Der Drache ist tot – lang lebe der Drache

Mit der Premiere von „See aus Asche – Das Lied der Nibelungen“ sind die Wormser Nibelungen-Festspiele in die diesjährige Spielzeit gestartet. Vor der Kulisse des Wormser Doms inszeniert Mina Salehpour eine Neudeutung des Nibelungenstoffs. Autor Roland Schimmelpfennig erzählt die komplette Sage – vom Drachenkampf Siegfrieds bis zum Untergang der Burgunder – in einem dichten, temporeichen Text.

Die Erwartungen und die Vorfreude sind nach so vielen Festspieljahrzehnten so groß, dass alle Vorstellungen vor dem Nordportal des Wormser Doms bereits vor der Premiere ausverkauft waren. Doch im Gegensatz zum endgültigen Ende der Nibelungen am Hofe Etzels gibt es für Nibelungen-Fans noch einen Funken Hoffnung. Wer noch die Sommerluft der „Drachenstadt“ Worms schnuppern und durch den wirklich wunderschönen Heylshofpark flanieren möchte, kann noch bis zum 27. Juli auf www.nibelungenfestspiele.de auf Karten hoffen. Laut Veranstalter können einzelne Restkarten kurzfristig wieder online freigegeben werden.

„Wenn du mich umbringst, wirst du selbst zum Ungeheuer“

„See aus Asche“ bringt den Stoff als knapp vierstündiges Schauspiel auf die Bühne. Salehpours Regie setzt auf Geschwindigkeit, ein monumentales Bühnenbild und auf Doppelrollen. Die Kieslandschaft von Bühnenbildnerin Andrea Wagner ist ein genialer Schachzug. Denn die circa 600 Tonnen Kies verändern sich im Laufe des Stücks und werden vor jeder Aufführung neu aufgetürmt.

Am Anfang noch von Hagen (Wolfram Koch) mit der Schüppe bearbeitet, bewegt sich mit dem Schicksal der Nibelungen auch die Halde mit, bis sie am Ende zusammen mit rund 50 weißen Plastikstühlen (die von der billigen Sorte) als Rückenwirbel die Form eines Drachen annimmt – des Drachen, den zuvor Jasmin Tabatabai verkörperte, bevor sie sich vor den Augen des Publikums in eine nicht mehr ganz so junge Brunhild verwandelt. Diese möchte nach der Hochzeitsnacht, in der Siegfried sie statt Gunther von hinten nimmt, von Kriemhild sogar noch das Sticken lernen – die Königin von Isenland mutiert zum handzahmen Hausfrauchen.

Wolfram Koch als Hagen, Foto: David Baltzer
Beitragsbild: Das Blatt (Lisa Natalie Arnold) auf den Schultern von Siegfried (Eivin Nilsen Salthe), Foto: David Baltzer

Viele Szenen rauschen förmlich vorbei, die Figurenzeichnung bleibt wegen der Doppelrollen und der wechselnden Erzählperspektive ein bisschen flach. Und seit wann muss sich ein Siegfried vorstellen? Der Norweger Eivin Nilsen Salthe fällt mehr durch sein opernhaftes Deutsch als durch einen gestählten Körper auf, wenn er in einem roten Slip sein Bad im Drachenblut nimmt. Dabei wird sein Rücken vom ersten personifizierten Lindenblatt in der Geschichte der Nibelungen bedeckt, gespielt von Lisa Natalie Arnold. Sie gehörte – ebenso wie Denis Geyersbach, der den Giselher spielt – auch schon einmal zum festen Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses. Ob der blutige Sagenstoff für den Zuschauer besser verdaulich wird, wenn das Lindenblatt die Situation der Künstler während der Corona-Pandemie beklagt oder Giselher ein Selfie mit dem Publikum macht, muss jeder für sich entscheiden.

Auf jeden Fall war Hagen, gespielt vom früheren Frankfurt Tatort-Kommissar Wolfram Koch, der bislang netteste Hagen der Festspieltradition. Selbst die Ermordung Siegfrieds auf dem Kiesberg (die Zuschauer mussten sich die Jagdsituation und das Trinken aus der Quelle vor ihrem inneren Auge vorstellen), lief geradezu sanft und völlig unblutig ab. Neu war, dass nicht das Schwert den Heldentod herbeiführte, sondern der Gürtel Brunhilds. Den hatte Siegfried dummerweise von Gunthers Brautgemach ins eigene Brautgemach mitgenommen. So erstickt er an der Trophäe, mit der er sich besser nicht geschmückt hätte und – ohne den Gürtel und die vertrauliche Erklärung an seine Gemahlin Kriemhild hätte es nicht so weit kommen müssen.  

Der „See aus Asche“, der im ersten Teil giftig grün ist und im zweiten Teil in Flammen steht, ist visuell ein eindrucksvolles Schauspiel mit einer klaren Regiehandschrift, das aber an einem Übermaß an Tempo und Symbolik krankt. Vielleicht hätte dem Stück mehr Spiel und dem Abend ein zweiter Teil im nächsten Jahr besser getan.

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Eine Möglichkeit, einen Einblick hinter die Kulissen zu erhalten, bietet die Live-Aufzeichnung der SWR1-Sendung „Leute“ am 20. Juli im Wormser Theater. Schauspieler Wolfram Koch spricht dort über seine Rolle als Hagen und seine Theaterarbeit. Der Eintritt ist frei, die Plätze sind begrenzt, Einlass ist ab 9:15 Uhr.

Weitere Informationen zu den Nibelungen-Festspielen gibt es unter www.nibelungenfestspiele.de.

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