Wie die Rheinbahn ihre Arbeitskultur neu erfindet
Die Rheinbahn ist auf dem Weg – nicht nur auf ihren Strecken durch Düsseldorf und Umgebung. Mit dem Programm „R(h)ein in die Zukunft“ hat das Unternehmen einen Transformationsprozess angestoßen. Ziel ist es, die Mobilität von morgen nicht nur technisch, sondern auch vom Fachkräftemangel und der Arbeitszufriedenheit her neu zu denken. Dabei verlässt die Rheinbahn klassische Wege. Statt externer Strategiepapiere setzt sie auf Beteiligung der Mitarbeitenden – von der Werkstatt bis zur Verwaltung, vom Fahrdienst bis zur Geschäftsführung.


Fotos: Jochen Rolfes
„Jede Denkfabrik beginnt mit der so genannten Kopfstandmethode. Beim Fahrdienst lautete die Frage nicht: Was macht den Fahrdienst besser?, sondern: Was müssten wir tun, damit morgen alle kündigen?“ Nadin Kirchner, Stabsstellenleiterin Inhouse Beratung & Transformation sowie Interimsleiterin Unternehmenskommunikation & Unternehmensentwicklung
Transformation mit Tiefgang
Die „Transformationsreise“ begann vor rund anderthalb Jahren. Statt Top-down wurden Managerinnen und Manager aus allen Hierarchieebenen daran beteiligt. Aber nicht nur sie. „Genauso wichtig sind die so genannten Echo-Gruppen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Fahrdienst, den Werkstätten und der Verwaltung. Diese prüfen immer wieder, ob die Reise in die richtige Richtung geht oder ob etwas Wichtiges vergessen wurde und bringen selber Ideen mit ein“, erklärt Nadin Kirchner, Stabsstellenleiterin Inhouse Beratung & Transformation sowie Interimsleiterin Unternehmenskommunikation & Unternehmensentwicklung. Aus diesem Prozess entstanden Denkfabriken, in denen an konkreten Themen gearbeitet wird – etwa an besseren Arbeitsbedingungen im Fahrdienst, an Inklusion oder am Sicherheitsempfinden für Rheinbahn-Mitarbeitende und Fahrgäste.

„Aus der ,Denkfabrik Fahrdienst‘ ist eine Untergruppe ,Frauen im Fahrdienst‘ entstanden. Auch dieses Thema wollen wir neu denken.“
Antje Gutberlet, Bereichsleiterin Personal, Soziales und Organisation der Rheinbahn
Von Dienstversteigerung bis wunschfrei
Was brennt der Rheinbahn mehr unter den Nägeln als der Fahrdienst? Rund 1.700 der 3.700 Rheinbahn-Beschäftigten sind auf den Straßen und Schienen unterwegs und das rund um die Uhr und an 365 Tagen. In der Denkfabrik, auch bekannt als Think Tank, entwickelten die Teilnehmenden kreative und zugleich praxisnahe Ideen: etwa die „Dienstversteigerung“ – ein internes Tauschsystem, das es Fahrerinnen und Fahrern ermöglicht, ihre Dienste abzugeben und bevorzugte zu „ersteigern“. Wobei das System so ausgelegt ist, dass Ruhe- und Lenkzeiten automatisch eingehalten werden. Oder das „Wunschfrei“-Modell, bei dem jeder Fahrer oder jede Fahrerin drei bis fünf Tage pro Jahr im Voraus als garantiert frei markieren kann – unabhängig vom regulären Urlaubsplan. Präsentiert wurden diese Maßnahmen dann in drei Minuten – wie bei der Sendung „Höhle der Löwen“. Die Jury war der Vorstand, aber auch der musste sich kurzhalten bei seinem Feedback.
„Insgesamt wurden zehn Maßnahmen erarbeitet, wie die Einführung kürzerer Arbeitswochen durch intelligente Dienstplanung, Verschiebung von Arbeitszeiten oder die Anrechnung von Umkleidezeiten. Ziel ist eine 4- bis 4,5-Tage-Woche – attraktiver, besser planbar und familienfreundlicher“, fasst Antje Gutberlet, Bereichsleiterin Personal, Soziales und Organisation der Rheinbahn, die Ergebnisse zusammen.
Beruf mit Wirkung – und Belastung
Dass der Fahrdienst im Zentrum des Transformationsprozesses steht, ist kein Zufall. Denn ohne die Kolleginnen und Kollegen im Fahrdienst rollt nun einmal nichts. Und die nehmen vieles auf sich, um die Bürgerinnen und Bürger der Stadt von A nach B zu bringen: Schichtdienste, körperliche und psychische Belastung, mangelnde Planbarkeit – und nicht zuletzt der Umgang mit Fahrgästen in schwierigen Situationen.

„Man muss in diesem Beruf schon eine gewisse Resilienz mitbringen“, so Nadin Kirchner. Deshalb setzt die Rheinbahn nicht nur auf betriebliche Gesundheitsvorsorge, sondern auch auf persönliche Entwicklung. Angeboten werden z. B. Achtsamkeits- und Deeskalationstrainings sowie Pilotprojekte in Selbstverteidigung, sogar von Kollegen für Kollegen.
Trotz aller Belastungen erleben viele Fahrerinnen und Fahrer ihren Beruf auch als sinnvoll – und manchmal sogar als berührend. In einem der Workshops berichtete ein Mitarbeiter, dass seine Nichte und sein Neffe ihm regelmäßig von einem Balkon aus zuwinken, wenn er mit dem Bus auf der Linie an ihrem Haus vorbeifährt. Zur Weihnachtszeit gibt es auch schon mal Schokolode und kleine Präsente von Fahrgästen. „Das sind kleine Gesten, aber sie bedeuten unseren Mitarbeitenden viel“, erzählt Antje Gutberlet.
Wo Ideen laufen lernen
Gerade gestartet ist die Denkfabrik zum Thema Sicherheit. Erste Ideen reichen von KI-gestützten Lösungen bis hin zu sichtbarerem Sicherheitspersonal und einem möglichen „Rheinbahn-Knigge“, der das Miteinander in Fahrzeugen, an Haltestellen und am Ende in ganz Düsseldorf und der Region verbessern soll. Auch kleine Gesten werden in der Arbeitsgruppe diskutiert, etwa personalisierte Begrüßungsansagen. „Menschen verhalten sich anders, wenn sie wissen, wer sie fährt“, hieß es in der Diskussion. Gleichzeitig müssen Schutzinteressen der Fahrerinnen und Fahrer berücksichtigt werden – etwa beim Umgang mit Namen, um Stalking zu vermeiden.
Ein wichtiger Effekt der Denkfabriken liegt in der Annäherung der Berufsgruppen. Mitarbeitende aus der Verwaltung sitzen in Workshops neben Bus- und Bahnfahrerinnen und -fahrern, hören von deren Alltagserfahrungen und verstehen deren Realität besser.
Apropos Realität: Die Denkfabriken sind keine Kreativinseln, sondern strukturierte Prozesse: Die Mitarbeitenden entwickeln Ideen, schreiben Budgets, prüfen Risiken, kalkulieren Ressourcen. Gleichzeitig wächst das Verständnis füreinander: Verwaltungsmitarbeitende lernen die Realität des Fahrdienstes kennen, Fahrerinnen und Fahrer begegnen Kolleginnen und Kollegen aus der Werkstatt auf Augenhöhe.
Denken ohne Tunnelblick
Beim Wandel der Rheinbahn soll es aber nicht um einzelne Maßnahmen gehen, sondern um einen systemischen Blick: um das Verstehen von Wechselwirkungen und das gemeinsame Voranbringen einer lebendigen Mobilitätskultur. Dazu gehören auch Kooperationen – mit Start-ups, der Stadt, der Polizei, dem Ordnungsamt oder Technologiepartnern. „Auch externe Experten sind Teil der Denkfabriken“, betont Nadin Kirchner. Mobilität von morgen ist Teamarbeit. Und sie beginnt nicht erst auf der Schiene – sondern im Denken.
