Foto: Gemini by Martha Giannakoudi

Wenn Menschen ihr Herz der KI öffnen  

Ich war neulich überrascht, dass der Top Trend auf TikTok lautet: ChatGPT in der Rolle des Therapeuten. Zuerst dachte ich an eine ephemere digitale Spielerei.

Doch wenn selbst Sam Altman, der Schöpfer von ChatGPT, eindringlich vor genau diesem Phänomen warnt, ist es an der Zeit, genauer hinzusehen. 70 Prozent der Jugendlichen in den USA sprechen regelmäßig mit einer KI. Ein Drittel empfindet diese Gespräche als ähnlich befriedigend wie echte Freundschaften.

Erschaffen wir uns also den perfekten Freund, der immer Zeit hat und auf alles eine Antwort weiß? Was passiert, wenn Menschen, und eben auch junge Menschen, ihr Herz nun der KI öffnen?

Sam Altman spricht von einer Bindung „anders und stärker“ als je zuvor. Junge Menschen sagen ihm: „Ich kann keine Entscheidung mehr treffen, ohne ChatGPT alles zu erzählen.“ Sofortige Bestätigung ist verführerisch – aber was, wenn uns diese trügerische Nähe langfristig von uns selbst entfernt?

Eine Studie des renommierten MIT bestätigt die Unruhe: Je mehr wir mit textbasierten Chatbots interagieren, desto einsamer und abhängiger können wir werden. Wir verlernen das Gespräch mit echten Menschen, weil die KI immer verfügbar ist und keine Ecken und Kanten hat.

Drei Masken, drei Versuchungen

Doch wenn wir der KI unser Herz öffnen, erwarten wir vielleicht auch ein Gewissen. Aber kann eine Maschine Moral lernen? Forscher ließen Hunderte von Software-Agenten das klassische „Gefangenendilemma“ spielen. Den Agenten, denen man „Schuldgefühle“ einprogrammiert hatte, fiel Kooperation leichter. Eine KI, die Schuld empfindet? Klingt tröstlich – doch die Wissenschaft bremst: Heutige Systeme können Reue perfekt simulieren, ohne sie zu empfinden. Wir würden den Unterschied nicht bemerken. Wieder eine Maske – dieses Mal die Maske des Gewissens.

Die vielleicht größte Maske aber ist die ihrer Intelligenz. Öffentliche IQ-Tests bescheinigen den Top-Modellen menschliche Hochbegabung. Doch bei unveröffentlichten, streng geheimen Tests sinken die Werte deutlich. Das vermeintliche Genie ist oft nur das Ergebnis eines phänomenalen Gedächtnisses, nicht echter Generalisierung. Wir bewundern also etwas, das vielleicht gar nicht das ist, wofür wir es halten.

Hinter die Maske blicken

Gefühl, Schuld, Intelligenz. Auf allen Gebieten hat die KI gelernt, eine bemerkenswert menschliche Maske zu tragen. Sie ist ein Spiegelkabinett unserer Wünsche: Sie sagt uns, was wir hören wollen, präsentiert die Intelligenz, die wir bewundern wollen, und versorgt uns mit Gesellschaft, weil wir nicht allein sein wollen.

Nicht umsonst warnte sogar Papst Franziskus davor, die KI zu vermenschlichen. Die entscheidende Frage lautet daher: Wie bleiben WIR menschlich, während wir mit ihr interagieren? Wie lernen wir, hinter die Maske zu blicken und die Verantwortung für unsere Entscheidungen und Gefühle bei uns zu behalten? Und wie schaffen wir es, gerade jungen Menschen in der Mitte unserer Gesellschaft wieder mehr Sicherheit und Geborgenheit zu geben?

Die größte Gefahr ist keine übermächtige KI, sondern unsere eigene Bequemlichkeit, uns von ihrer perfekten Simulation verführen zu lassen.

Mein Fazit: Je mehr KI in unser Leben tritt, desto mehr brauchen wir echte Begegnungen in real life – und den Austausch mit Menschen, die uns mit echter Empathie und emotionaler Intelligenz begegnen und unser Leben bereichern.

Der KI-Ratgeber von Martha Giannakoudi

Martha Giannakoudi gründete 2010 das Beratungsunternehmen Synnous im Düsseldorfer Medienhafen. Das Beratungsunternehmen ist spezialisiert auf Personalmanagement und digitale Transformation. Es unterstützt Unternehmen dabei, moderne Recruiting-Strategien und digitale HR-Prozesse zu etablieren.

Das Unternehmen bietet außerdem zertifizierte KI-Schulungen an, darunter Weiterbildungen zum KI-Transformationsmanager, die von der Agentur für Arbeit gefördert werden können. Ziel ist es, Fachkräfte und Unternehmen darauf vorzubereiten, KI-Technologien strategisch einzusetzen.

Neben der Beratung in HR- und Innovationsprozessen setzt sich Synnous mit aktuellen Entwicklungen in der Arbeitswelt auseinander und begleitet Unternehmen bei der digitalen Transformation.

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