelt und erarbeitet. Das gebe ich auch meinen Kindern weiter. Bei drei Kindern gilt: Einer schreit immer. Also lernen alle mitzumachen. Die haben ihre Windeln alle selber zum Eimer getragen.“

Wenn Sie drei Wünsche bei der guten Fee frei hätten?
Jeannine Halene: „Erstens: Wir machen einen Spot beim Super Bowl – vorher gehe ich nicht in Rente. Zweitens: mehr Zeit für meine Kinder. Und den dritten hebe ich mir für schlechte Zeiten auf.“

Am Ende des Gesprächs wirkt sie, als sei die nächste Etappe längst anvisiert: kein gerader Weg, eher eine smarte Abkürzung. Eine Schurkin – aber eine mit Anstand. Und eine Düsseldorfer Unternehmerin, die Altbier und Champagner kann.

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