Nicht jeder, der ein Einserabitur hinlegt und Medizin studiert, ist als niedergelassener Arzt oder Ärztin eine gute Führungskraft oder ein Verwaltungsgenie in der Praxis. Aber wer hilft dem Arzt, wenn er einmal Hilfe braucht? Claudia Ahl, Inhaberin der Akademie für Flow&Fokus, ist seit 2011 als Praxiscoach im Einsatz und hat neben Meerbusch jetzt einen zweiten Standort in Düsseldorf.

 © Julia Bruns, Einzigartig Fotografie

Sie coachen Ärzte, die auf Platz zwei der angesehensten Berufe stehen. Können die „Halbgötter in Weiß“ denn
Unterstützung überhaupt annehmen? In der Regel handelt und redet ja der Arzt … 

Gerade jetzt brauchen Ärztinnen und Ärzte „Entwicklungshilfe“ für ihre Praxen und Mitarbeiter. Die Patienten und viele Mitarbeiter sind ängstlich, hinzu kommen die zahlreichen Hygienevorschriften, die die tägliche Arbeit und das Miteinander erschweren. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Als Praxiscoach erkenne ich die Ursachen, wenn etwas nicht rund läuft. Meine Arbeit in und mit den Arztpraxen ist sehr konkret. In Workshops und Trainings geht es um betriebswirtschaftliche Fragen, um reibungslose Prozessabläufe, die idealerweise in einem eingespielten Team stattfinden sollten, in dem sich alle wohl fühlen und angstfrei kommunizieren können. Soweit die Theorie. Aber in der Regel sieht es in den Praxen ganz anders aus. Personalmangel, Überverwaltung und chronische Überforderung sind an der Tagesordnung und führen im schlimmsten Fall zu Kündigungen oder Burnout. 

Aber da ist das Kind ja eigentlich schon in den Brunnen gefallen…

Genau da liegt das Problem. Wenn ein Arzt nach seinem Studium eine Praxis eröffnet oder in eine Praxisgemeinschaft geht, steht er auf einmal zwischen Heilung, Führung und Verwaltung. In seinem Studium hat er nicht gelernt, wie man mit Patienten und Mitarbeitern umgeht. Soft-Skills zählen nicht zum Physikum. Dabei gehören die Fächer Menschlichkeit und Führung meines Erachtens unbedingt auf den Lehrplan. Die wenigen, die das anders handhaben, arbeiten an der Universität Witten/Herdecke. Wobei ich überhaupt nichts gegen unsere medizinische Ausbildung sagen möchte, die ist wissenschaftlich und technisch gesehen sehr gut. Aber auch Zuwendung bringt Heilung, weil wir Menschen ja nicht nur aus Organen, Knochen und Muskeln bestehen, sondern auch noch eine Seele und einen Geist haben. 

Worauf sollten Ärztinnen und Ärzte denn achten?

Zum Beispiel darauf, wie die Stimmung, das Klima in ihrer Praxis ist. Geht es eher steril und distanziert zu oder nimmt man sich der Patienten an? Das fängt schon damit an, wie Patienten empfangen werden. Viele fühlen sich fast wie Störenfriede, wenn sie eine Praxis betreten. Interessanterweise findet hier gerade ein Umdenken statt. Ausgelöst durch den Fachkräftemangel  – neun von zehn Arztpraxen suchen derzeit händeringend  Personal – und beschleunigt durch die Corona-Pandemie haben einige Arztpraxen ihren Empfang mit Mitarbeitern aus der Gastronomie oder Hotellerie besetzt. Diese Mitarbeiter haben den Vorteil, dass sie den Servicegedanken in ihrer Ausbildung verinnerlicht haben. Hinzu kommt, dass sie oft eine hohe Fremdsprachenkompetenz mitbringen. Das medizinische Fachpersonal wird so entlastet und kann sich besser um die Patienten kümmern. 

Soll sich der Arzt auch besser fühlen mit Ihrem Praxis-Coaching?

Definitiv. Es geht ja auch für ihn ums Ganze. Ärzte sind oft Perfektionisten. Sie geben im Beruf 200 Prozent, aber verlieren dabei oft andere Perspektiven aus dem Blick. Im Führungskräftecoaching für Ärzte geht es um die Aktivierung der eigenen Kräfte. Dabei liegt der Fokus, anders als bei einer Therapie, nicht auf der Vergangenheit, sondern auf der Zukunft. Private und berufliche Bereiche werden mit gezielten Gesprächs- und Fragetechniken ganzheitlich betrachtet. Es geht im Führungskräftecoaching auch darum, eigene Ziele herauszuarbeiten und sich mentalen Ängsten zu stellen. Aber die Ärzte lernen auch, wie sie mit Mitarbeitern bei Konflikten kommunizieren sollten und wie Mitarbeitergespräche gelingen.

Aber möchten Ärzte das nicht lieber wissenschaftlich angehen?

Das tun sie. Wir coachen mit wissenschaftlich evaluierten Methoden sowie mit Wettbewerbs- und SWOT-Analysen und arbeiten mit dem DNLA-Test. Die Abkürzung steht für Discovering Natural Latent Abilities. Dieser Benchmarktest lotet aus, auf welchem Level die Soft-Skills bei jedem einzelnen sind. Der DNLA-Test wurde vom Max-Planck-Institut entwickelt und ist zertifiziert. Auf dieser Basis kann man wunderbar weiterarbeiten. Wenn man weiß, welche Stärken und Schwächen man als Führungskraft hat, hat man die Schalthebel schon auf Sicht. 

Claudia Ahl

Die Expertin für Persönlichkeitsentwicklung (Dipl. Sozialpädagogin und Gestalttherapeutin) absolvierte eine Reihe von Coachingausbildungen, darunter auch Familien- und Organisationsaufstellung. Über ihre Ausbildung zum Pferdecoach wurde sie mit 36 Jahren selbst Reiterin. Ihr aktuelles Steckenpferd ist die Epigenetik, ein Fachgebiet der Genetik und Biologie, das den Faktoren für die Aktivität eines Gens und der Entwicklung der Zelle nachgeht. „Wir denken Medizin in Krankenkassen- und Gebührenordnungen. Das ist ein Politikum. Wir müssen das System verändern und in Kategorien von Gesundheit denken und präventiv handeln. Und dazu gehören auch eine gesunde Umwelt, eine gesunde Ernährung und förderliche Gedanken.“

Wo hakt es Ihrer Erfahrung nach denn am meisten in den Praxen?

An der Kommunikation und an der Teamarbeit. Wenn ich von meinen Mitarbeitern in der Gesundheitsbranche mehr als nur „Dienst nach Vorschrift“ möchte, dann muss ich ein respektvolles Miteinander hinbekommen und darf sie nicht überfordern. Als Chef oder Chefin nehme ich schon jede Menge Stress raus, wenn der Arbeitsalltag strukturiert und gemanaged ist. Dabei helfe ich vor Ort. Das fängt bei der Wahl der Software an. Ich berate zum Beispiel, welches digitale Terminvergabesystem  am besten passt, sorge dafür, dass es in die Schnittstellen integriert wird, coache das Team und die Ärzte in Gruppen- und Einzelgesprächen. Das alles mache ich vor dem Hintergrund, dass es mir um die Gesundheit der Menschen geht. Mit diesem Gedanken habe ich 2011 die Akademie gegründet. Meine ersten Klienten waren Familien und mittelständische Unternehmen. Über eine Arztpraxis, die ich zwei Jahre lang begleitet habe, sind dann immer mehr Anfragen aus diesem Bereich gekommen. Und dann habe ich gedacht, wenn ich die Praxen coache, kommt das am Ende auch den Patienten und deren Gesundheit zugute.    

Sie bieten als Methode, um Stress abzubauen EFT, Emotional Freedom Techniques, an, was verbirgt sich dahinter?

EFT ist ein Selbsthilfe-Tool. Entwickelt hat es Cary Craig in den 90-er Jahren. Diese Technik befähigt Menschen dazu, Probleme eigenständig zu lösen. Dafür bedient man sich wie in der Traditionellen Chinesischen Medizin, der TCM, der Akkupunkturpunkte. Doch statt die Blockaden mit Nadeln zu bearbeiten, um den Energiefluss wieder herzustellen, arbeitet man mit Klopfbewegungen. Durch das Klopfen der Akkupunkturpunkte an der Hand, im Gesicht, unter dem Brustbein und unter dem Arm in Verbindung mit der Benennung des Problems wird eine direkte Verbindung zu dem Bereich im Gehirn geschaffen, in dem unsere Erinnerungen gepeichert sind. Die Erinnerungen an Unfälle, Verletzungen oder emotionalen Stress werden dadurch zwar nicht gelöscht, aber sie werden neutralisiert. Diese Methode kann jeder mit ein bisschen Übung anwenden. Manche Klienten klopfen sich schon morgens unter der Dusche „frei“. Das können natürlich alle machen, ob Unternehmer, Ärzte oder Privatpersonen. Ich habe sicher schon hunderte Menschen in diese Technikeingewiesen und bekomme sehr viel positives Feedback hierzu.
Susan Tuchel  

Zum E-Magazin

Pin It on Pinterest