Dieter Nuhr gehört als einer der bekanntesten deutschen Kabarettisten zum Urgestein der Szene. Angefangen hat der Künstler, der in Düsseldorf aufwuchs, vor über 30 Jahren mit einer Handvoll Zuschauern. Seine Ehefrau riss die Eintrittskarten ab. Heute sehen Millionen Fernsehzuschauer die Sendung „Nuhr im Ersten“, seine Veranstaltungen sind ausverkauft. Wer bei ihm auftreten darf, steigt auf den Satireolymp. Mit allen Vor- und Nachteilen. Wer den Bogen des Erlaubten satirisch überspannt, dem drohen Shit-Storm und/oder „Cancel Culture“. 

© Alexander Vejnovic, das-fotostudio-duesseldorf.de

Kommen wir gleich zu einem der letzten Eklats. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die DFG, hatte Sie anlässlich ihres 100-jährigen Jubiläums um ein Statement #fürdaswisssen gebeten. Ihre Bemerkungen zum Stellenwert von Wissenschaft lösten auf Twitter eine Welle der Empörung aus. Die DFG knickte ein, entfernte den Beitrag, ruderte dann zurück und entschuldigte sich öffentlich. Wie erklären Sie sich diese Aufregung?

Ich habe lediglich gesagt, dass Wissen immer begrenzt und Wissenschaft keine Religion sei. Wissenschaft ist aber auch zu jeder Zeit ein Spiegel der Gesellschaft gewesen. Und da gab und gibt es immer auch so etwas wie Moden oder Glaubenssätze, z. B. im Mittelalter, dass die Erde eine Scheibe sei. Grundprinzip der Wissenschaft ist: Jede Wahrheit ist nur so lange wahr, bis sie widerlegt wird. Schon auf die Relativität der Wahrheit hinzuweisen, ist für viele heute Gotteslästerung. Mit Social Media ist in den letzten Jahren auch die Diskursfähigkeit der Menschen zurückgegangen. Die Menschen halten ihre Weltsicht oft für unantastbar, dabei ist jedes auch noch so gut begründete Wissen immer nur eine Interpretation von Daten. Andere Interpretationen werden dann als Ketzerei bekämpft. 

Als Sie die Klima-Ikone Greta in einer Ihrer Sendungen ins Spiel brachten, war der Ofen bei vielen ganz aus …

Ich wurde als Klimaleugner bezeichnet. Was natürlich völliger Quatsch ist. Ich habe nicht den Klimawandel, sondern nur die eher simplen Forderungen der Bewegung infrage gestellt. Die haben ja quasi den Stopp des globalen Handels gefordert. Davon abgesehen, dass das Gott sei Dank gar nicht durchsetzbar ist, würde so etwas Milliarden Menschen in die Armut stürzen, die Folgen wären Hunger und Kriege. Dies muss man bei den Handlungsperspektiven, die wir haben, berücksichtigen. Das war ein gutes Argument, und gute Argumente werden heute gern mit Diffamierung beantwortet. Dann wird das, was ich sage, bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, um es diskreditieren zu können. So war es auch in der Stickoxiddiskussion. Ich hatte einen Scherz darüber gemacht, dass eine Kerze so viel Stickoxid erzeugt wie der zugelassene Grenzwert. Man hat mir daraufhin vorgeworfen, dass ich die Raumgröße nicht mit einberechnet hätte. Wie lächerlich kann es noch werden? Dann hätte ich auch noch Dochtdicke und Luftfeuchtigkeit berücksichtigen müssen. Jeder irrt ab und zu und ich habe überhaupt kein Problem damit zuzugeben, wenn ich mich einmal geirrt habe. Aber ich entschuldige mich nicht für Blödsinn, den ich nicht gesagt habe. Ich habe das Gefühl, es gibt heute keine öffentliche Diskussion mehr, sondern nur noch Kindergartenstreit. Es werden nicht Standpunkte ausgetauscht, stattdessen wird mit dem Schippchen gehauen. 

Was man vielleicht nicht unbedingt weiß: Dieter Nuhr (Jahrgang 1960) war Gründungsmitglied der Grünen, heute ist er parteilos. 2013 war er einer der Erstunterzeichner des Appells der Zeitschrift Emma gegen die Zwangsprostitution. Er setzte sich 2017 für die Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel ein. 17 Preise wurden ihm im Laufe seiner Karriere verliehen. Nuhr schrieb 14 Bücher und brachte 8 CDs auf den Markt.

Erster Aufreger war Ihre Islamkritik im Jahr 2014. Haben Sie seitdem eine Schere im Kopf bei manchen Themen oder halten Sie es eher wie die Redaktion von Charlie Hebdo?

Ich versuche, mich davon nicht beeinflussen zu lassen. Es ist ja das Ziel der Cancel Culture, Meinungsabweichler durch Diffamierung mundtot zu machen. Da muss man gegenhalten. Aber natürlich hat man das immer im Kopf. Wenn ich mich zu den klassischen Wutthemen äußere, also Gender, Religion, Klima, Corona etc., denke ich schon beim Schreiben unwillkürlich darüber nach, was kommen könnte. Ich will natürlich auch den Applaus von der falschen Seite vermeiden. Da muss man aufpassen, dass nicht die Leichtigkeit verloren geht. Bei Corona habe ich – wie alle – den Ernst der Lage am Anfang unterschätzt, genau wie Christian Drosten oder das RKI, also da bin ich nicht allein. Wenn einem dann aber im August Zitate aus dem März vorgehalten werden, ist das natürlich unredlich. In den sozialen Medien geht es in den seltensten Fällen um differenziertes Denken, sondern um das Wutrausbrüllen. Dort entstehen auch die Forderungen, unbequeme Stimmen mundtot zu machen. Auch Christian Drosten würden einige gerne vor dem Stadttor erschlagen. Heute wird ja auch gerne wieder der Bote für die Nachricht verantwortlich gemacht. Beim Fernsehen, beim RBB zum Beispiel, wo meine Sendung produziert wird, hat mir noch nie jemand gesagt, was ich zu tun oder zu lassen habe. Die Meinungsunfreiheit entsteht da, wo Menschen versuchen, Andersdenkende durch Überwältigung mundtot zu machen, im Wesentlichen bei Twitter und Facebook.

Haben Sie deshalb auf Ihrer Website und bei YouTube die Kommentarfunktion ausgeschaltet?

„Kommentarfunktion“ ist ja ein völliger Euphemismus. Eigentlich ist die Kommentarspalte eher eine Kloschüssel, in die man bevorzugt nicht hineinspricht, sondern kotzt. Das habe ich bei YouTube abgeschafft. Meine Homepage, mein You
Tubekanal, meine Social Media-Accounts, das sind alles Orte, an denen ich mich äußere. Andere können das auf ihrer Seite ebenso machen. Da können sie tun und lassen, was sie wollen. Wenn ich aber auf meiner eigenen Seite bedroht, beschimpft und diffamiert werde, unterbinde ich das. Viele riefen „Zensur!“, weil ihnen der Pöbelraum genommen wurde. Die haben ein seltsames Freiheitsverständnis. Wenn jemand bei mir zu Hause pöbelt, schmeiße ich ihn raus. Er kann dann draußen weiterpöbeln, das ist keine Zensur. Ich muss nicht alles, was ich tue, den Trollen zur Begutachtung vorlegen. Es ist ohnehin schon ermüdend genug: Mache ich einen Witz über Grüne, bin ich Klimaleugner. Mache ich einen Witz über die AfD, bin ich Volksverräter. Und bei Witzen über Linke bin ich Nazi.

Sie kamen mit vier Jahren von Wesel nach Düsseldorf Pempelfort, weil Ihr Vater eine Stelle als Regierungsdirektor im Schuldezernat bekleidete. Sie waren Messdiener, machten Ihr Abitur am Leibniz-Gymnasium und spielen Tennis im Rochusclub. Verraten Sie mir mehr Nuhr-Privates?

Als ich Kind war, also in den 60er Jahren, konnte man die Prinz-Georg-Straße noch ohne Ampel überqueren. Wir konnten draußen spielen. Schule hat mich nicht interessiert, da war ich ziemlich unmotiviert. Schule war für uns zeitgeistbedingt eine unterdrückerische Institution, der man Widerstand leisten musste, eine schöne scheinpolitische Rechtfertigung unserer Unlust, die dem Nach-68-er-Zeitgeist geschuldet war, idiotisch im Nachhinein. Heute ärgere ich mich, dass ich nicht ein paar Fremdsprachen gelernt habe, es wäre so einfach gewesen, weil man ja eh in der Schule war. Ich habe dann selber auf Lehramt studiert, halbherzig Geschichte, aber hauptsächlich Kunst. An der Hochschule habe ich verstanden, wie viel Spaß motiviertes Lernen machen kann. Ich habe in Essen studiert an der ehemaligen Folkwangschule, aber in Düsseldorf gewohnt. Da wohne ich immer noch, allerdings nur noch teilweise, mein anderer Wohnort ist Berlin. Und Spanien.

Sie haben für mich die Freundlichkeit eines
Quizmasters ohne dessen Belanglosigkeit, Sie regen sich nie auf, ist das Ihr Markenzeichen?

Mein Markenzeichen ist vermutlich, dass ich keines habe. Ich bin auch kein Wuttransporteur. Ich möchte lediglich den Blick auf gesellschaftliche Trends und Strömungen lenken und Witze
darüber machen. In der Zeitung steht ja oft „Nuhr wütet gegen…“. Das ist eigentlich immer gelogen, verzerrender Journalismus, wie er heute nicht selten ist, auch in ehemals seriösen Medien wie zum Beispiel der Süddeutschen Zeitung. Ich wüte nie. Ich filtere Absurditäten heraus, ich scherze über Widersprüche. Das ist nämlich der Kern meines Berufsbildes, Menschen zum Lachen zu bringen. 

Dieter Nuhr vor einem Bild von Elisabeth Brockmann.

Apropos Humor. Hat sich der verändert in den letzten Jahrzehnten? 

Ich denke nicht, es wird nur viel mehr darüber diskutiert. In der Süddeutschen Zeitung stand neulich, deutscher Humor sei im Wesentlichen Schadenfreude. Da konnte man sehen, dass das Humorbild des Schreibers aus den 70er Jahren stammte und er seitdem nichts mehr mitbekommen hat. Klassischen Schadenfreudehumor gibt es heute nur noch im Internet, diese Filmchen halt, Skater fährt gegen Mauer, das ist aber kein deutsches Phänomen, sondern international weit erfolgreicher als bei uns. Offenbar gibt es überall Menschen, die es lustig finden, wenn andere die Zähne verlieren. Über was oder wen man heute noch Witze reißen darf, wird im englischsprachigen Raum im Übrigen genauso diskutiert wie bei uns. Jeder weiß genau, was erlaubt ist und klärt die anderen darüber auf. Meist kommen die ermüdenden Belehrungen von Ideologen. Als alter, weißer Mann dürfte ich für viele heute eigentlich gar nicht mehr auf Sendung sein, weil es inzwischen für ideologisch Geschulte bereits Rassismus ist, dass ich keine junge, schwarze Frau bin.

Haben Sie ein Vorbild?

Wen ich immer sehr bewundert habe, ist Hanns-Dieter Hüsch. Er rückte die Lebenswelt der Menschen in den Fokus und appellierte mit seinem Humor an den gesunden Menschenverstand. Meine ersten Auftritte vor einem großen Publikum habe ich ihm zu verdanken. Im Übrigen ist auch er in den 60ern von Linken von der Bühne vertrieben worden. Er ist ein Jahr lang überhaupt nicht in Deutschland aufgetreten, weil es nicht mehr ging. Cancel Culture ist also keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Ich bin aber ganz froh, dass er die derzeitige Ideologisierung nicht mehr miterleben musste. Er wäre daran verzweifelt, dass die Betonköpfe heute wieder so eine Reichweite haben. 

Was ist mit Ihren Kollegen, die nicht im Fernsehen auftreten? Was passiert da in der Corona-Krise? Geht der Nachwuchs gerade Regale im Supermarkt einräumen statt sich auf der Kleinkunstbühne die Sporen zu verdienen?

Da gibt es viele, die Probleme haben, sich über Wasser zu halten. Klar ist, dass man damit rechnen muss, dass es eng werden könnte, wenn man sich für ein Leben als Künstler entscheidet. Ich habe das ja auch erlebt in den ersten Jahren. Aber die Krise in der Veranstaltungsbranche trifft auch jede Menge andere Leute, die Tontechniker, die Caterer usw. Künstler, die gerade vor dem Durchbruch standen, sind durch Corona total ausgebremst worden. Das ist schlimm. 

Sie sind nicht nur Comedian, sondern treten seit 1995 auch als konzeptueller Fotograf an die Öffentlichkeit. 1999 hatten Sie Ihre erste Ausstellung im Kulturbahnhof Eller, es folgten Einzelausstellungen in ganz Deutschland. Letztes Jahr haben Sie in Chengdu/China ausgestellt, vom 16. November werden Ihre Fotografien einen Monat lang im Puschkin-Museum in St. Petersburg zu sehen sein. Sie fotografieren auf Ihren Reisen ins Mekongdelta, nach Indien oder Georgien keine Sehenswürdigkeiten, sondern vermackelte Fassadenwände und Holzfensterläden. Und jetzt mit Covid-19?

Zu Reisen war für mich immer essentiell. Reisen bedeutet für mich Lebensraumerkundung. Natürlich hoffe ich, dass es irgendwann wieder gehen wird. Bis dahin arbeite ich mit Spiegelungen in meinem Kopf und auf der Festplatte. „Remembrance“ – Erinnerung habe ich diese Fotoreihe genannt. Ich setze Bilder zusammen, zwischen denen teilweise 30 Jahre liegen. Ich remixe meine Reisen. Sehr spannend.

Seit 2006 sind Sie SOS Kinderdorf-Botschafter, Sie haben Bilder für die Aktion „SOS-Kunststück“ gespendet. Ihren Gewinn aus der Sendung „Wer wird Millionär“ spendeten sie an ein sudanesisches Kinderdorf. Bei den Charity-Galas der Hilfsorganisation in Düsseldorf waren Sie immer dabei und haben dafür gesorgt, dass die Leute kräftig gespendet haben. An eine Gala mag im Moment wohl niemand denken …

Für eine Organisation wie SOS Kinderdorf ist das Ganze eine echte Katastrophe. Natürlich haben wir hier in Deutschland auch aktuell Probleme, aber es ist bitter, wenn in den SOS-Kinderdörfern der Betrieb in Gefahr ist, weil Finanzmittel fehlen. Dort leben Kinder, die gerade eine Familie gefunden haben, die sie nicht ein weiteres Mal verlieren dürfen. Es ist unfassbar wichtig, dass es da nicht aus finanziellen Gründen zu humanitären Katastrophen kommt.         

Susan Tuchel

Kommentar

Was darf Satire? 

In Zeiten von Achtsamkeit und Corona steht diese Frage verschärft auf der Tagesordnung. Gerade in Krisenzeiten immunisiert sich die öffentliche Meinung gern gegen Satire, Spott und respektlose Bloßstellung von Ängsten, Gesinnungen und Überzeugungen. Insbesondere bei politischen Grundsatzentscheidungen versteht man heutzutage schnell keinen Spaß mehr. Diabolischer Unflat hingegen wird so lange toleriert und vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt, wie er die aktuellen politischen Heiligtümer nicht wirklich tangiert. Das lässt sich immer noch als Zeichen liberaler Demokratie ausweisen. Aber was hat sich tatsächlich verändert in unserem Umgang mit der Satire? Der Begriff Satire geht zurück auf „satura lanx“, lateinisch bedeutet das eine mit allerlei Früchten gefüllte Schüssel. Die Früchte der Satire verwandeln sich jedoch in der heutigen medialen Kommunikation reflexartig in Früchte des Zorns.

Der Satiriker oder auch Comedian steht in der historischen Nachfolge des Narren. Er hält der Gesellschaft immer noch den Spiegel vor, mit Verzerrungen freilich, das ist sein Job. Doch defäziert er heutzutage nicht vor den Haustüren, in den Wohnungen oder Badstuben der Leute wie einst Till Eulenspiegel, um seine Präsenz zu zeigen. Für diese begrüßenswerte Zurückhaltung erntet er freilich keine Anerkennung, sondern mit erstaunlicher Regelmäßigkeit einen „shitstorm“, was sich im Deutschen harmloser anhört als im Englischen. Metaphorisch mit Unflat beworfen sollen Satire und ihre Vertreter aus dem öffentlichen Raum gespült werden. Daran zeigt sich, dass die Frage, was Satire darf, schon im Ansatz verfehlt ist. Wem ihre Früchte nicht schmecken, braucht sie nicht zu verzehren, zu verdauen und auszuscheiden. Doch ohne sie gäbe es nur noch Konformität, am besten versehen mit einer Ampel: rot, gelb, grün?

Seit ihren Anfängen ist Satire ein wirksames Instrument der Machtlosen. Sie schützt sich vor dem Zugriff der Macht, indem sie sich tarnt. Am besten lobt der Dumme sich selbst, wer weiß das besser als der Satiriker?  

Helmut Brall

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