Mit mehr als fünfhundert Millionen Posts allein auf Instagram ist #cute einer der beliebtesten Hashtags überhaupt. Cute bedeutet niedlich, süß oder putzig und begegnet uns in allen Lebenslagen. Tierbabys, Einhörner, Hasenohren – das Niedliche steht in enger Verbindung mit der Konsumkultur und hat nicht nur die sozialen Medien im Sturm erobert, sondern auch Produktdesign, Werbung, Robotik und die Kunst. 

Anhand von mehr als 50 internationalen künstlerischen Positionen sowie zahlreichen Alltagsgegenständen und Internetphänomenen spürt die Gruppenausstellung #cute. Inseln der Glückseligkeit? im NRW-Forum Düsseldorf noch bis 10. Januar 2021 den vielen Facetten jener Gegenwartsästhetik medien- wie genreübergreifend nach, einschließlich ihrer affektiven Umschlagpunkte. Unbedingt vormerken nach dem Lockdown. 

Einen Blick auf die dunkle Seite, Ambivalenzen und Kippmomente des Niedlichen ermöglichen unter anderem Fotografien, Skulpturen, Video- und Rauminstallationen von Aya Kakeda, Brenda Lien, FALK, Jonathan Monaghan, Melissa Sixma Lingo, An-Sofie Kesteleyn oder Maija Tammi. 

Die in New York lebende Künstlerin Aya Kakeda fertigt für die Ausstellung in sich ruhende Gestalten aus Keramik an. Erscheinen die kleinen rundlichen Figuren zunächst sorglos und selig träumend, verweist der pilz- oder pflanzenartige Befall auf die titelgebende schöne Verwesung der Kreaturen. Die Vergegenwärtigung des Todes versetzt die Betrachtenden in eine andere Stimmung, bei der sich Unbeschwertheit und Trauer mischen. Passend dazu bezeichnet kawaii die japanische Variante des Niedlichen; der ähnlich klingende Begriff kowai wird hingegen mit gruselig oder schrecklich übersetzt – Kakedas Arbeiten fallen in beide Kategorien.

Call of Cuteness 

Der Animationsfilm Call of Cuteness der jungen Frankfurter Künstlerin Brenda Lien entstand 2017 als zweiter Teil ihrer Internetphänomen-Kurzfilmtrilogie. Er wurde mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ von der Filmbewertungsstelle (FBW) ausgezeichnet. Call of Cuteness setzt sich kritisch mit populären Internetvideos auseinander und erregte große Aufmerksamkeit. Mit Bezug auf die Allgegenwart der Katze im Internet hinterfragt Liens Videoarbeit den einerseits liebevollen, andererseits auch voyeuristischen und teils grausamen Umgang mit den tierlichen Protagonisten. Trotz zeichnerischer Abstraktion ist das Dargestellte nahezu unerträglich und entfacht den Wunsch, Gequältes zu schützen.

FALK alias @betrayal_junkie erstellt digitale Collagen aus Found-Footage, die Schlüsselmerkmale des Niedlichen aufgreifen: Weibliches, Kindliches und Tierliches ist in Rosa und Weiß dargestellt. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass die Collagen potenziell Abstoßendes, hier Eingeweide, zeigen, womit Lieblich-Pastelliges ins Verstörende kippt.

Ein Einhorn bewegt sich anmutig durch sterile, menschenleere Räume, futuristische Hotelhallen, Cafés und Shops. Das niedliche mythologische Wesen aus Jonathan Monaghans Animationsfilm Disco Beast aus dem Jahr 2016 wirkt erschöpft – bis es von einem Raumschiff aufgenommen wird, wo es zu neuer Kraft findet und triumphierend davonfliegt. Obwohl Einhorn und pastellige Farbwelt als prominente Niedlichkeitsmarker gelten können, veranlasst das Dargestellte nicht zu einer überschwänglichen affektiven Reaktion, sondern erscheint vielmehr kühl und distanziert.

Disco Beast 

Melissa Sixma Lingo überführt populäre Kulturtechniken des Digitalen wie Remix oder Mash-up in textiles Patchwork und bringt sie derart mit kunsthandwerklichen Traditionen in Verbindung. Die zur Überlieferung bestimmten Embleme des 21. Jahrhunderts stiften die Sozialen Medien: Der Quilt entstand auf Grundlage eines bekannten Mems – jenen vielbeschworenen, im Internet zirkulierenden Bild-Wort-Kombinationen. Dichte und Wiederholung des abgebildeten Hundes verweisen auf die Vermassung niedlicher Motivik. Aufwändige Handarbeit, Unikatstatus sowie die soziale Funktion des Quilts als Überlieferungs- und Erinnerungsmedium bilden wiederum einen Kontrast zu schnellen digitalen Umsetzungsmöglichkeiten sowie kurzlebigen Internetphänomenen. 

Ein Kind ist das zentrale Motiv einer 2013 entstandenen Fotografie der in Belgien lebenden Künstlerin An-Sofie Kesteleyn. Wie süß? Nur vordergründig: Die rosafarbene Tasche des kleinen Mädchens bietet nicht etwa Schutz für ein Musikinstrument oder einen Tennisschläger, sondern beinhaltet dessen erste scharfe Waffe. My First Rifle verkehrt das Motiv kindlicher Unschuld ins Gegenteil. Niedliches wird potenziell zur Bedrohung.

Exponate wie die vierteilige Fotoserie der finnischen Künstlerin Maija Tammi erweitern den Niedlichkeitsbegriff der Ausstellung. Neben Attributen wie Kleinheit oder Flauschigkeit geht konzeptuell ebenso Verharmlosung und Vermenschlichung mit niedlicher Ästhetik einher. In One of them is a Human fotografierte Tammi neben einem Menschen drei Roboter: Kühler Technik wurde ein menschenähnlich gestaltetes Aussehen übergestülpt, womit ununterscheidbar wird, wer Mensch und wer Roboter ist. Die auf optischer Ähnlichkeit basierende Ungewissheit erzeugt ein diffuses Unbehagen bei den Betrachtenden und verweist unter anderem auf die Angst vor der eigenen Ersetzbarkeit durch Technologie.

Neben vielen weiteren künstlerischen Positionen zeigt die Ausstellung niedliche Accessoires, Smart Toys, Mode und Kurioses aus der Sammlung des Jugendkulturarchivs Frankfurt am Main. 

Künstler*innen (Auswahl)

AES+F, Magda Archer, Ruth van Beek, Chris Berens, Lenn Blaschke, Thorsten Brinkmann, Antoine Catala, Miguel Delie, Ruud van Empel, FALK, Daniel & Geo Fuchs, Gregor Gaida, Carla Gannis, Jill Greenberg, Johan und Diana van Halen, Chris Haughton, Guy Hoffman/Miguel de Andrès-Clavera/Michael Suguitan, Jugendkulturarchiv Frankfurt a. M., Aya Kakeda, An-Sofie Kesteleyn, Kolle Rebbe, Yasushi Koyama, Karina-Sirkku Kurz, Reiner Leifried, Les Deux Garçons, Brenda Lien, Loretta Lux, Rachel Maclean, Jonathan Monaghan, NEOZOON, Marc Paeps, Birte Philippi, Pierre et Gilles, @Pokeschorsch, Jochen Raiß, Christoph Ruisz, Mark Ryden, Corinna Schnitt, Annette und Erasmus Schröter, Erasmus Schröter, Friedrich Seidenstücker, Oliver Sieber, Melissa Sixma Lingo, Maren Steffens, Maija Tammi, Juergen Teller, Nikita Teryoshin, Katie Torn, Underlook, die Unheimlichen, Jonas Vogt/Stephan/Bogner/Philipp Schmitt, Anastasia Ward, Uli Westphal, The Yes Men.

Pin It on Pinterest